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Skispringen: Andreas Wellinger und die Kultur des knappen Scheiterns

Skispringen

Andreas Wellinger und die Kultur des knappen Scheiterns

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    Glücklich, aber nicht vollkommen zufrieden. Andreas Wellinger haderte damit, zu viele Fehler gemacht zu haben. Dabei hatte er kaum welche gemacht.
    Glücklich, aber nicht vollkommen zufrieden. Andreas Wellinger haderte damit, zu viele Fehler gemacht zu haben. Dabei hatte er kaum welche gemacht. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Leidtragende gibt es ja viele nach so einer Vierschanzentournee. Was mit hohen Erwartungen aufgeladen wird, entlädt sich nun mal naturgemäß in Enttäuschung. Davon können die polnischen Skispringer und Fans ein Lied singen (Kamil Stoch wurde 15.) – oder die norwegischen, bei denen Titelverteidiger Halvor Egner Granerud zweimal den zweiten Durchgang verpasste. Die Liste der Gescheiterten ist lang. Ebenfalls zu bemitleiden ist die Familie Nocker-Schwarzenbacher vom „Brückenwirt“ in St. Johann.

    Sie beherbergt in ihrem schmucken Hotel schon seit vielen Jahren die deutschen Skispringer. Richtet nett die Bettchen, stellt einen Skikeller zur Verfügung und tischt kulinarische Köstlichkeiten auf. Doch zum rauschenden Fest nach dem Gewinn der Vierschanzentournee ist es auch diesmal nicht gekommen. „Wir werden gemeinsam essen und schon noch anstoßen auf Andis zweiten Platz“, quetschte Bundestrainer Stefan Horngacher im Auslauf der Paul-Außerleitner-Schanze so etwas wie gute Stimmung aus sich heraus.

    Auf einen Triumph Wellingers und eine ordentliche Sause schienen die Deutschen eher vorbereitet gewesen. „Keine Ahnung, wie und wann es jetzt weitergeht“, sagte Karl Geiger sichtlich gekniffen. Der Oberstdorfer, der mit sich und Gesamtrang 14 haderte, sagte: „Es ist bitter und hart, dass es sich wieder nicht ausgegangen ist. Aber so ist es. Wir hätten es uns anders gewünscht.“ Den Teamkollegen Wellinger nahm Geiger bewusst in Schutz: „Andi hat es verdammt gut gemacht, er hat die große Last auch schon relativ früh allein tragen müssen.“ 

    Wellinger ließ die deutschen Skisprung-Fans träumen

    Wellinger selbst tauchte auch kurz ins Wellenbad der Gefühle, nachdem er seinem Widersacher Ryoyu Kobayashi nicht mehr gefährlich werden konnte, mit dem fünften Platz in Bischofshofen aber Rang zwei in der Gesamtwertung verteidigte. „Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits bin ich extrem stolz. Ich habe mir wenig Fehler erlaubt. Und dann am Ende doch zu viele“, sagte Wellinger. Der 28-Jährige vom SC Ruhpolding hat die deutschen Skisprung-Fans nach seinem Auftakterfolg in Oberstdorf zehn Tage lang träumen lassen, dass der Tourneesieg nach 22 Jahren wieder mal nach Deutschland geht. Wellinger sagte aber auch: „Ryoyu war einfach besser. Das muss man neidlos anerkennen.“ So hat der letzte Triumph von Sven Hannawald 2001/2002 weiter Bestand. 

    Ob sich Bundestrainer Horngacher ähnlich theatralisch vor Wellinger verbeugt hätte wie einst Reinhard Heß vor Hannawald, bleibt offen. Aber auch Horngacher zog symbolisch den Hut vor seinem Schützling: „Ich bin mit Andi sehr zufrieden, was er hier geleistet hat. Als deutscher Springer hat er hier performt, er hat die Stadien begeistert und das Ding bis zum Schluss spannend gehalten. Wir müssen akzeptieren, dass Ryoyu einfach besser gewesen ist.“ 

    Vierschanzentournee: Kobayashi war einfach zu gut

    Dass ein Überflieger aus einem anderen Land den Deutschen zuvorkommt, hat mittlerweile Tradition. DSV-Sportdirektor Horst Hüttel sagte mit traurigem Unterton: „Wir waren gut vorbereitet und haben gute Leistungen gebracht. Trotzdem sind wir zum fünften Mal in den letzten acht Jahren Zweiter geworden.“ Die Kultur des knappen Scheiterns wurde weiter gepflegt. Severin Freund musste 2016 dem Slowenen Peter Prevc den Vortritt lassen, Wellinger (2018) und Geiger (2021) dem Polen Stoch und Markus Eisenbichler (2019) ebenfalls Kobayashi. 

    Der wortkarge Japaner ließ sich von den Teamkollegen im Flockenwirbel durchs Stadion tragen. Auch ohne einen einzigen Tagessieg gewann Kobayashi – mit vier zweiten Plätzen, diesmal hinter dem Österreicher Stefan Kraft, der im Gesamtklassement Dritter wurde. Kobayashis Triumph hing allerdings für kurze Zeit am seidenen Faden.

    Mit Preisgeld aus Oberstdorf wolle Kobayashi seinen Hauskredit abbezahlen

    Zum ersten Durchgang, so erfuhr Sky-Experte Andreas Bauer aus Oberstdorf, habe Kobayashi irrtümlich einen Ski eines Teamkollegen nach oben getragen. Aus der Bahn warf ihn das jedoch nicht. „Koba“ spurtete nach unten, holte den richtigen Ski – und zog sein Ding durch. Mit den 100.000 Schweizer Franken Preisgeld wolle er den Kredit für einen Hausbau abbezahlen. Zur Feier des Tages gönne er sich einen „Wodka Red Bull“ – womit auch sein Sponsor noch genannt wurde.

    Noch in Bischofshofen bekam Kobayashi aber auch die erste Kampfansage – bezeichnenderweise von Wellinger. Der sagte den Journalisten mit Blick zur Schanze: „Irgendwann werden wir den Hobel knacken, sodass der Goldene Adler wieder bei uns ist. Wie viele Jahre ihr darauf warten müsst, weiß ich nicht. Hoffentlich nur noch eines.“ Darüber würden sie sich bestimmt auch beim „Brückenwirt“ freuen.

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