Für einen Innenverteidiger ist das ein reichlich eigenwilliger Spitzname: Waldi. Dackel heißen Waldi. Abwehrspieler hießen früher mal Knut, Guido, Jürgen oder Katsche. Kein Dackel heißt Katsche. Waldi nun wiederum heißt laut Personalausweis Waldemar Anton und hat als Innenverteidiger des VfB Stuttgart eine formidable Saison gespielt, die ihm einen Platz im EM-Kader beschert hat. "Waldi und Nico sind hinten dran", hatte Julian Nagelsmann nach dem 1:1 gegen die Schweiz gesagt. Zwischen Anton und Schlotterbeck also wird entschieden, wer im Achtelfinale den gesperrten Jonathan Tah ersetzt. Mit Robin Koch weist der Kader noch einen weiteren Spieler als Innenverteidiger aus – seine Einsatzchancen waren bislang ähnlich hoch wie jene von Mats Hummels.
Doch nun fehlt nicht nur Tah gelbgesperrt. Julian Nagelsmann bangt auch um einen Einsatz von Antonio Rüdiger. Der zog sich gegen die Schweiz eine Zerrung zu, wie der DFB am Montag mitteilte. Ein Einsatz am Samstag: überaus fraglich. Und so spielen dann im Achtelfinale möglicherweise Anton und Schlotterbeck statt Tah und Rüdiger. Plötzlich wäre Koch die erste Alternative.
Jetzt zeigt sich die Qualität des deutschen EM-Kaders
Für Nagelsmann stehen nun also erstmals wirkliche Personalentscheidungen während der EM an. Bisher hatte er ja stets jenen Spielern vertraut, denen er im Vorfeld der Europameisterschaft die Rolle eines Stammspielers zugeteilt hatte. Gleichwohl hatte er auch stets darauf hingewiesen, dass die weiteren Akteure nicht nur zur Aufrechterhaltung eines geregelten Trainingsbetriebs in den Kader berufen wurden. Ein 27 Mann starker Kader sollte für etliche Eventualitäten gewappnet sein.
Der Trainer ist ein großer Freund des Spielens mit Eventualitäten. Während seiner Bundesliga-Tätigkeiten zeichnete er sich dadurch aus, seine Mannschaften gut auf den jeweiligen Gegner einzustellen. Nagelsmann ist gleichermaßen Praktiker und Tüftler. Auch deswegen verwunderte es die Öffentlichkeit, dass er vorzeitig seinen Vertrag als Bundestrainer bis 2026 verlängerte. Schließlich genießt Nagelsmann die tägliche Arbeit mit seiner Mannschaft. Dementsprechend gut gefällt ihm das Arbeiten in einer Turnierumgebung. Hier hat er permanent Mannschaft und Co-Trainer um sich. Er kann planen, umsetzen, umwerfen, wieder planen. Theorie und Praxis lassen sich ausgezeichnet miteinander abgleichen.
Einzig der Spielplan kommt Nagelsmann bei seinem Eifer in die Quere. Weil in der Gruppe C sämtliche Entscheidungen erst am Dienstag fallen und aus besagter Gruppe der Achtelfinal-Gegner der deutschen Mannschaft hervorgeht, kann der Trainer später als gewünscht mit der detaillierten Vorbereitung auf die Partie anfangen. Von Vorteil sei allerdings, dass sein Team zwei Tage länger Zeit hat, sich von den Anstrengungen der Vorrunde zu erholen.
So wirklich beginnt ein jedes Turnier aber in der K-.O.-Phase. Davor ist Zeit für schottische Folklore, Außenseiter-Romanzen und formabgleichendes Warmspielen. Die Deutschen haben sich in guter Form gezeigt. Nun starten die Knobeleien und Anpassungen. Die Umstellungen in der Innenverteidigung sind alternativlos. Aber spielt auch der geradlinigere David Raum für Maximilian Mittelstädt? Oder der wuchtige Niclas Füllkrug für Kai Havertz? Das alles ist auch abhängig vom Gegner und welche Lösungen Nagelsmann in seinem Taktik-Ingenieurbüro erdenkt. Die Spitznamen seiner Spieler dürften dabei eine recht untergeordnete Rolle spielen. Der Dackel gilt übrigens als ausdauernd, flink und leidenschaftlich. Seine Putzeligkeit sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ein Jagdhund ist.