In Zeiten des Abschieds wird es manchmal nicht ganz so genau mit der Wahrheit genommen. Ein von Beerdigungen bekanntes Phänomen. Dass Christian Streich am Ende der Saison seine Tätigkeit beim SC Freiburg beendet, ist selbstverständlich nicht mit dem Verlust eines geliebten Menschen gleichzusetzen – auch wenn es sich für manchen Fan der Breisgauer vorerst so anfühlen mag. Seit dem Montag ist bekannt, dass Streich die Mannschaft nur noch acht Spiele lang betreuen wird. Dann ist Schluss für den 58-Jährigen. "Ich glaube schon, dass ganz Deutschland ein bisschen traurig ist, dass er aufhört", sagt Robin Koch. Der für die Nationalmannschaft nominierte Innenverteidiger ist möglicherweise nicht ganz unvoreingenommen, avancierte er doch unter Streich vor vier Jahren zum Nationalspieler.
Dass ganz Deutschland kurz davor steht, Trauer zu tragen, trifft aber insofern nicht zu, dass etliche Schiedsrichter gar nicht einmal so sehr emotional angegriffen sein dürften vom Abschied Streichs. Schließlich macht der Coach nur selten einen Hehl daraus, wenn er seine Mannschaft bei wegweisenden Entscheidungen wie einem Einwurf auf Höhe der Mittellinie benachteiligt sieht. Nicht nur insofern gleicht Streich dem anderen bekannten deutschen Trainer, der am Ende der Saison freiwillig seinen Job aufgibt. Auch Jürgen Klopp genießt bei den Unparteiischen einen ambivalenten Ruf.
Christian Streich und das Freiburger Biotop: Das hat gepasst
Während der Coach des FC Liverpool nach einer selbst verordneten Pause wohl wieder an die Seitenlinie zurückkehren wird, sieht Streich seine Zukunft abseits der Arenen der Top-Ligen. Es fällt auch schwer, sich vorzustellen, wie Streich fernab des Freiburger Biotops in seinem breiten Alemannisch Auskunft gibt zur Frage, ob es sinnvoller ist, mit Dreier- oder Viererkette aufzulaufen – und einen Atemzug später seine Meinung zu gesellschaftlichen Entwicklungen kundtut. Streich wird der Liga fehlen. Auch und vor allem als Persönlichkeit, deren Denken nicht von den vier Außenlinien bestimmt wird. Der heutige Mainzer Sportdirektor Martin Schmidt bezeichnete Streich einst als das "Gewissen der Bundesliga".
Die mitunter feigenblättrigen Versuche von Verbänden, sich gegen Ausgrenzung zu positionieren, fanden in Streich einen Vertreter, der glaubhaft vermittelte, sich zu engagieren. All die Videoschnipsel, die von den vielen außergewöhnlichen Aussagen des Trainers zeugen, hätten es aber nicht zu derart großer Reichweite gebracht, wenn er diesen verhältnismäßig kleinen Verein nicht über die Jahre hinweg in die obere Hälfte der Bundesligatabelle geführt hätte. In den zwölf Jahren seiner Tätigkeit trotzte er einem Abstieg und zog mehrfach in den Europapokal ein.
Ihm gelang das dank einer brillanten Mischung aus Spielerentwicklung und Menschenführung – oder auch Spielerführung und der Entwicklung als Mensch. Dabei besitzt er nicht nur die Fähigkeit und den Mut, Spielern aus der eigenen Jugend eine gedeihliche Karriere zu ermöglichen, sondern fügt auch immer wieder gestandene Spieler gewinnbringend in seine Mannschaft ein.
Der SC Freiburg wird sich nach Streichs Abschied neu aufstellen
Streich war und ist der SC Freiburg. Der Verein ist in der Öffentlichkeit voll auf den Trainer ausgerichtet. Alles andere wäre bei einer Person mit einer derartigen Strahlkraft auch schwer vermittelbar. "Aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, Adieu zu sagen", so Streich in der Videobotschaft, die seinen Abschied ankündigt. Auch das eint ihn mit Klopp. Der gab auch keine Pressekonferenz zu seinem nahenden Ende beim FC Liverpool. Streich wählte einen Weg, der nicht zu viel Brimborium rund um ihn und um diesen ja immer noch idyllischen Bundesligastandort macht. Mit all den Eitelkeiten, die das Profigeschäft mit sich bringt, kann er von jeher nicht viel anfangen. Der gelernte Industriekaufmann ließ seiner Ausbildung ein Lehramtsstudium folgen und konnte gewiss die Vorzüge eines mehr als ausreichenden Einkommens genießen – machte aber nie den Eindruck, auf die Vorzüge seiner exponierten Stellung angewiesen zu sein.
Mit dem Ende der Ära Streich wird sich ein ganzer Verein neu aufstellen müssen. Der Nachfolger auf der Trainerbank soll bald bekanntgemacht werden, heißt es. Möglicherweise wird es kein überregional bekannter Name sein. Der Klub wird sich nicht mehr hinter dem einen wirkmächtigen Mann versammeln können. Das Alleinstellungsmerkmal Streich fällt weg. Darauf konnte sich der Verein lange Zeit vorbereiten, schließlich ging man auch in den vergangenen Jahren immer ergebnisoffen in die Vertragsverhandlungen mit Streich. Am Ende stand immer die Verlängerung des Kontrakts um jeweils ein Jahr. Damit ist nun Schluss. Streich steht vor einer Zäsur und der Verein ebenso. Ein bisschen traurig ist das schon.