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Olympia 1972: Das waren die Olympia-Momente auf dem Eiskanal

Olympia 1972

Das waren die Olympia-Momente auf dem Eiskanal

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    Tausende Zuschauer drängten sich während der Olympischen Spiele 1972 rund um den Eiskanal. Auch der Pressechef Klaus Wäschle genoss bei aller Anspannung die ausgelassene Stimmung – bis das schreckliche Attentat das Ende der „Heiteren Spiele“ bedeutete.
    Tausende Zuschauer drängten sich während der Olympischen Spiele 1972 rund um den Eiskanal. Auch der Pressechef Klaus Wäschle genoss bei aller Anspannung die ausgelassene Stimmung – bis das schreckliche Attentat das Ende der „Heiteren Spiele“ bedeutete. Foto: dpa (Archivbild)

    Wenn am Dienstag in Augsburg die Kanuslalom-Weltmeisterschaft eröffnet wird, ist Klaus Wäschle wieder im Pressezentrum am Augsburger Eiskanal zu finden. Wie schon vor 50 Jahren, als er bei den Olympischen Spielen 1972 für die internationale Medienbetreuung in seiner Heimatstadt zuständig war. Im Alter von 22 Jahren war der gebürtige Gögginger mit dem Berufswunsch Journalist als Pressestellenleiter für Kanuslalom in Augsburg und den anschließenden Kanurennsport in Oberschleißheim ausgewählt worden. Vieles hat sich verändert seitdem. Nicht nur Wäschles Haare sind grauer, die Medienwelt ist eine komplett andere geworden.

    Gehören heute Handys, W-LAN-Verbindungen, Laptops, TV-Screens und Live-Ergebnisse zum grundlegenden Standard von internationalen Sportveranstaltungen, war die Technik 1972 im Augsburger Pressezentrum auf gerade mal zehn Festnetztelefone beschränkt, die den Medienleuten dazu dienten, Texte per Diktat in die Redaktionen zu übermitteln. Fast ungläubig erinnert sich Wäschle heute an die damalige Zeit.

    Schreibmaschinen mit kyrillischer Schrift stapelten sich in der Ecke

    Denn sein großes Problem mit den Schreibmaschinen ist ihm 50 Jahre später immer noch präsent. „Bestellt waren 30 Maschinen mit deutscher Tastatur, zehn mit englischer, fünf französische, drei italienische und zwei polnische. Im Lieferwagen waren aber 30 kyrillische Typen und nur zehn deutsche Ausführungen gestapelt“, schildert Wäschle eine der vielen kuriosen Episoden von damals. Verzweifelt habe er bei den Kollegen vom Ringen noch versucht, Maschinen mit deutscher Tastatur abzuzwacken. Die kyrillischen Geräte bekam er nicht los. Die stapelten sich bis zum Ende der Spiele in einer Ecke des Pressezentrums.

    Die sportlichen Ergebnisse habe er direkt an der Strecke per Hand mitnotiert und dann telefonisch in die Redaktionen übermittelt, erzählt Wäschle. Workflows, die in der heutigen digitalen Welt unvorstellbar sind. Doch damals gab es weder Fax noch E-Mail, geschweige denn Mobiltelefone. In einem Fotolabor an der Kanustrecke wurden gleich die Schwarz-Weiß-Filme entwickelt, damit überhaupt Bilder in die Zeitungen gelangen konnten.

    Olympia 1972 zog zehntausende Zuschauer in Augsburg an

    Klaus Wäschle hat sich die Mühe gemacht, im Vorfeld der Kanuslalom-WM in Augsburg seine Olympia-Memoiren zusammenzuschreiben. Er könnte sich vorstellen, dass die Texte eines Tages in ein Buch münden. Ein besonderes Kapitel darin wäre der erste Kanuslalom-Wettkampftag 1972, als Wäschle am Morgen über Telefon in die Redaktionen meldete, dass mit 15.000 Besuchern am Eiskanal gerechnet werde. Doch die Organisatoren hatten sich gründlich getäuscht. „Als der Augsburger Karl-Heinz Englet schließlich als letzter Läufer einer langen Stafette das olympische Feuer im Zentrum dieser Sportstätte entzündete, war die Anlage prall gefüllt. Mehr als 30.000 Besucher wollten die ersten Wettbewerbe sehen“, schildert Wäschle den Andrang vor Ort. Unter den Gästen auch der damalige Bundeskanzler Willy Brandt.

