Die olympische Flamme ist längst erloschen, emotionale Tage voller Höhen oder Tiefen liegen hinter Sportlerinnen und Sportlern. Und jetzt? Die Rückkehr in den Alltag ist nach den famosen Frankreich-Spielen eine anspruchsvolle Herausforderung, viele Athletinnen und Athleten erleben dabei eine große Leere. Rekord-Olympiasieger Michael Phelps rückte das Thema der Post-Olympic-Depression vor Jahren schon in den Fokus. Der 23-malige Goldmedaillengewinner aus den USA verfiel nach den vier triumphalen Spielen stets in Phasen tiefer Depressionen.
Ein Eisbergmodell
Zwar reden immer mehr über ihre Leiden, aber die Dunkelziffer ist hoch. «Es ist das berühmte Eisberg-Modell. Man sieht ein paar Leute, die darüber sprechen, aber den größeren Teil sieht man nicht», sagte Psychologin Marion Sulprizio der Deutschen Presse-Agentur. «Das Thema der Post-Olympic-Depression ist für viele Sportler und Sportlerinnen ein Tabu-Thema. Aber das ist bei vielen psychischen Erkrankungen der Fall. Die Sorge vor einer Stigmatisierung ist groß.»
Australische Forschende berichteten vor drei Jahren, dass Post-Olympia-Depressionen keine Seltenheit sind. In strukturierten Interviews erklärten Athletinnen und Athleten ihnen, dass sie sich in der ersten Zeit nach Olympia häufig deprimiert und einsam fühlten. Sie vermissten das Team und sahen sich plötzlich mit viel freier ungeplanter Zeit konfrontiert.
«Kenne viele, die in ein Loch gefallen sind»
«Ich kenne viele Sportlerinnen und Sportler, die nach Olympischen Spielen in ein Loch gefallen sind», sagte Britta Steffen, Doppel-Olympiasiegerin von 2008, der Deutschen Presse-Agentur. «Ich hatte das Glück, dass ich mir frühzeitig die Unterstützung von Dr. Friedrike Janofske als Mentaltrainerin gesucht habe. Wir haben gemeinsam immer an neuen Zielen gearbeitet, an einem neuen Fokus. Ich habe mich immer auf die Zeit nach Olympia gefreut, weil ich dann mehr Zeit für das Studium hatte. Das war 2008 nach Peking und 2012 nach London so.»
Aber auch Steffen erlebte harte Stunden. «Ich selbst habe eine kleine Depression nach den Olympischen Spielen 2004 in Athen erlebt. Das waren meine zweiten Olympischen Spiele und die waren total verkorkst», erinnert sich die 40-Jährige. Angeschlagen konnte sie nicht die angestrebten Leistungen bringen. «Nach meiner Rückkehr habe ich gezweifelt und überlegt: Willst du das noch ein drittes Mal machen und bei Olympia hinterher schwimmen? Das war vielleicht ein kleines post-olympisches Tief.» Sie machte weiter - und feierte Olympiasiege, WM-Titel, Weltrekorde.
Olympia-Routinier: Neulinge sind mehr gefährdet
Die beklemmenden Schilderungen von US-Star Phelps zeigen, dass es auch den Erfolgreichsten treffen kann. Nach Ansicht von Olympia-Routinier Ulli Knapp, Trainer von Malaika Mihambo, sind Debütanten stärker gefährdet. «Sportler, die zum ersten Mal bei Olympia dabei sind, fallen recht schnell in ein Loch, anders als wenn man diese Erfahrung schon mal gemacht hat. Neulinge werden oft regelrecht erschlagen von dem Riesenereignis Olympia», sagte Knapp der dpa.
Knapp erlebte acht Olympische Spiele in Folge und viel Rummel. «Wenn man dann bei der Einkleidung auf Steffi Graf oder Dirk Nowitzki trifft, sind das besondere Erlebnisse. Man spürt selbst viel von der Strahlkraft dieser außergewöhnlichen Athleten», betonte Knapp. «Wenige Wochen später kehrt wieder der normale Alltag ein – das ist eine Erfahrung, die nicht immer leicht zu verarbeiten ist. Das sind Eindrücke, mit denen man lernen muss, umzugehen.»
Umgang mit Druck lernen
Auch die Art und Weise der Saisonfortsetzung kann Einfluss haben. Mihambo, die nach Olympia-Gold in Tokio jetzt in Paris Silber gewann, will die aktuelle Saison wie geplant zu Ende bringen - nachdem sie sich von ihren Corona-Strapazen erholt hat. Nach den Spielen 2021 hätte sie sich besser früher in den Urlaub verabschiedet.
«Die Tokio-Saison war für mich sehr hart. Ich musste mit mir selbst kämpfen und damals noch lernen, mit dem Druck von außen umzugehen. Danach war ich komplett am Ende. Rückblickend wäre es besser gewesen, nach den Olympischen Spielen an Ort und Stelle zu sagen, es war schön und wir sehen uns nächstes Jahr wieder», berichtete Mihambo dpa. «Aber das sind Erfahrungen, die man sammelt. Ich habe dadurch etwas länger gebraucht, um aus meiner Post-Olympic-Depression herauszukommen.»
Phelps: 80 Prozent betroffen
Phelps, das große Gesicht der Dokumentation «The Weight of Gold» («Das Gewicht des Goldes»), engagiert sich dafür, dass psychische Erkrankungen ihr Stigma verlieren. Er stellte die These auf, dass vier von fünf Sportlern eine Art post-olympische Depression durchleben.
Er selbst teile seine Erfahrungen und habe die Chance, andere Menschen zu erreichen und Leben zu retten. Diese Momente und Emotionen seien «um Lichtjahre besser als der Gewinn einer Goldmedaille bei Olympia», sagte er einmal. Seinen Tiefpunkt erlebte Phelps nach Olympia 2012 in London, als er erstmals zurücktrat. «Es gab einen Teil meines Lebens, da wollte ich nicht am Leben sein», sagte er.
Angebote werden noch nicht optimal genutzt
«Die Psychologie und die Sportpsychologie haben viele Angebote und leisten Präventivarbeit. Für die Sportlerinnen und Sportler ist es wichtig, das Mindset auf das, was kommt, vorzubereiten», sagte Sulprizio. «Die Angebote gibt es. Die Nutzung ist noch nicht optimal, da ist Luft nach oben.» Grundsätzlich seien Menschen im Sport von psychischen Erkrankungen genauso wie die Gesamtbevölkerung betroffen: also etwa jeder Fünfte.
Judoka Anna-Maria Wagner schaffte es mit professioneller sportpsychologischer Hilfe zurück auf die Matte. Hart hatte sie es nach den Spielen in Tokio erwischt, von denen sie als zweimalige Bronzemedaillengewinnerin zurückgekehrt war. «Dann war es erst zwei Wochen schön, da hat man dies und das gemacht. Es gab Ehrungen - und dann kam nichts», beschrieb sie wiederholt. Nach ihrem medaillenlosen Abschneiden in Paris will sie in diesem Jahr «auf jeden Fall keinen Judoanzug mehr anziehen», sagte sie unter Tränen. Aber die Momente als Fahnenträgerin werden sicher ewig für sie in positiver Erinnerung bleiben.
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