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Porträt: Wendie Renard regiert die französische Nationalmannschaft

Porträt

Wendie Renard regiert die französische Nationalmannschaft

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    Wendie Renard ist für den Zusammenhalt des französischen Nationalteams unverzichtbar geworden.
    Wendie Renard ist für den Zusammenhalt des französischen Nationalteams unverzichtbar geworden. Foto: Benjamin Cremel/Witters/Presse Sports, dpa (Archivbild)

    Die Fernsehbilder am 28. Juni 2019 ließen nicht viel Gutes erahnen. Wie Wendie Renard damals kopfschüttelnd den Platz verließ. Und nach Schlusspfiff heftig schimpfte, wobei der Adressat ihres Zorns unschwer auszumachen war: Frankreichs Nationaltrainerin Corinne Diacre hatte im Pariser Prinzenpark kein glückliches Händchen gehabt, als das Viertelfinale bei der Heim-WM gegen die USA verloren ging. Zweimal hatte Megan Rapinoe für den späteren Weltmeister getroffen, ehe die in der Not nach vorne geschickte Renard nur noch verkürzen konnte. An diesem Freitagabend sah ein Millionenpublikum, dass es im französischen Gefüge nicht stimmte.

    Wendie Renard gewann bereits acht Mal die Champions League

    Drei Jahre später bei der EM in England sind vor dem Halbfinale Deutschland gegen Frankreich (Mittwoch 21 Uhr/ZDF) die Spielerin Renard und die Trainerin Diacre immer noch da. Sie sind sogar einen Bund eingegangen. Nur erscheint die Nummer drei, und das nicht allein wegen ihrer 1,87 Meter, größer denn je. Sie ist Abwehrchefin und Kapitänin, Führungskraft und Integrationsfigur. Haben sich Stars wie Torhüterin Sara Bouhaddi, Amandine Henry oder Eugénie Le Sommer mit der intern auch schon als „Drache“ titulierten Nationaltrainerin überworfen, bekam Renard die Versöhnung hin. Es brauchte indes die persönliche Vermittlung des Verbandspräsidenten Noël Le Graët.

    Corinne Diacre (rechts) ist die Frauen-Nationaltrainerin Frankreichs.
    Corinne Diacre (rechts) ist die Frauen-Nationaltrainerin Frankreichs. Foto: Fred Tanneau, dpa (Archivbild)

    Für die 32-Jährige, die für „Les Bleues“ unter dem leutseligen Bruno Bini debütierte und bereits bei der WM 2011 in Deutschland elegant verteidigte, sind diese EM und die WM 2023 vielleicht die letzten Möglichkeiten, endlich das viele Talent der französischen Fußballerinnen in einen Titel zu überführen. Dass es elf lange Jahre brauchte, um nach einem vierten WM-Platz überhaupt das Halbfinale einer EM oder WM zu erreichen, hat eben auch mit mentalen Defiziten in Drucksituationen zu tun. Die 135-fache Nationalspielerin Renard kennt das Gefühl nur zu gut, wenn im entscheidenden Moment es nicht funktionierte, weil die Blöcke aus Paris und Lyon nicht harmonierten. Dann hilft es auch nicht, dass sie im Verein schon so viele Trophäen stemmte und allein acht Mal die Champions League gewann, in der sie mit 102 Einsätzen auch die Rekordspielerin ist.

    Der „Kontrollturm“, wie sie die Mitspielerinnen rufen, nimmt auch abseits des Platzes eine immer wichtigere Rolle ein, seitdem sie ihre Stimme im Kampf gegen Rassismus erhebt. Für die Uefa-Kampagne gegen Diskriminierung und Gewalt in den sozialen Medien geht sie voran. „Eine Beleidigung ist eine Beleidigung, egal ob in den sozialen Medien oder im Alltag. Wenn jemand etwas Schlechtes sagt, kann man sich nicht vorstellen, was das anrichten kann.“ Sie hat es oft leidvoll erfahren.

    Renard spielte als Jugendliche bereits für Lyon in der ersten Liga

    Sie wuchs im Übersee-Department Martinique auf, wo sie mit den Jungs beim Kicken gegen alles trat, was rollte. Plastikflaschen oder Bälle. Als sie acht Jahre alt war, starb ihr Vater an Krebs. Sie kam als Teenagerin von der Karibik-Insel nach Frankreich und hatte es anfangs nicht immer einfach. Auch im Fußball blieb manche Tür verschlossen, wie die zur berühmten Akademie in Clairefontaine. Dort handelte sie sich mit 14 noch eine Absage ein, aber mit 16 spielte sie bereits für Lyon in der ersten Liga – dort hatte man ihr den Zutritt zum Nachwuchsleistungszentrum nicht verwehrt. Seitdem hat sie Olympique nie verlassen und ist das Gesicht des Klubs geworden.

    Ihre größten Stärken sind eine enorme Ruhe am Ball, ein exzellentes Stellungsspiel und ein erstaunliches Zweikampfgeschick. Renard kommt bei der EM auf eine Passquote von 92 Prozent, 31 Bälle hat sie erobert, 22 Situationen geklärt und vier Tacklings gemacht. Die meisten Gegner zollen ihr – naturgemäß auch wegen ihrer imposanten Erscheinung – riesigen Respekt. Die deutsche Nationalspielerin Sara Däbritz, ihre künftige Klubkollegin in Lyon, sagte jetzt: „Wendie Renard ist eine absolute Führungsspielerin und Vorbild. Wir müssen bei Standards gut verteidigen, weil sie über ein gutes Kopfballspiel verfügt.“

    Wendie Renard (Mitte) ist stark im Kopfballspiel.
    Wendie Renard (Mitte) ist stark im Kopfballspiel. Foto: Francisco Seco/AP, dpa (Archivbild)

    In der Luft ist sie in einer anderen Liga unterwegs. Wenn nichts mehr geht, rennt Renard nach vorne. Vermutlich wird sich die deutsche Kapitänin Alexandra Popp als eine der weltbesten Kopfballspielerinnen sich ihrer annehmen. Es könnten also auch am 27. Juli 2022 wieder Fernsehbilder von großem Erinnerungswert entstehen.

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