Das Debakel von Sotschi scheint Dekaden entfernt, dabei liegt es noch nicht einmal zwei Jahre zurück. Bei den Olympischen Winterspielen 2014 waren die deutschen Biathlon-Frauen erstmals leer ausgegangen. Stattdessen schlug die Doping-Affäre um Evi Sachenbacher-Stehle hohe Wellen. Das Tal der Tränen haben die Biathletinnen spätestens mit den famosen Tagen von Hochfilzen endgültig verlassen. Dreifachsieg am Freitag im Sprint, Doppelsieg in der Verfolgung und zum Abschluss noch Platz zwei in der Staffel, 0,2 Sekunden hinter Italien. Einiges deutet darauf hin, dass sich die über Jahrzehnte erfolgsverwöhnten deutschen Biathlon-Fans auf eine neue Phase der Dominanz ihrer Lieblinge einstellen können. Die Einschaltquoten im Fernsehen sind hoch, wenn auch (noch) nicht ganz auf dem Niveau der Zeiten von Superstar Magdalena Neuner.
Im Gegensatz zur Ära der Rekordweltmeisterin verteilt sich der Glanz diesmal auf mehrere Schultern. Laura Dahlmeier, Franziska Hildebrand, Franziska Preuß oder Aufsteigerin Maren Hammerschmidt stehen jetzt im Rampenlicht. An Neuners Strahlkraft kommen sie nicht heran, wollen sie vermutlich aber auch gar nicht. Es ist Miriam Gössner, die das meiste öffentliche Interesse auf sich zieht. Das hat natürlich damit zu tun, dass sie mit Slalom-Star Felix Neureuther liiert ist. Aber auch sportlich ist Gössner zwei Jahre nach ihrer schweren Rückenverletzung auf dem Weg zurück in die Weltspitze – eine weitere Erkenntnis aus den Tagen von Hochfilzen.
Neuners Kritik hat Wirkung gezeigt
Hinter dem rasanten Aufstieg der deutschen Frauen steckt die neue Sportdirektorin Karin Orgeldinger. Der Verband reagierte 2014 auf die Enttäuschung von Sotschi. Orgeldinger fegte mit eisernem Besen durch die „verkrusteten Strukturen“, wie es Neuner kritisch formuliert hatte. Am augenfälligsten war, dass sie den Posten des Chef-Bundestrainers, den Uwe Müssiggang lange Jahre bekleidet hatte, ersatzlos strich. Selbst Insider hatten sich gefragt, was dessen Aufgabe gewesen sein könnte. Gleichzeitig wurde der junge Trainer Tobias Reiter dem erfahrenen Gerald Hönig zur Seite gestellt und Ricco Groß in den zweitklassigen IBU-Cup abgeschoben (mittlerweile ist er russischer Männertrainer). Das Gespann Reiter/Hönig, also Jung/Alt, funktionierte auf Anhieb. Die neuen Impulse des 30-jährigen Reiters kamen in der Mannschaft gut an. Die Stimmung änderte sich grundlegend.
Dem Übergangsjahr nach Sotschi, gekrönt vom überraschenden WM-Titel in der Staffel, scheint nun ein dauerhafter Aufenthalt in der Weltspitze zu folgen. „Wir haben sechs Leute, die ganz vorne mitlaufen können. Das gab es schon lange nicht mehr“, sagte Hönig gestern und strahlte über das ganze zerfurchte Gesicht.
Im Sommer hatten er und Reiter vor allem an der Lauftechnik ihrer Schützlinge gefeilt. Das gab auch einer eher reifen Athletin wie der 28-jährigen Hildebrand noch einmal einen Schub. In Hochfilzen schaffte sie ihren ersten Weltcup-Sieg. Auffallend ist zudem die Zielsicherheit am Schießstand. Auf einer läuferisch eher einfachen Strecke wie in Hochfilzen fällt dort die Entscheidung.
Hönig scheinen die jüngsten Erfolge fast unheimlich. Das seien außergewöhnliche Momente, sagte er und warnte vor Überschwang: „Man sollte nicht denken, dass so etwas oft passiert.“
Mancher argwöhnte in Hochfilzen, das Leistungshoch käme zu früh. Die WM in Oslo als Saisonhöhepunkt findet erst im März statt. Es wird schwierig sein, die gute Form bis dahin zu konservieren. Das ist auch Hönig bewusst. Er will bei Bedarf kurzfristig reagieren und das Training flexibel anpassen. „Wir wissen nicht, wie die anderen Nationen ihr Training geplant haben. Wir wollten die Weltcups im Dezember eigentlich zum Formaufbau nutzen. Dass es schon so gut läuft, ist überraschend.“ Die Erfolge solle man dennoch genießen, „mal schauen, wie stabil das alles ist“.