Hallo Herr Zimmermann, es ist Ihre dritte Teilnahme an der Tour de France. Was macht diese für Sie so besonders?
Georg Zimmermann: Die Streckenführung ist auf jeden Fall mit Abstand die schwerste, seit ich teilnehme. Das ist schon eine richtige Hausnummer. Vor allem, weil die Tour von Anfang bis Ende bergig ist. Oft war es so, dass die erste Woche eher flach ist. Aber in diesem Jahr geht es gleich vom Start in Bilbao im Baskenland richtig los.
Acht Hochgebirgsetappen sind vorgesehen, mit der Rückkehr auf den Vulkan Puy de Dome nach dreieinhalb Jahrzehnten Abstinenz. Da geht nur ein schmales Sträßchen hinauf, Zuschauer sind verboten. Muss das sein?
Zimmermann: Da haben sie ein paar wilde Abschnitte gefunden. Bergauf ist es im Prinzip kein Problem, weil es zumindest nicht gefährlich ist. Man kann sich schon fragen, ob man immer die kleinsten, hintersten Straßen fahren muss oder nicht, aber solange es bergauf geht, ist es kein Sicherheitsrisiko.
Gibt es gefährliche Streckenführungen?
Zimmermann: Zwei Etappen haben eine Abfahrt ins Ziel. Das ist immer unangenehm, vor allem, wenn man um den Etappensieg oder die Zeit für die Gesamtwertung kämpft. Da wird es oft eng und gefährlich.
Dass Radrennen auch mit Lebensgefahr verbunden sein können, hat der Tod von Gino Mäder bei der Tour de Suisse ja erschreckend vor Augen geführt. Haben Sie ihn gekannt?
Zimmermann: Sehr gut sogar. Sein Tod hat mich wirklich richtig mitgenommen. Ich war auch bei der Gedenkveranstaltung in Zürich am Samstag, um hinter diesen tragischen Vorfall für mich einen Haken setzen zu können. Er war mein Jahrgang. Wir sind seit 2015 gegeneinander Rennen gefahren. Er war immer einen Ticken erfolgreicher als ich, aber wir waren gut befreundet. Es ist einfach schlimm.
War der tödliche Unfall ein Schock für Sie?
Zimmermann: Im Endeffekt war ich sehr froh, dass ich nicht bei der Tour de Suisse dabei war. Mir ist das Training am Tag danach schwergefallen, als ich es erfahren habe. Das Rennen wurde fortgeführt. Ich hätte da nicht weiterfahren können.
Müssen da die Veranstalter nicht irgendwann umdenken?
Zimmermann: Wir waren zuletzt im Trainingslager in Livigno. Das ist von der Unfallstelle nicht so weit weg. Ich bin an einem Tag an die Unfallstelle hingefahren, um eine Kerze aufzustellen. Eigentlich ist die genaue Unfallstelle nicht besonders riskant. Es ist in der gleichen Kurve ja auch ein anderer Fahrer gestürzt. Der ist ohne Verletzungen davongekommen. Für mich war es ein extrem tragischer Unfall, wo halt alles Pech der Welt auf einmal zusammenkam.
Wie können Sie das ausblenden?
Zimmermann: Mir hat es geholfen, an der Unfallstelle eine Kerze für die Familie anzuzünden und dann die Trauerfeier zu besuchen. Beides war wichtig für mich.
Sie selbst sind bei Mailand-Turin 2022 auch eine Böschung hinuntergestürzt.
Zimmermann: Ach, das war nicht vergleichbar. Es war schon richtig Hochgebirge, wo der Gino verunglückt ist. Ich bin ja nur in einen Busch reingeflogen und nicht in die Felsen.
Sie sind jetzt keiner, der lautstark fordert, dass sich etwas ändern muss. Warum?
Zimmermann: Jedes Rennrad hat zwei Bremsen. Jeder kann selbst entscheiden, wie oft er sie betätigt. In einem Massensturz steckt man nicht drin. Wenn einer vor dir einen Fehler begeht, fliegst du voll drüber. Bergauf limitieren die eigenen Beine, aber wenn eine Abfahrt ins Ziel hinuntergeht, lädt es natürlich ein, ans Limit zu gehen, um wieder zurückzukommen oder jemanden einzuholen. Ich bin kein großer Fan davon, aber am Ende entscheidet jeder selbst, wie viel Risiko er eingehen will oder wie schnell er fährt.
Sie gehen mit einem Etappensieg beim Critérium du Dauphiné in die Tour de France. Ändert das etwas für Sie?
Zimmermann: Auf jeden Fall, ich fahre mit deutlich breiterer Brust hin als in den letzten Jahren. Die Dauphine-Rundfahrt ist die inoffizielle Generalprobe der Tour de France. Wenn man da einen Abschnitt gewinnt, hat man halt einfach ein ganz anderes Standing in der Mannschaft.
Ist ein Etappensieg in diesem Jahr das Ziel bei der Tour de France?
Zimmermann: Es ist das Ziel meiner Karriere, nicht meiner diesjährigen Tour de France. Es ist ein extrem schwieriges Ziel. Aber die Vorbereitung lief super gut, mein Etappensieg gibt mir Selbstvertrauen. Ich denke, es wäre dieses Jahr eine gute Möglichkeit.
Wie sind die Aufgaben in Ihrem Team verteilt?
Zimmermann: Ganz konkret werden wir das kurz vor dem Start besprechen. Aber grob werden wir zwei Kapitäne haben. Für die Flachetappen und Sprints wird es Biniam Girmay sein, für die Gesamtwertung und Bergetappen Louis Meintjes. Aber das heißt nicht, dass wir nur als Helfer eingeteilt sind. Auch wir werden Tag für Tag unsere Möglichkeiten unter Beweis stellen können.
Wer sind Ihre Tourfavoriten?
Zimmermann: Ich stelle mich auch auf einen großen Zweikampf zwischen Titelverteidiger Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar ein. Unter normalen Umständen sehe ich niemanden, der den beiden Paroli bieten kann. Was spannend ist, beide kommen mit einem komplett unterschiedlichen Background zur Tour de France. Vingegaard hat alles gewonnen, was man gewinnen kann. .Pogacar kommt hingegen aus einer Verletzung zurück. Er hatte aber genügend Zeit, sich vorbereiten. Ich kenne den Felix Großschartner vom Team UAE ganz gut, und der hat mir ausrichten lassen, wir brauchen uns keine Sorgen um Pogacar zu machen. Mein Bauchgefühl sagt mir, Pogacar wird es machen.
Wer hat das stärkere Team hinter sich?
Zimmermann: Da würde ich eher sagen, dass Jumbo-Visma knapp vorne liegt.
Wie ist Ihr Team Intermarche einzuschätzen?
Zimmermann: Biniam ist in einer extrem guten Form. Ich traue ihm definitiv einen Etappensieg zu. Louis war bei der Dauphine-Rundfahrt Gesamtsiebter, was extrem gut ist. Da mache ich mir auch keine Sorgen.
Intermarche hatte ja einen sensationellen Saisonbeginn.
Zimmermann: Dann haben wir ein bisschen geschwächelt. Wir hatten viele Verletzungen und vielleicht auch im Februar an zu vielen Wettkämpfen teilgenommen. Im März, April waren wir alle ein wenig ausgebrannt, aber das Tour-Aufgebot ist topfit. Mit uns ist zu rechnen.