Die weltpolitische Lage, so scheint es seit Donnerstagabend, wird aktuell von einem Stück Stoff dominiert. Genauer gesagt: Von der Entscheidung eines Fußballverbands, künftig auf ein Fabrikat eines anderen Hauses als zuletzt zu setzen. Seitdem der Deutsche Fußball-Verband bekannt gab, dass ab 2027 nicht mehr Adidas aus dem fränkischen Herzogenaurach, sondern das US-Unternehmen Nike die Trikots produziert, hallt ein Aufschrei durch die Republik. Wirtschaftsminister Robert Habeck, der sonst zurückhaltend in der Kommentierung von Unternehmensentscheidungen ist, hätte sich vom DFB "mehr Standortpatriotismus gewünscht".
Für Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist es eine "Fehlentscheidung, wo Kommerz eine Tradition und ein Stück Heimat vernichtet". Und auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder postete ein Bild vom WM-Triumph 2014, auf dem Schweinsteiger und Co. in Trikots aus Franken den Pokal präsentieren. Dass die Nationalelf in drei Streifen spielt, das war so klar, wie dass der Ball rund ist und ein Spiel 90 Minuten dauere. "Deshalb ist es falsch, schade und auch unverständlich, dass diese Geschichte jetzt enden soll." Für den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz ist die Entscheidung schlicht "unpatriotisch". Lediglich Kanzler Olaf Scholz wollte den Schritt nicht kommentieren.
Nike hatte seit den 90er-Jahren ein großes Interesse an der Nationalelf
Dazu kamen und kommen Tausende aufgebrachte Beiträge über die sozialen Medien. Beim DFB, so ist zu hören, hat man sich auf kontroverse Reaktionen zu der Entscheidung eingestellt – auf ein Echo dieser Tragweite nicht. In einer Stellungnahme hatte Holger Blask, Vorsitzender der DFB-Geschäftsführung, darauf verwiesen, dass Nike das "mit Abstand beste wirtschaftliche Angebot" geliefert habe.
Dass Nike dem DFB schon in der Vergangenheit seit den 90er-Jahren hohe Summen geboten hat, ist ein offenes Geheimnis – ebenso wie der Umstand, dass schon bei der letzten Verlängerung im Jahr 2006 der DFB das wirtschaftlich schlechtere Angebot von Adidas angenommen hat. Laut dem Handelsblatt sind die Unterschiede enorm: Demnach soll Nike bis Vertragsende 2034 mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr zahlen, von Adidas kamen bisher 50 Millionen Euro pro Jahr, die durch Boni auf etwa 60 Millionen Euro anstiegen. Auch das aktuelle Angebot von Adidas soll sich in diesem Rahmen bewegt haben. Andere Quellen berichten, dass das aktuelle sogar unter dem früheren Angebot gelegen haben soll.
Den DFB drücken wirtschaftliche Zwänge
Fakt ist aber: Den DFB drücken durch die Erfolglosigkeit des lange Jahre besten Zugpferds, der Herren-Nationalmannschaft, und den damit einhergehenden niedrigeren Prämienzahlungen von Fifa und Uefa erhebliche finanzielle Probleme. Dazu kommt die neugebaute DFB-Akademie in Frankfurt, die jährlich Kosten in Höhe von 80 Millionen Euro verursacht. Schon die Baukosten in Höhe von 180 Millionen Euro sind doppelt so hoch geworden wie geplant. Es ist ein teures Erbe der früheren DFB-Führung. DFB-Schatzmeister Stephan Grunwald, seit 2022 im Amt, sagte er der ARD-Sportschau kürzlich dazu: "Heute würde man den Campus so, wie wir ihn hier haben, nicht mehr bauen."
All das sind offenbar Gründe für den DFB, diesmal auf das deutlich bessere Angebot des US-Unternehmens Nike zu setzen. Allerdings spielt der Fußball eben nicht nur nach wirtschaftlichen Regeln. Adidas und den DFB verbinden über sieben Jahrzehnte Geschichte und Geschichten. Etwa die, wie Gründer Adi Dassler dem deutschen Team bei der WM 1954 durch Schuhe mit Schraubstollen einen entscheidenden Vorteil verschafft haben soll. Am Ende stand der erste deutsche Weltmeistertitel. Eine Erfolgsgeschichte schrieben DFB und die Marke mit den drei Streifen erst kürzlich mit dem pinken Nationalmannschaftstrikot. Das legte den besten Verkaufsstart aller Zeiten hin. Bei der Heim-EM im Sommer wird die DFB-Mannschaft, wie schon bei der EM 2021, in Adidas Camp in Herzogenaurach untergebracht sein. Adidas und der DFB – das schien eine Bindung zu sein, der nichts gefährlich werden konnte.
Sportökonom Markus Kurscheidt: "Die Nationalmannschaft ist eine Ikone"
Dass der Ärger über den Ausrüsterwechsel so groß ist, liegt laut Sportökonom Markus Kurscheidt daran, welche Bedeutung die Nationalmannschaft fürs bundesdeutsche Bewusstsein hat. Kurscheidt, der an der Uni Bayreuth lehrt, erklärt das wie folgt: "Die Nationalmannschaft ist eine Ikone, sie steht symbolisch für dieses Land. Sie ist ein Objekt der nationalen Identifikation." Wie stark ihre vereinende Kraft ist, habe sich etwa bei der WM 2006 gezeigt: "Da waren es die Fußballer, die diesem Land einen unverkrampften Umgang mit der deutschen Fahne ermöglicht haben."
Dass dieses nationale Symbol nun den Ruf des Geldes ereilt, lasse für viele nur eine Sichtweise zu, so Kurscheidt: "Jetzt greift sich die Kommerzialisierung mit aller Wucht die Nationalelf." Allerdings greift der Vorwurf der Undankbarkeit für Kurscheidt zu kurz: "Wenn die Summen derart weit auseinanderliegen, muss der DFB einfach wirtschaftlich verantwortungsvoll handeln." Dieser Ansatz könnte für den deutschen Verband auch eine Chance bergen: "Wenn der DFB transparent zeigt, wie viel von dem Nike-Geld dem Nachwuchs- und Amateurfußball zugutekommt, könnte das das Verständnis für diese Entscheidung erhöhen."
Der DFB-Deal mit Nike zeigt für Kurscheidt auch: "Es ist überraschend, wie sehr Nike bereit ist, große Summen zu investieren, um ihren Rivalen Adidas zu blamieren. Und das, obwohl Nike jetzt schon deutlich größer ist als Adidas. Der Wettkampf der beiden Sportriesen wird scharf ausgefochten. Und Adidas hat aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage vielleicht nicht mehr die Mittel für solche Engagements." Dass Adidas etwa bei Real Madrid als Ausrüster auch über 100 Millionen Euro zahlen soll, muss eingeordnet werden, so Kurscheidt: "Real Madrid kann als Marke interessanter sein als die DFB-Elf, weil es sich hier um eine globale Marke handelt. Hier gibt es Fans auf der ganzen Welt, es ist nicht auf eine Nationalität beschränkt."