Als letzter Starter des deutschen Kanuslalom-Teams ging Kajakfahrer Noah Hegge von den Kanu Schwaben Augsburg in seinen olympischen Wettkampf. Mit einem schnellen Lauf im Halbfinale setzte er sich an die komfortable Position zwei und ging als vorletzter Starter ins Medaillenrennen. Dort allerdings kassierte er wie schon im Halbfinale an Tor 16 zwei Strafsekunden wegen einer Berührung. Danach kam Hegge aus der Spur, kassierte noch einen weiteren Fehler und landete schließlich auf Rang neun. Somit hat der 25-Jährige seine Olympia-Premiere auf Rang neun abgeschlossen.
„Es hat Spaß gemacht, da oben zu stehen. Gerade wenn der Franzose vor einem fährt, da ist es laut. Das macht richtig Bock“, sagte Hegge, der sich zum sportlichen Ziel gesetzt hatte, das Finale zu erreichen. Dort wäre ein besserer Platz durchaus drin gewesen. „Dass es nach unten raus wieder nicht ganz klappt und ich wieder das Tor 16 berühre, ist verdammt ärgerlich.“ Nach dem Halbfinale hatten er und sein Trainer Paul Böckelmann die Anfahrt auf das verflixte Tor zwar umgestellt, dennoch machte es dem Augsburger Probleme. „Dann musste ich unten raus puschen und sattel nochmal eine Strafe drauf. Ich weiß gar nicht wo. Es ist natürlich ärgerlich, dass man als Neunter rausgeht. Aber ich war schon sehr sehr happy, dass ich überhaupt hier am Start bin.“
Noah Hegge, Ricarda Funk und Elena Lilik starten bei Kajak Cross
Zu Ende ist die olympische Reise für ihn damit aber noch nicht. Denn gleich am Freitag geht es mit den Wettkämpfen im Kajak Cross weiter. Für den ist Hegge ebenso qualifiziert wie seine Teammitglieder Ricarda Funk, Stefan Hengst und die Silbermedaillengewinnerin im Canadier Einer, Elena Lilik. Alle können dort noch einmal um Edelmetall fahren. „Es geht darum, dass ich meinen Modus und meine Fahrweise mitnehme und nicht darum, was die anderen machen“, sagt Hegge zu seinem Plan. Kajak-Cross ist die jüngste olympische Disziplin im Kanusport. Ihre Vorzüge: actiongeladen, spektakulär und TV-tauglich, wie die Bilder aus Vaires-sur-Marne am Freitag ab 15.30 Uhr zeigen werden. Hegges Kollege Stefan Hengst bringt es auf den Punkt: „Es wird eine geile Show.“
Die Idee folgt dem Trend des Internationalen Olympischen Komitees, mehr die jüngere Klientel zu bespaßen und ist zunächst äußerst simpel: Vier Männer oder Frauen stürzen sich nach dem Signal von einer mehreren Meter hohen Startrampe ins Wasser, wo es beim Aufprall mächtig rumst und knallt. Wer als Erster im Ziel ist, gewinnt im Idealfall.
Weil aber auf dem Weg dorthin bei extremen Taktik-Spielchen von Rammen bis Stangen wegboxen vieles erlaubt ist, sind neben Kraft und Schnelligkeit auch Ellbogen gefragt. Auch Glück hilft. „Es bleibt nicht aus, dass man mal ein Paddel im Gesicht oder eine Bootsspitze in den Rippen hat. Das ist nicht so cool“, sagt Ricarda Funk, die nach ihrer Enttäuschung im Kajak-Einer neben Silberfrau Elena Lilik einen zweiten Einsatz bekommt.
Kontaktsportart als Gegensatz zum filigranen Kanuslalom
Voraussetzung für gute Platzierungen: Es gelingt, im Kopf den Schalter umzulegen. Bitte einmal auf Reset drücken. Nicht nur die 18 Kilo-Polyethylen-Boote sind mit ihren maximal 2,74 Meter kleiner und wendiger, auch der Fahrstil im Cross – in seinen Anfängen Extrem-Kanuslalom und Boater-Cross tituliert – ist völlig konträr zum filigranen Kanuslalom. Genau genommen sogar wider der Natur der Kanuten, denn sie sind dazu erzogen, die Stangen nicht zu berühren. Jetzt müssen sie sie wegschlagen, weil sie sonst chancenlos sind. „Beim Cross bin ich mörder-nervös, weil das so unvorhersehbar ist, da habe ich noch drei direkte Gegner“, sagt Ricarda Funk, „aber es ist eine Bereicherung für unseren Sport. Eine Kontaktsportart – das Traditionelle fällt mal weg.“
Davon sind nicht alle Kanuten begeistert, denn in der Renn-Sparte sind dafür die Sprints weggefallen. Auch Kanuslalom-Cheftrainer Klaus Pohlen, selbst im Wildwasser groß geworden, hat eine klare Haltung: „Wir haben als Kinder gelernt, im Wasser Rücksicht zu nehmen und niemanden über den Haufen zu fahren. Jetzt lernen wir den Kindern genau das. Mir ist das fast zuwider. Man kann schon kritisieren, wenn sich Leute mit dem Paddel gegenseitig aufs Maul hauen, das finde ich nicht in Ordnung. Die Seele des Sports geht da etwas verloren.“ Weil es aber um zwei zusätzliche Medaillen-Chancen geht, hat Klaus Pohlen eine „professionelle Einstellung“.
Nachholbedarf bei Regelwerk und Schiedsrichterei von Kajak-Cross
„Eine olympische Medaille ist eine olympische Medaille“, meint Frauen-Trainer Thomas Apel zum Stellenwert von Kajak-Cross im Portfolio. Und als Randsportart kämpfen die Kanuten stets auch um (Medien-)Präsenz. „Deswegen müssen wir uns gerade den Trends und Ideen stellen“, sagt Sportdirektor Jens Kahl, „dieser Wettbewerb bietet da sehr viel, gerade, was junge Menschen ansprechen könnte.“ Und doch weiß auch er um die recht kurze Entwicklungszeit der Disziplin. Besonders beim Regelwerk gibt es noch Nachholbedarf, weil alles aufgrund des rasanten Aufstiegs hopplahopp gegangen ist. „Das ganze Regelwerk und die Schiedsrichterei sind noch nicht ganz so ausgegoren“, sagt Kahl.
Wenn der Erste im Ziel nicht der Erste ist, weil er irgendwo auf der Strecke einen Fehler gemacht hat und disqualifiziert wird, müssen das die Zuschauer schnell vermittelt bekommen. Sonst geht die Spannung verloren und es tritt ein ähnlicher Effekt wie beim Videoschiedsrichter im Fußball ein. „Das finde ich dann nicht so schön“, meint Kahl. Genauso, wie ihm die Tatsache weder behagt noch logisch erscheint, dass unter bestimmten Umständen ein disqualifizierter Kanute doch weiterkommt, weil die Felder voll sein müssen. Für Spannung wird also gesorgt sein, so oder so. Denn: „Optisch und von der Dynamik wird das ein Highlight bei Olympia“, sagt Frauen-Trainer Apel.
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