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Boxen: Phänomen Journeyman: Wenn Profi-Boxer für Geld verlieren sollen

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Phänomen Journeyman: Wenn Profi-Boxer für Geld verlieren sollen

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    Mazen Girke galt einst als großes Talent. Inzwischen ist er Journeyman – ein Boxer, der gebucht wird, um die Kampfbilanz aufstrebender Kontrahenten zu verbessern.
    Mazen Girke galt einst als großes Talent. Inzwischen ist er Journeyman – ein Boxer, der gebucht wird, um die Kampfbilanz aufstrebender Kontrahenten zu verbessern. Foto: Andreas Pein, laif

    Sein Kampf in Köln ist noch nicht lange vorbei, da klingelt das Smartphone von Mazen Girke. Es ist der Manager des Mannes, dem Girke an diesem Novemberabend 2019 ein Unentschieden abgerungen hat. Der Manager schreibt: „Vielen Dank für die Zerstörung einer Illusion.“ Girke ist kein Boxprofi, der seine Kämpfe normalerweise mit Unentschieden beendet, schon gar nicht mit Siegen. Er steigt in den Ring, um genau eine Funktion zu erfüllen: verlieren. „Wenn du einen Mazen Girke nicht schlagen kannst, hast du oben nichts verloren“, sagt Mazen Girke. Er ist Journeyman – ein Profiboxer, bezahlt und geschlagen für den Ruhm anderer.

    Ein schlechter Boxer war er nie, sagt Girke, im Gegenteil. Sportlich hätte es für einen Weltmeistertitel reichen können, ist er sich sicher. „Ich bin aber an die falschen Leute geraten, habe mich von gierigen Managern und Promotern ausnutzen lassen“, sagt der 36-jährige Berliner über den Beginn seiner Karriere 2002. Fünf Jahre danach stand Girke vor einer Entscheidung: aufhören – oder weitermachen, das System für sich nutzen und Geld damit verdienen. Girke hat weitergemacht. Seine Profi-Bilanz heute: 129 Kämpfe, 108 Niederlagen.

    Journeyman-Boxer sind Pfeiler des Profi-Geschäfts

    Aufbaugegner wie Girke sind Pfeiler des Profi-Geschäfts. Sie reisen von Kampf zu Kampf, um die Bilanz anderer aufzupolieren. Gebucht werden sie von großen Veranstaltern vor allem, um junge Profis nach oben zu spülen – und damit in den hoch bezahlten Teil der Branche. Wer um Titel und vor laufenden TV-Kameras kämpfen will, braucht eine saubere Kampfbilanz, also mindestens acht, besser zehn Siege. Niederlagen in der frühen Phase der Profi-Karriere sind meistens gleichbedeutend mit deren Ende. Dieses Risiko wollen Promoter und Manager, die oft mehrere zehntausend Euro in aufstrebende Kämpfer gesteckt haben, nicht eingehen. Also engagieren sie Journeyman-Boxer, die eine Profi-Lizenz haben und die besten Tage hinter sich.

    „Wir können unsere Jungs nicht gleich am Anfang verbrennen“, sagt ein Branchenkenner, der für einen großen deutschen Boxstall Kampfpaarungen organisiert. Genannt werden möchte er nicht, kaum jemand aus der Szene spricht offen über Journeyman-Boxer. „Für die ersten zwei, drei Kämpfe im Aufbau buchen wir meistens Journeymen. Sie sollten günstig sein und erfahren genug, um unsere Jungen ans Profiboxen zu gewöhnen.“ Direkte Absprachen, dass der Journeyman den Kampf verlieren solle, gebe es nicht. „Wir gehen aber davon aus.“

    Einen Journeyman-Boxer aus Osteuropa zu finden, ist einfach

    Journeyman-Boxer gibt es, seit es das bezahlte Boxen gibt. Früher kamen sie oft aus Südamerika. Da die Athleten von dort aber mehrfach Kämpfe gewannen, wurden sie einfach nicht mehr gebucht. Inzwischen hat sich der Fokus der Promoter gen Osten verlagert. Dass es ein Leichtes ist, an die Profi-Lizenz zu kommen, ist für viele osteuropäische Männer eine Gelegenheit, auch an Geld zu kommen. „Ich habe ein großes Telefonbuch. Aber wenn ich einen Aufbaugegner brauche, wähle ich meistens eine georgische oder tschechische Nummer“, sagt der Kampforganisator.

    Die Daten, die er nenne: bisherige Kämpfe des eigenen Boxers, Gewichtsklasse, gewünschte Rundenzahl, Budget. „In ein paar Minuten bekomme ich dann eine Liste von vier, fünf Boxern, die infrage kommen. Daraus können wir easy auswählen.“ Spätestens 48 Stunden danach stehe der Kampfvertrag. Dieses Vorgehen sei in der Boxbranche „gang und gäbe“, gelte aber nur für die Aufbauphase einer Karriere. Titelkämpfe seien offener, „sonst würde da kein Fernsehsender mitmachen“.

    Was kostet ein Journeyman?

    Die Kosten für einen Journeyman reichen von ein paar hundert bis 4000 Euro, je nach Gewichtsklasse. Danny Williams lacht laut in den Telefonhörer, wenn er diese Zahlen hört. Er war einst einer der besten Boxer der Welt, schlug 2004 Mike Tyson k. o., kämpfte kurz darauf für eine Million Dollar gegen Vitali Klitschko. Heute ist Williams 47 Jahre alt – und kämpft immer noch, als Aufbaugegner. „Ich werde dafür bestraft, dass ich sorglos mit dem Geld umgegangen bin.“ Zwar wolle er weiterhin jeden Kampf gewinnen. „Aber seien wir ehrlich, ich bin 47. Ich habe einen guten Namen und bin deshalb ein gefragter Boxer. Aber viele meiner Fähigkeiten habe ich verloren. Und das ist bekannt.“ Für wie glaubwürdig er seinen Sport noch hält? „Nun, wir alle wissen, dass Boxen seine Probleme hat.“

    2004 schlug Danny Williams (links) Boxlegende Mike Tyson K.O. Weil er danach sorglos mit seinem Geld umging, wurde er Journeyman.
    2004 schlug Danny Williams (links) Boxlegende Mike Tyson K.O. Weil er danach sorglos mit seinem Geld umging, wurde er Journeyman. Foto: Sean Dempsey, dpa

    Journeyman Mazen Girke: "Für mich ist Profiboxen kein Sport mehr"

    Mazen Girke ist inzwischen zufrieden damit, einen guten Kampf zu liefern, sein Geld abzuholen und gesund aus dem Ring zu steigen. Vielen Profiboxern habe die Karriere nichts übrig gelassen als Narben und bleibende Verletzungen. Es gebe Fälle von Journeymen, die sich totgekämpft hätten. „Für mich ist Profiboxen kein Sport mehr“, sagt Girke. Wenn er eines gelernt habe, dann das: „Boxer werden nicht geboren. Sie werden gemacht.“

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