Um 6:47 Uhr am Sonntagmorgen postete Oliver Zeidler ein Bild aus seinem Hotelzimmer in den sozialen Medien. Darauf zu sehen: seine Goldmedaille und auf Englisch der Begleittext: „Was für eine Art aufzuwachen ... oder ins Bett zu gehen.“ Dazu diverse Smileys. Zwei Indizien legen den Verdacht nahe, dass eher Zweiteres der Fall war. Zum einen ist da die Tatsache, dass Zeidler am Vorabend im Deutschen Haus begeistert empfangen worden war. Erfahrungsgemäß enden diese Abende nicht mit den Tagesthemen. Und zum Zweiten fehlte er, entgegen der Einladung, auf der Pressekonferenz des DOSB am Sonntagvormittag. Warum? War erst einmal nicht zu erfahren, könnte aber in direktem Zusammenhang mit den vorangegangenen Feieraktivitäten stehen. Denn Anlass dazu gab es.
Mit einer überragenden Leistung hatte der 28-jährige Münchner Gold im Ruder-Einer gewonnen. Mit deutlichem Vorsprung verwies er den Belarussen Jewgeni Solotoi und den vermeintlich härtesten Konkurrenten Simon van Dorp aus den Niederlanden auf die Plätze zwei und drei. Damit ist er der erste Deutsche seit Thomas Lange (1988 und 1992), der in einem olympischen Endlauf triumphierte. „Ich brauche wohl noch ein, zwei Tage, um das zu realisieren. Ich weiß, dass ich heute eine super Regatta abgeliefert habe. Aber dass das jetzt die Olympischen Spiele waren und es geklappt hat, das wird noch ein bisschen dauern. Ich bin einfach super happy.“
Ruder hat in der Familie eine große Tradition
Zusammen mit seinem Vater Heino, ebenfalls ein erfolgreicher Ruderer, hatte sich Zeidler weitestgehend in Eigenregie vorbereitet und trainiert. Rudern hat in seiner Familie eine große Tradition. Großvater Hans-Johann Färber gewann 1972 Olympiagold im Vierer, Onkel Matthias Ungemach wurde 1990 Weltmeister im Achter, Tante Judith Zeidler 1988 Olympiasiegerin im DDR-Achter. Oliver Zeidler hingegen begann sein Sportlerleben als Schwimmer. Er startete für die SG Stadtwerke München, gewann deutsche Jahrgangstitel und schaffte es sogar zur Jugend-Europameisterschaft. 2016 dann der Wechsel zum Rudern.
Als Quereinsteiger legte er einen atemberaubenden Aufstieg hin. Schon 2018 durfte er im Weltcup ran und gewann gleich die Gesamtwertung. Mit 2,03 Metern Körpergröße hat er ausgezeichnete Hebel. Es folgten 2019 erst der Europameister- und dann auch noch der Weltmeistertitel. Der brutale Rückschlag folgte bei den Olympischen Spielen in Tokio. Als Topfavorit reiste er nach Japan und konnte dem gewaltigen Druck nicht standhalten. Dazu kamen widrige Bedingungen auf der Strecke. Aus im Halbfinale. „Ich bin da als Weltmeister hingefahren und stehe plötzlich nur im B-Finale. Das war eine herbe Klatsche“, sagte Zeidler in Paris.
Nach dem Tokio-Debakel hatte Zeidler Motivationsprobleme
„Danach hatte ich Motivationsprobleme. Es war eine Situation, die ich nicht kannte.“ Phasenweise habe er darüber nachgedacht, für immer aus dem Boot zu steigen. „Ich war nach Tokio eigentlich schon so weit, dass ich aufhöre mit dem Rudersport, weil mich das fast gebrochen hätte, was da passiert ist.“ Die Zeidlers entschieden sich dagegen. Im Rückblick eine gute Entscheidung. Drei Jahre trainierten er und sein Vater stattdessen täglich darauf hin, es in Paris besser zu machen. „Ich habe für diese Medaille sehr hart gearbeitet. Ich habe sehr viel Zeit investiert, um das Ding zu holen. Da sind so viele Leute involviert und es sehr schön, denen jetzt auch etwas vorzeigen zu können.“
Das Finale sei spätestens ab der 1000-Meter-Marke ein Genussrennen gewesen. Denn egal, was die Konkurrenten versuchten, Zeidler konterte jeden Angriff. „Das hat die wohl zermürbt. Ich habe schnell gemerkt, dass der Holländer an diesem Tag keine Chance hat.“ Nur vor dem Halbfinale meldeten sich die Geister der Vergangenheit noch einmal. Plötzlich sei das olympische Halbfinale von Tokio wieder im Hinterkopf gewesen. „Ich wollte es einfach besser machen und der Druck war höher, als dann im Finale.“
Am Ufer stand Vater Heino vor den Kameras des ZDF und mühte sich, seine Emotionen im Griff zu behalten. Erst als er seinen siegreichen Sohn in den Arm nahm, wich die ganze Anspannung. Seinen Eltern galt dann auch der erste Dank des frisch gebackenen Olympiasiegers. „Mein Vater hat mir das Rudern beigebracht und war vom ersten Schlag an dabei. Ohne ihn wäre das nicht möglich gewesen. Er hat jeden einzelnen Schlag kommentiert. Nur so konnte ich die Technik so schnell lernen.“ Gleichzeitig habe seine Mutter sehr oft auf die beiden verzichten müssen. Ruhiger sei es im Training erst in den letzten Wochen geworden, „was ein sehr gutes Zeichen war, weil er nichts mehr zu verbessern hatte“, sagte Oliver Zeidler noch mit einem zufriedenen Lächeln am Samstagabend, ehe er in den Feier-Marathon startete.
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