Da stand sie nun wie ein Häuflein Elend in der Mixed-Zone des olympischen Wassersportstadiums Vaires-sur-Marne im Osten von Paris: Ricarda Funk, die Kajak-Olympiasiegerin von Tokio 2021, aufgelöst und mit einem blutverkrusteten Cut am Nasenrücken, den sie sich in einem der letzten Kajak-Cross-Trainingseinheiten zugezogen hatte. Ausgelaugt und gezeichnet von den physischen wie psychischen Anstrengungen ihres zweiten Olympiaeinsatzes, von dem sie sich so viel versprochen hatte. Vor drei Jahren war sie noch als strahlende Siegerin mit einer Goldmedaille um den Hals von den Spielen in Asien zurückgekommen, jetzt übermannte sie die Enttäuschung, als feststand, dass sie diesmal ohne Medaille nach Hause fahren würde.
„Die ganze Woche war brutal. Eigentlich war jeder Tag schon fast schmerzhaft. Ich habe jeden Tag mit ein paar Tränen begonnen. Aber ich habe versucht, diesen Schmerz in den Cross zu packen. Ich habe versucht, die Energie zu nutzen, die gerade in mir ist, und den Kopf nicht in den Sand gesteckt. Ich bin wirklich mit Kraft und Energie an den Start gegangen, in der klaren Absicht, meine Medaille doch noch zu holen. Aber es sollte irgendwie nicht sein hier in Paris“, sagte sie schluchzend.
Alle Anstrengungen von Kanutin Ricarda Funk waren vergebens
Vergebens waren all die Entbehrungen und Anstrengungen, die die 32-jährige gebürtige Rheinländerin, die für ihren Heimatverein, den KSV Bad Kreuznach startet, aber seit vielen Jahren in Augsburg lebt und trainiert, auf sich genommen hat. Dabei hatte sie so gehofft, nach ihrer Corona-belasteten Olympia-Premiere in Asien endlich eine eindrucksvolle Stimmung genießen zu können.
Die Kulisse war da, denn in Frankreich bevölkerten fast täglich 14.000 Menschen die riesigen Stadiontribünen und sorgten für eine einzigartige Atmosphäre. Doch diesmal konnte Funk ihr herausragendes Vermögen im Wildwasserkanal nicht abrufen. Schon im Kanuslalom, in ihrer Paradedisziplin im Kajak Einer, glitt ihr das Finalrennen durch die Finger, als sie aufgrund eines Zeitrückstands zu viel Risiko einging und eine 50-Sekundenstrafe wegen eines nicht korrekt durchfahrenen Tors kassierte. Ein solches Missgeschick ist Funk in so einem entscheidenden Moment in den vergangenen Jahren nie unterlaufen.
Im Kajak-Cross-Halbfinale bekam Ricarda Funk die stärkte Gruppe zugelost
Doch irgendwie war in diesen Olympischen Spielen 2024 der Wurm drin. Denn auch im Kajak Cross lief es nicht, wie erhofft. Dabei zeigte die erfahrene Kanutin in den Vorläufen, den Heats, dieser neuen spektakulären Olympia-Sportart, dass auch sie im Boot Zähne zeigen kann. Bis zum Halbfinale lief alles glatt. Dann aber bekam Funk die von der Papierform stärkste Gruppe zugelost – mit Noemie Fox, der nicht viel minder begabten Schwester der zweifachen Olympiasiegerin Jessica Fox aus Australien, Luuka Jones aus Neuseeland und Maialen Chourraut aus Spanien.
Vor allem letzte bremste Funk im Halbfinale auf dem Weg um die Tore dermaßen aus, dass Funk nicht nur mehrmals ihre Linie verlor, sondern auch noch die Bootsspitze der Spanierin in die Wange geknallt bekam. „Ich merke, dass ich etwas ins Gesicht bekommen habe, aber es ist jetzt nicht so, dass ich brutale Schmerzen habe“, sagte Funk anschließend.
Täglich hat Ricarda Funk in Paris im Kajak-Cross-Boot für ihren Olympia-Einsatz geübt
Der Kajak Cross war bisher nie die Lieblings-Disziplin der filigranen Kajak-Spezialistin, die im Kanuslalom eigentlich immer mit traumwandlerischer Konstanz durch den Stangenwald paddelt. Trotzdem hatte sie sich mit allem Ehrgeiz in diese junge Kampfsport-Disziplin auf dem Wasser geworfen. „Ich habe mich nach dem Kanuslalom jeden Tag ins Cross-Boot gesetzt. Ich habe an meiner Kenterrolle geübt. Ich war sehr entschlossen und habe nochmal alles gegeben, um doch noch meinen Traum wahr werden zu lassen“, beschrieb Funk ihren unbedingten Willen. Doch im Kampf gegen ihre drei Halbfinal-Konkurrentinnen kam sie nur als Dritte ins Ziel, und wurde dann noch auf den letzten, vierten Platz gesetzt, weil sie sich unterwegs erneut einen schwerwiegenden Fehler eingefangen hatte.
Da konnte sie dann auch niemand mehr richtig trösten, selbst wenn von allen Seiten aufmunternd Worte kamen. Auch Kanu-Bundestrainer Klaus Pohlen konnte nicht verhehlen, wie nah es ihm ging, dass seine sonst so souveräne und erfolgreiche Athletin bei den Spielen dermaßen unter die Räder geriet. „Mir tut es leid um Ricarda. Das wäre eigentlich ihr Ding gewesen. Sie hat es in den Vorläufen ja gezeigt. Am Start ist sie erstmal weg und wird dann abgeschossen. Das ist in dieser Sportart so. Aber ich bin trotzdem stolz, eine Sportlerin wie sie ein Stückchen ihres Weges begleiten zu dürfen. Sie ist eine herausragende Persönlichkeit im Sport und außerhalb.“
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