Noch selten ist eine Schwimm-Weltmeisterschaft auf so wenig Gegenliebe gestoßen, wie die, die am Freitag in Doha beginnt. Knapp ein halbes Jahr vor den Olympischen Sommerspielen in Paris verzichten zahlreiche Stars der Szene auf den Abstecher nach Katar. Noch nie lagen eine Schwimm-WM und Sommerspiele so nah beieinander. Innerhalb eines so kurzen Zeitraums ist es nur schwer möglich, zweimal in absoluter Topform zu sein. Dazu kommt, dass der olympische Zyklus (nach den wegen Corona auf 2021 verschobenen Spielen von Tokio) um ein Jahr kürzer ist als gewöhnlich. Viele Stars trainieren lieber und lassen die WM deswegen aus.
Der Termin ist die Folge eines Ketteneffekts, ebenfalls ausgelöst von der Corona-Pandemie. Die ursprünglich 2021 angesetzte WM im japanischen Fukuoka wurde auf 2023 verschoben. Zu diesem Zeitpunkt stand aber schon die Doha-WM im Kalender, die deswegen in den Februar 2024 rückte, da der Weltverband World Aquatics (ehemals Fina) weder Fukuoka noch Doha um ihre Rolle als WM-Gastgeber bringen wollte. Zudem stellen Weltmeisterschaften eine nicht unerhebliche Geldquelle für den chronisch klammen Weltverband dar.
Schwimm-WM in Katar: Die schnellsten Männer auf der prestigeträchtigsten Strecke fehlen
Wie in den meisten anderen Sportarten auch, sind aber Olympische Spiele das große Ziel aller Schwimmerinnen und Schwimmer. Dem Vorhaben, dort eine Medaille zu gewinnen, ordnen sie alles andere unter – auch eine Weltmeisterschaft. Zu den prominentesten Nicht-Startern gehören der 100-Meter-Freistil-Weltrekordler David Popovici aus Rumänien. Der schlaksige Teenager hat die Schwimmwelt 2022 auf den Kopf gestellt, als er die prestigeträchtigste Strecke mit gerade mal 17 Jahren in 46,86 Sekunden schneller zurücklegte, als je ein Mensch zuvor. In Paris gilt er neben dem Australier Kyle Chalmers (der ebenfalls nicht in den Startlisten für Doha steht) als Topfavorit auf Gold.
Ebenfalls nur mit einer Rumpfmannschaft rückt mit den USA die Schwimm-Nation Nummer 1 an. Nach Fukuoka hatte sie im vergangenen Jahr 48 Schwimmerinnen und Schwimmer geschickt, in Doha werden es derer nur 18 sein. Mit Katie Ledecky fehlt auch die Erfolgreichste der vergangenen Jahre. Die siebenfache Olympiasiegerin, 21-malige Weltmeisterin und Weltrekordhalterin über 800 und 1500 Meter Freistil zieht lieber im Trainingspool ihre Bahnen. Der fünffache Tokio-Olympiasieger Caeleb Dressel wiederum sucht nach seiner Auszeit vom Schwimmen noch nach der Form alter Tage.
USA wollen beim Schwimmen den Spitzenplatz im Medaillenspiegel zurückerobern
Die USA konzentrieren sich komplett auf Paris, geht es dort auch darum, sich wieder an die Spitze des Medaillenspiegels zu setzen. In Fukuoka hatte Australien Platz 1 des Rankings belegt. Nicht wenige sehen bereits eine Wachablösung und untermauern das mit einer statistischen Auffälligkeit: Erstmals seit 78 Jahren schaffte es in 2023 kein US-Schwimmer und keine US-Schwimmerin, einen neuen Weltrekord aufzustellen (Lang- und Kurzbahn).
Immerhin ein bisschen Glanz sollen die britischen Edelsprinter Benjamin Proud und Adam Peaty nach Doha bringen. Letzterer hatte sich ebenfalls eine Auszeit genommen. In mehreren Interviews hatte er über einen Teufelskreis aus Verletzungen, Alkohol, einer gescheiterten Beziehung und Depressionen berichtet, in den er immer tiefer abgeglitten war. "Ich habe mich in einer selbstzerstörerischen Spirale befunden", sagte er der Times. Im vergangenen Herbst hatte er nach über sechs Monaten Wettkampfpause sein Comeback gegeben. In Doha will er an alte Erfolge anknüpfen, hat aber natürlich auch schon Paris im Kopf.
Gleiches dürfte für die schwedische Grande Dame des Schwimmsports, Sarah Sjöström, gelten. Die 30-Jährige hatte 2009 in Rom über 100 Meter Schmetterling ihr erstes WM-Gold gewonnen und ist seitdem aus der Weltspitze nicht mehr wegzudenken. Elf weitere WM-Titel ließ sie seitdem folgen.
Deutsche Mannschaft besteht aus zehn Aktiven
Von derartigen Erfolgen kann die deutsche Mannschaft nur träumen. Zehn Aktive schickt der DSV nach Doha. Prominentestes Gesicht ist der Langstreckenspezialist Florian Wellbrock aus Magdeburg. In Tokio war er im Freiwasser Olympiasieger geworden. Ebenfalls dabei ist sein Magdeburger Trainingspartner und WM-Medaillengewinner Lukas Märtens.
Noch völlig offen ist dagegen, wer die deutschen Farben im Juni vertreten wird. Denn dorthin hat der europäische Verband Len auch noch eine Europameisterschaft gepackt – rund einen Monat vor Beginn der Sommerspiele. Gastgeber ist Belgrad. Ursprünglich sollte die EM im russischen Kasan stattfinden. Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurde die Meisterschaft in die serbische Hauptstadt verlegt.