Der Wettbewerb im Para-Badminton steht am nächsten Vormittag an, doch ausgerechnet am Vorabend bricht der Rahmen des Rollstuhls eines Athleten an zwei Stellen. Seine Stress-Kurve rast nach oben: Seit Jahren hat er auf diesen Moment, seine Teilnahme bei den Paralympischen Spielen in Paris, hin trainiert – und dann soll ihn die Technik davon abhalten, alles geben zu können? Ein Leih-Rollstuhl wäre eine suboptimale Lösung, denn sein eigener ist an ihn angepasst, damit er sicher darin sitzt und zugleich möglichst viel Bewegungsfreiheit hat. „Da kamen unsere Techniker auch ins Schwitzen, um quasi über Nacht die Reparatur zu schaffen“, erzählt Merle Florstedt, Leiterin für die Kommunikation und Unternehmenssprecherin bei Ottobock, von dieser Begebenheit von vor ein paar Tagen. „Es hat aber noch geklappt.“
Werkstatt bei den Paralympics: Repariert wird alles, was kaputt ist
Das deutsche Unternehmen mit Sitz im niedersächsischen Duderstadt ist seit 1988 Partner des Internationalen Paralympischen Komitees und stellt bei den Sommer- und Winterspielen den technischen Service für die Athletinnen und Athleten. „Wir reparieren alles, Prothesen, Orthesen, die unterstützend wirken, Rollstühle, jegliche Ausrüstung egal von welchem Hersteller und beschränken uns dabei nicht nur auf Sport-Prothesen“, so Florstedt.
In Paris befindet sich die Hauptwerkstatt, der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kürzlich einen Besuch abgestattet hat, inmitten des Paralympischen Dorfs im Norden der französischen Hauptstadt. Mit insgesamt 164 Leuten aus 41 Nationen, die 32 verschiedene Sprachen sprechen, ist das Unternehmen vor Ort. Für die Nutzer ist der Service kostenlos. Dafür darf Ottobock als Partner der Paralympics auftreten und mit deren Logo werben.
Die Türe im Paralympischen Dorf steht fast immer offen
Im Gegensatz zu den Athleten-Wohnungen steht die Tür zur Werkstatt zwischen 8 und 23 Uhr fast immer offen. Es herrscht ein quirliges Kommen und Gehen. Im Eingangsraum gibt es einen Wartebereich mit Holzwürfel-Spielen für alle, die für eine schnelle Reparatur, wie das Aufpumpen von Rollstuhl-Reifen, hier sind. „Manchmal dauert es aber auch Stunden“, so Florstedt. „Wir haben insgesamt 62 Leihrollstühle mitgebracht, die meisten sind mittlerweile unterwegs.“ Rollstühle machten bislang fast 60 Prozent aller Aufträge aus. Als Neuheit haben die Techniker zudem spezielle Fahnenhalterungen gebaut: „Bei der Eröffnungsfeier der Paralympics sind die Fahnenträger häufig Rollstuhlfahrer, aber sie können nicht gleichzeitig die Fahne halten und ihren Rollstuhl anschieben. Jetzt haben wir eine Lösung gefunden.“
Die Werkstatt verfügt über eine Schneiderei mit einer klassischen und einer Leder-Nähmaschine, etwa um Sitzpolster zu reparieren oder Leder-Riemen zu ersetzen, die die Rollstühle von Athleten aus manchen Ländern zusammenhalten. Weiter hinten wird an einer Werkbank gehämmert. Hier entsteht gerade ein neuer Schaft, das individuell anzupassende Verbindungsstück zwischen dem Stumpf und der Prothese. In einem Ofen wird das Kunststoffmaterial erhitzt und dann über eine Abgussform ein erster Test-Schaft gezogen, der geschleift werden muss. Der Definitiv-Schaft wird im Anschluss auf einem Gipsabdruck gefertigt.
Über 500 Reparaturen schon in den ersten vier Tagen der Paralympics
„Die Werkbänke sind stets gleich aufgebaut und alle Werkzeuge an Ort und Stelle – wir haben 164 Leute, die das richtige Gerät mit einem Griff zur Hand haben müssen“, erklärt Florstedt. Es gilt keine Zeit zu verlieren, denn der Bedarf ist groß: Allein in den ersten vier Tagen wurden 500 Reparaturen durchgeführt, nach zwölf Tagen waren es rund 1500. An diesem Sonntag enden die Paralympics. Außenstellen gibt es zudem in 14 Wettkampfstätten in und um Paris, um schnell reagieren zu können.
Das Lager für mehr als 15.000 Ersatzteile liegt hinter der Werkstatt. Rollstuhlreifen, Sportfüße, Sportfedern oder Kniegelenke liegen jeweils an ihrem Platz. Hier steht auch eine Kiste voller alter Hilfsmittel, die die Sportlerinnen und Sportler abgegeben haben. Eine der Fußprothesen ist mit bunten, afrikanischen Bändern geschmückt. Sie werden nicht weggeworfen, sondern von Mitarbeitern aus der Abteilung Forschung und Entwicklung untersucht, erzählt Kevin Hiegemann, der im Lager arbeitet. „Gerade in Ländern, wo die medizinische Versorgung nicht so gut ist, werden Prothesen oft sehr lange getragen. Wenn so ein hydraulisches Element staubtrocken ist, hilft das Verständnis darüber, was daran genau kaputtgegangen ist, für die Weiterentwicklung.“ Es ist ein Geben und Nehmen, das allen nutzt – und der olympischen Idee entspricht, dass alle an einem Strang ziehen.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden