Plötzlich verstummen die Gespräche. Interviews werden unterbrochen. Alle blicken nach oben, in diese große Röhre hinein. Es ist kurz vor 14 Uhr Ortszeit, ein historischer Moment steht bevor. Es könnte die letzte Olympia-Fahrt von Superstar Shaun White werden.
Der US-Amerikaner schiebt an, er fährt von der Seite in die Halfpipe. So wie es der 35-Jährige seit etlichen Jahren tut. White ist gefordert, es ist der zweite Lauf der Qualifikation für das Finale am Freitag. Im ersten Versuch war der US-Amerikaner gestürzt. Er hatte sich das Leben selbst schwer gemacht. White also legt los, spektakulär. Er zeigt noch einmal alles, was er kann. Das Risiko ist groß. Ein Sturz – und alles ist vorbei. Eine ruhmreiche Karriere hätte mit einem vorzeitigen Olympia-Aus ein Ende gefunden, das er sich so nicht gewünscht hat. Das wollte er verhindern. Und White lieferte. 86,25 Punkte, das reichte locker für das Finale. Noch einmal alles gut gegangen. Durchatmen.
Shaun White ist der Star der Olympischen Spiele
White ist der Star dieser Spiele. 1993 hat er mit dem Snowboarden begonnen. Er hat seine Sportart geprägt wie ein Boris Becker in Deutschland Tennis oder Lewis Hamilton in England die Formel 1. White hat sich Tricks ausgedacht, Sprünge, die Punktrichter und Fans gleichermaßen begeisterten. Er hat 2006, 2010 und 2018 die olympische Goldmedaille gewonnen. White ist die Halfpipe. Er ist aber mehr als nur Snowboarden. Als Skateboarder ist er erfolgreich, in den USA ist er auch als Musiker und Schauspieler bekannt. Er hat ein Talent, die Menschen zu unterhalten.
Als er am Mittwoch die Halfpipe verlässt, sind alle anderen Starter vergessen. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf ihn. Vor dutzenden Kameras muss er stehen bleiben, die Fragen wiederholen sich, White aber beantwortete sie alle mit einem strahlenden Lachen. Die Laune ist gut. Was aber wäre gewesen, wenn er ausgeschieden wäre? White hat darüber nachgedacht. Diese Gedanken hatten sich in seinen Kopf geschlichen. Er hätte die Medienrunde trotzdem gemacht, die Fragen wären freilich andere gewesen.
So aber konnte er davon erzählen, wie glücklich und vor allem erleichtert er gewesen sei. Vor dem zweiten Lauf sei er nervös gewesen. Natürlich könne er sich auf seine Fähigkeiten verlassen. Aber gerade in der Halfpipe passieren manchmal unvorhersehbare Dinge. Sachen, die auch ein White nicht beeinflussen kann. Es passiert aber nichts. White kommt durch und ist am Freitag dabei. Davon hat er geträumt.
Für Shaun White sind es die letzten Spiele
„Ich möchte jeden Moment hier noch einmal genießen“, erzählt er. Es werden definitiv seine letzten Spiele sein. Das hatte er bereits vor vier Jahren in Südkorea gedacht – nur, um jetzt wieder dabei zu sein. Gegen all die internationale Konkurrenz, die er hat aufwachsen sehen. Er hat all die Karrieren begleitet und ist stolz darauf, immer noch mithalten zu können. Seine Leistung reichte in der Qualifikation zu Rang vier. Bester war der Japaner Ayumu Hirano. Ihn sieht White als würdigen Nachfolger. Er habe seine ganze Karriere begleitet, „ihm gehört mein Herz“, so White. Am Freitag aber will es der Altmeister noch einmal allen zeigen.
In der Nacht vor der Qualifikation habe er gut geschlafen. Er sei entspannt gewesen. Die Entspannung aber war schnell weg. Als ein frühes Aus drohte, ging ein Gedankenkarussell in Fahrt. Viel sei ihm durch den Kopf gegangen, so White. Auch, dass es seine Mutter in den USA gar nicht gut gefunden hätte, hätte er ausgerechnet bei seinem letzten Lauf der Karriere gepatzt. „Das war heute viel Arbeit, wie schon die gesamte Saison“, sagt White. Er ist ein Perfektionist, der tüftelt und überlegt. Und er ist ein Vorbild.
Auch für André Höflich. Der Allgäuer vom SC Kempten hat sich mit 75,00 Punkten ein Ticket für das Finale als Zehnter geholt. „Ich fühle mich pudelwohl hier“, sagt der 24-Jährige. Die Halfpipe ist die größte der Welt und damit Schauplatz spektakulärer Sprünge. „Es ist etwas paradox. Aber je höher es geht, desto sicherer ist es hier“, sagt Höflich. Er hat sich für das Finale noch ein paar Tricks aufgehoben. Damit möchte er überraschen – auch White, sein großes Vorbild. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit ihm in einem Finale stehen darf, das ist eine große Ehre“, sagt Höflich. Beinahe aber wäre es gar nicht dazu gekommen.