In Frankreich zirkuliert ein Foto von Präsident Emmanuel Macron am Rednerpult, neben ihm fliegt eine Friedenstaube und in einer Sprechblase werden ihm folgende Worte in den Mund gelegt: „Ich erkläre offiziell die olympische Feuerpause für eröffnet.“ Immer wieder hat Macron dafür geworben, während der Olympischen Spiele vom 26. Juli bis 11. August in Paris weltweit die Waffen ruhen zu lassen. Auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) sprach sich für „die Suche nach friedlichen und diplomatischen Lösungen für die Konflikte, die in der Welt wüten“, aus.
Soll die Mega-Veranstaltung eigentlich universal, neutral und unpolitisch sein und die Völker losgelöst von allen Auseinandersetzungen miteinander verbinden, so war dieser Vorsatz oft nicht einhaltbar. Das wird aller Voraussicht nach auch für die diesjährige Ausgabe gelten, insbesondere mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Deshalb beschloss das IOC Auflagen für Athleten aus Russland und dessen Verbündeten Belarus. Sie werden von der Parade bei der Eröffnungsfeier ausgeschlossen, dürfen in Paris nur unter neutraler Flagge starten, ihre Hymnen werden nicht gespielt, nationale Symbole sind verboten, Mannschaften nicht zugelassen. Von Russen und Belarussen gewonnene Medaillen tauchen nicht im Medaillenspiegel auf.
Erwartet werden 30 bis 40 Athleten aus Russland sowie 20 bis 30 aus Belarus, gegenüber rund 330 und 104 bei den letzten Sommerspielen in Tokio 2021. Diejenigen, die sich qualifiziert haben, werden einer mehrstufigen Überprüfung unterzogen, unter anderem hinsichtlich ihrer Aktivitäten in den sozialen Medien, um sicherzugehen, dass sie den Krieg nicht aktiv unterstützen – auch das ist eine Vorbedingung. Nicht zugelassen werden dürfte etwa der Schwimmer und mehrfache Goldmedaillen-Gewinner Evgeny Rylov, der sich 2022 bei einer Pro-Putin-Veranstaltung mit einem Z-Symbol als einem Erkennungsmerkmal der Unterstützung des Kriegs zeigte. Eine Arbeitsgruppe des ukrainischen Sportdachverbands und des Sportministeriums hilft beim Sammeln von Informationen.
Russische Athleten starten bei Olympia: Ukraine kritisiert das Vorgehen des IOC
Vertreter der Ukraine kritisierten, dass russische Athleten überhaupt an den Start gehen dürfen. „Das IOC hat mit diesen Regeln versucht, das Land zu sanktionieren und nicht die Athleten“, sagt Lukas Aubin, Forschungsdirektor am französischen Institut für internationale Beziehungen IRIS, spezialisiert auf Sport und Geopolitik sowie auf Russland. In der Vergangenheit wurden immer wieder Staaten von den Olympischen Spielen ausgeschlossen, wie Jugoslawien 1992 und 1994 oder Südafrika 1964 aufgrund der Apartheidpolitik. „Doch Russland ist spezifisch, weil es sich um eine der größten Sport-Nationen der Welt handelt.“
Präsident Wladimir Putin, der sich in der Vergangenheit selbst beim Eishockey-Spielen oder beim Judo-Training ablichten ließ, nutze den Sport als Machtinstrument. Die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi oder der Fußball-WM 2018 markierten Aubin zufolge die Rückkehr Moskaus auf die Weltbühne: „Auf diese Weise konnte Putin seine Erzählung eines großartigen Russlands schaffen.“ Dass ihm diese Möglichkeit nun genommen werde, erlebe der Kreml-Chef als Erniedrigung.
Russland geht aggressiv gegen IOC-Präsident Bach vor
Tatsächlich blieben die Reaktionen nicht aus: Seit Monaten gibt es verbale und Cyber-Attacken und Drohungen aus Russland gegen das IOC und dessen Präsidenten, den Deutschen Thomas Bach, der lange als Kreml-Vertrauter galt. „Die Aggressivität der russischen Regierung mir gegenüber wächst jeden Tag“, sagte Bach im März in einem Interview. Beschimpfungen von „Faschist“ bis hin zu „Zerstörer der olympischen Bewegung“ kämen auch von höchster Ebene. Bach stellte bei der Gelegenheit klar, dass für Israel keine Boykott-Regeln gelten, da das Olympische Komitee des Landes die Olympische Charta nicht verletzt habe – anders als das russische durch die Aufnahme der vier annektierten ukrainischen Gebiete.
Die russischen Athletinnen und Athleten befinden sich Lukas Aubin zufolge in einer heiklen Zwischenlage: „Einerseits haben sie an ihre Karriere zu denken, da sie seit Jahren für diese Spiele trainieren, andererseits könnten sie in Russland als Verräter angesehen werden, wenn sie teilnehmen.“ Wenden sie sich offen gegen das Regime, bringen sie sich, ihre Karriere und ihre Familien in Gefahr. Nur wenige, wie der in Monaco lebende Tennisprofi Daniil Medvedew, wagen es, ihr eigenes Land offen zu kritisieren. 2023 sprach er nach einem Match von seinem „Mitgefühl für alle ukrainischen Spieler und für das, was sie durchmachen müssen“. Medvedew will im Sommer in Paris antreten.