„Leben heißt nicht zu warten, dass der Sturm vorüberzieht, sondern lernen, im Regen zu tanzen.“ Nie passte der Ausspruch des römischen Philosophen Seneca besser als am Freitagabend in Paris, als die männliche Primaballerina Guillaume Diop auf dem Dach des Rathauses fast zu schweben schien, so als prasselte nicht das Wasser vom Himmel. Die tänzerische Darbietung der ersten schwarzen Primaballerina der Pariser Oper in Turnschuhen war nur einer der vielen Höhepunkte der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in der französischen Hauptstadt.
Regisseur Thomas Jolly hatte ein rauschendes Fest mit etlichen historischen und literarischen Anspielungen erdacht, um Frankreich vor den rund zwei Milliarden Fernsehzuschauern in aller Welt und 350.000 Gästen vor Ort strahlen zu lassen. „Umwerfend“ titelte die Zeitung Le Parisien und gab damit eine weitverbreitete Stimmung wieder; wenn auch nicht alle begeistert waren. Kritik an einigen Szenen kam vonseiten rechter und rechtsextremer Kreise und der katholischen Kirche. Auch die Reaktionen zeigen, wie politisch die Vorstellung war, während die Delegationen mit 6800 Athletinnen und Athleten auf Booten sechs Kilometer lang die Seine entlangfuhren, lautstark bejubelt vom Publikum – und selbst ebenso laut zurück jubelnd. Die Innenstadt um die betroffene Zone war abgeriegelt worden, insgesamt 45.000 Sicherheitskräfte an dem Abend im Einsatz.
Spektakel in Paris: Guillaume Diop tanzt durch den Regen
Obwohl das Spektakel knapp vier Stunden dauerte, ging es Schlag auf Schlag. US-Sängerin Lady Gaga auf einer goldenen Treppe, zunächst verdeckt hinter rosa Federn, eröffnete die Schau. Ihre Version von „Mon truc en plume“ der Revuekünstlerin Zizi Jeanmarie war eine Hommage an den französischen Variété-Stil. Die Farben der Trikolore, blau-weiß-rot, stiegen als Wolken über der Seine auf. An deren Ufern hatten Akrobaten und Tänzerinnen des berühmten Kabaretts Moulin Rouge ihren Einsatz. Ein silbernes Pferd, freilich kein lebendiges, galoppierte rasant auf einem Boot über den Fluss. Das grandiose Ende bildete Céline Dions Auftritt, die Édith Piafs „Hymne à l’amour“ stimmgewaltig wiedergab. Seit vier Jahren war die an einer neurologischen Krankheit leidende kanadische Sängerin nicht mehr öffentlich aufgetreten. Doch auf die Anfrage hin, so verrieten die Organisatoren später, habe sie sofort zugesagt.
Auf die künstlerischen Darbietungen folgte eine spektakuläre Lichtshow am Eiffelturm. Als letzte von insgesamt mehr als 11.000 Fackelläufern entzündeten der Judo-Champion Teddy Rinter und die Leichtathletik-Ikone Marie-José Pérec, beide aus der französischen Antillen-Insel Guadeloupe stammend, das olympische Feuer, das anschließend in einem leuchtenden Ballon vom Tuilerien-Garten vor dem Louvre aus in die Luft stieg. Auch die Fußball-Legende Zinédine Zidane und der spanische Tennisstar Rafael Nadal hatten einen großen Auftritt beim Tragen der Fackel.
Das letzte Abendmahl mit queeren Tänzern sorgte für herbe Kritik
Für Empörung unter Christen sorgte eine Parodie des Gemäldes von Leonardo da Vinci „Das letzte Abendmahl“ mit queeren Tänzern und einer weiblichen Jesus-Figur. Im Vordergrund räkelte sich der französische Schauspieler Philippe Katerine als griechischer Weingott Dionysos, blau angemalt und fast nackt in einer überdimensionierten Obstschale.
Ohne die Szene konkret zu benennen, drückte die französische Bischofskonferenz auf der Plattform X ihr „tiefes Bedauern über Szenen von Hohn und Spott gegenüber dem Christentum“ aus. Auch der Kurienerzbischof im Vatikan, Vincenzo Paglia, kritisierte die „blasphemische Verhöhnung eines der heiligsten Momente des Christentums getrübt“. Der Passauer Bischof Stefan Oster, bei der Deutschen Bischofskonferenz für den Sport zuständig, nannte das „queere Abendmahl“ einen Tiefpunkt, der „in der Inszenierung völlig überflüssig“ gewesen sei. Die rechtsextreme französische Europaabgeordnete Marion Maréchal beklagte die „Woke-Spiele“ und versicherte allen Christen in der Welt, dass „hier nicht Frankreich spricht, sondern eine linke Minderheit, die bereit für jede Provokation ist“.
Regisseur Jolly selbst sagte, er habe keineswegs unverschämt sein wollen. Mit der Parodie der christlichen Szene habe er die Absurdität zeigen wollen, wenn Menschen einander Gewalt antun. Sein roter Faden sei die Begegnung von zwei Kunsttypen – der akademischen, institutionelleren Kunst und der urbanen, modernen Pop-Kunst – gewesen. „Mit allen Bildern wollte ich sagen: Man glaubt, dass das nicht zusammenpasst, man will die Dinge in Schubladen stecken, aber wenn diese Schubladen einander begegnen, ergibt das Schönheit, Emotion, Freude“. Genau sie empfanden an diesem Abend, der die 33. Olympischen Sommerspiele einleitete, Millionen in Frankreich und weit darüber hinaus.
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