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Schach: Carlsen gegen Niemann: Von Analperlen und einer Millionenklage

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Carlsen gegen Niemann: Von Analperlen und einer Millionenklage

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    Magnus Carlsen sieht sich einer 100-Millionen-Dollar-Klage gegenüber.
    Magnus Carlsen sieht sich einer 100-Millionen-Dollar-Klage gegenüber. Foto: Johanna Lundberg, Witters

    Das fast 180 Jahre alte Morse-Alphabet hat Schach in aller Munde gebracht – und der Denksport schießt sich finanziell in Dimensionen, von denen Weltmeister Magnus Carlsen vor Kurzem nicht einmal zu träumen wagte. Die Summe von 400 Millionen US-Dollar dient jedoch nicht dazu, den Norweger davon zu überzeugen, seinen WM-Titel entgegen seiner Ankündigung doch zu verteidigen. Vielmehr geht es darum, dass Carlsen in die Defensive gedrängt wird – und künftig schweigt. In die Offensive ist Hans Niemann gegangen: "Er hat mein Leben ruiniert", klagt der 19-Jährige und beteuert, all die Vorwürfe gegen ihn seien falsch, ja "verleumderisch".

    Der US-amerikanische Großmeister hat Carlsen, dessen Firma Play Magnus Group sowie seine Landsmänner Hikaru Nakamura und Danny Rensch verklagt – durchweg alle vier auf je 100 Millionen Dollar Schadenersatz (je 102 Millionen Euro). Als Grund nennt Niemann Verleumdung und üble Nachrede.

    Stimmen die Betrugsvorwürfe von Schwachweltmeister Magnus Carlsen?

    Carlsen und der Weltklassespieler Nakamura hätten seiner Karriere mit ihren Aussagen "verheerenden Schaden" zugefügt. Das trifft unbestritten zu – die Frage vor dem Richter in Missouri ist allerdings, ob zu recht oder ob die Vorwürfe aus der Luft gegriffen sind. "Hans Niemann hat in der Vergangenheit zugegeben, betrogen zu haben". Seine Klage diene nur dazu, die Schuld anderen zuzuschieben", kommentierte Carlsens Anwalt Craig Reiser die Vorwürfe gegenüber dem Wall Street Journal.

    Die Posse begann Anfang September beim Sinquefield Cup in St. Louis (Missouri). Seitdem beschäftigt sie die Schach-Szene rund um den Globus – befeuert von Mutmaßungen und neuen Informationen. Jedenfalls traf Niemann in St. Louis erstmals auf Carlsen. Der 19-jährige Newcomer, der sich als genialer Autodidakt darstellt, schlug den Weltmeister mit den schwarzen Steinen in 57 Zügen und begrub dessen Hoffnungen vorerst, die Schallmauer von 2900 Elo-Ratingpunkten zu durchbrechen. Sauer aufgestoßen dürfte dem 31-jährigen Champion auch die Lästerzunge seines Bezwingers , die der Underdog nach seiner Sensation nicht im Zaum hielt.

    Carlsen trat vom Turnier zurück. Den einmaligen Affront bedauerte der Fußball-Fan auf Twitter. Zudem konterte der Fußball-Fan mit einem sibyllinischen Zitat von Trainer José Mourinho. Das Enfant terrible verkündete in dem von Carlsen dazugestellten alten Video: "Ich ziehe es vor, nichts zu sagen. Wenn ich spreche, gerate ich in große Schwierigkeiten … und ich möchte nicht in große Schwierigkeiten geraten." Die Aussage befeuerte die Fantasie der Schach-Szene, die die Sensationspartie auf Computer-Hilfe akribisch untersuchte – zumal Carlsen bei einem folgenden Online-Turnier das Duell gegen Niemann wort- und kampflos aufgab.

    Schon bald danach wurde ruchbar, dass Niemann zweimal beim Online-Spielen auf der populärsten kommerziellen Schach-Webseite Chess.com betrogen hatte. Software erkennt zuverlässig, ob einer menschlich spielt oder dessen Züge zu häufig mit Computer-Vorschlägen übereinstimmen. Der 19-Jährige räumte die Vorwürfe unumwunden ein und ordnete sie als dumme Jugendstreiche ein, die er bedauere. Gleichzeitig versicherte Niemann, in Turnieren am realen Brett niemals betrogen zu haben. Das Geständnis wurde dadurch untergraben, dass Chess.com nachlegte und auf weitere Betrügereien selbst bei Preisgeld-Turnieren verwies. Pikant nur dabei: Chess.com will sich die Play Magnus Group, die unter anderem Chess24 betreibt, einverleiben und bot dafür rund 82,5 Millionen Dollar. Chess.com habe Niemann auf Druck von Carlsen hin von seiner Webseite und allen zukünftigen Veranstaltungen ausgeschlossen, "um Carlsens unbegründeten und verleumderischen Betrugsvorwürfen Glaubwürdigkeit zu verleihen", meint der US-Großmeister.

    Hans Niemann (rechts) und Magnus Carlsen liefern sich einen erbitterten Streit in der Öffentlichkeit.
    Hans Niemann (rechts) und Magnus Carlsen liefern sich einen erbitterten Streit in der Öffentlichkeit. Foto: Crystal Fuller/Saint Louis Chess Club, dpa

    Da Smartphones bei Turnieren verboten sind, weil sich schon zu oft Spieler mit Schach-Programmen Vorteile verschafften, müsste Niemann besonders gewitzt in St. Louis vorgegangen sein. Die beliebteste wie abenteuerlichste Theorie ist: Analperlen. Die Partien wurden live im Web übertragen. Niemanns Helfer hat, den Vorwürfen nach, die Züge in einen Rechner eingegeben und die besten Fortsetzungen per Morse-Alphabet in die Po-Backen per kurzen und langen Signalen Niemann eingeflüstert. Ob der Weltmeister buchstäblich so "verarscht" wurde?

    Magnus Carlsen startet bei der WM im "Chess960"

    Carlsen und Nakamura, der laut der Anklage als populärer Streamer die Vorwürfe gegen Niemann "verstärkt" habe, spielen unbeeindruckt von der Klage ab Dienstag bei der Weltmeisterschaft im "Chess960" auf Island mit. In Erinnerung an das "Match des Jahrhunderts" vor 50 Jahren in Reykjavik zwischen dem Russen Boris Spasski und dem Amerikaner Bobby Fischer wird die WM ausgetragen. Bei dieser wird die Startaufstellung nach bestimmten Regeln, die Fischer definierte, unter 960 möglichen Positionen ausgelost. So ist selbst die erlaubte Eröffnungsvorbereitung mit Computer-Programmen sinnlos. Aber Analperlen könnten später im Mittelspiel helfen. Der verstorbene Bobby Fischer hätte seine Freude an dem Psychokrieg.

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