    Sportlich gesehen seien die Wettkämpfe für die Gastgeber allerdings eine Katastrophe gewesen, erzählt Wäschle. Schließlich war Reinhold Kauder der einzige bundesdeutsche Kanute, der mit Silber im Canadier Einer überhaupt eine Olympiamedaille im Kanuslalom holte. Für das Team der DDR hatte es sich dagegen gelohnt, heimlich den Augsburger Eiskanal auszuspionieren und in Zwickau nachzubauen. In jeder Bootsklasse räumten die ostdeutschen Sportlerinnen und Sportler Edelmetall ab. Der ostdeutsche Verband bestritt während der Spiele vehement den Nachbau, auch wenn es sich später herausstellte, dass es wirklich eine Kopie zumindest von Teilen des Eiskanals gegeben hatte.

    Klaus Wäschle erinnert sich an eine eisige Pressekonferenz

    So wurde die erste Pressekonferenz mit west- und ostdeutscher Beteiligung für Pressemann Klaus Wäschle zum diplomatischen Drahtseilakt. Schließlich ging es nicht mehr um Sport, sondern um

    Der Journalist Klaus Wäschle erinnert sich noch gut an die Olympischen Spiele 1972
    Der Journalist Klaus Wäschle erinnert sich noch gut an die Olympischen Spiele 1972 Foto: Wäschle

    Die politische Lage trug auch dazu bei, dass aus den stimmungsvollen, mitreißenden Spielen, die Augsburg dank des frühen Zeitpunkts der Kanuslalom-Wettkämpfe in vollen Zügen genießen konnte, später durch das Attentat im olympischen Dorf in München zu traurigen Spielen wurden. Entsprechend zwiegespalten ist auch Wäschles Blick zurück. „Die ersten Tage waren sensationell. In Augsburg wie in

    Doch die unbekümmerte Freude und Begeisterung endete schlagartig am 5. September. Nachdem die Kanuslalom-Wettkämpfe schon vorbei waren, arbeitete der Augsburger da bereits an der Kanurennstrecke in Oberschleißheim. „Am Morgen des 5. September tat sich nichts, obwohl Vorläufe angesetzt waren. Die Boote lagen herum. Alle Starts waren abgesagt, wir mussten die Sportler zurückschicken. Aber niemand hat uns gesagt, warum“, schildert Wäschle die Ungewissheit am Morgen der dramatischen Ereignisse. Ohne Internet, ohne soziale Medien und ohne Handy wurden auch die Offiziellen aufgrund der verhängten Nachrichtensperre im Ungewissen gelassen.

    Ohne weitere Erklärung war Wäschle ins Pressezentrum nach München zitiert worden. „Dort habe ich dann erfahren, was los ist. Aber es war niemand auf diese Brutalität und Gewalt vorbereitet, mit der die Geiselnehmer vorgegangen sind“, erzählt Wäschle, der mit seinen Kollegen dann die schwere Aufgabe hatte, trotz des dürren Informationsflusses die Nachricht an die Öffentlichkeit weiterzugeben. „Einer meiner Kollegen hat zwei Stunden nichts anderes getan, als die Telefonnummer des Towers von Fürstenfeldbruck zu wählen, um an Informationen zu bekommen. Der war für uns im Pressezentrum des Olympia-Dorfs lange die einzige Informationsquelle“, erzählt Wäschle.

    Nachts um 1 Uhr musste dann jene Pressekonferenz vorbereitet werden, die in die Geschichte einging – mit fast 3000 Medienleuten aus aller Welt vor Ort. Der Moment, als der Tod der zwölf israelischen Geiseln verkündet wurde, jagt Wäschle heute noch einen Schauer über den Rücken. „Da hätte man eine Stecknadel fallen hören. Es war totenstill. Und hinterher die Hölle. Wir haben die ganze Nacht durchgearbeitet.“

    Mit diesem Tag hatten sich die Spiele verändert, seine Liebe zum Sport hat Klaus Wäschle auch über diese schweren Tage getragen. Viele Sportveranstaltungen hat der heutige Geschäftsführer einer PR-Agentur seit diesen Spielen begleitet. Die meisten davon im Golfsport. Doch für die Weltmeisterschaft kehrt er noch einmal zurück zum Kanuslalom, zum Startpunkt seiner langen beruflichen Laufbahn – die mit einer Schreibmaschinenbestellung für den Eiskanal ihren Anfang nahm.

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