Emre Cans Miene hellte sich nur kurz auf, als Juan Cuadrado an ihm vorbeilief. Der Kolumbianer, mit dem Can von 2018 bis Januar 2020 bei Juventus Turin zusammenspielte, hatte einen Gruß für seinen deutschen Kollegen übrig und ließ sich auch nicht davon abhalten, dass dieser gerade den Journalisten erklären musste, warum die DFB-Elf das Spiel gegen die Südamerikaner mit 0:2 verloren hatte.
Ein Faktor war sicher auch Cuadrado selbst, der eine mustergültige Flanke auf Luis Diaz geschlagen und seinen Elfmeter verwandelt hatte, aber sei's drum. "Emre, Ciao!", rief Cuadrado grinsend über die Köpfe der Journalisten hinweg. "Ciao, ciao", murmelte es aus dem kurz lächelnden Can heraus. Dann ging es zurück ans Ernsthafte. Can machte klar, was er von der vom Bundestrainer verordneten Dreierkette hält: wenig bis nichts. Auf die Frage, was er ändern würde, antwortete der BVB-Profi: "Viererkette. Ich glaube, das liegt uns mehr in der Nationalmannschaft. Wir haben gesehen, dass wir keine Mannschaft sind, die Dreierkette spielen kann."
Es ist eine ungewöhnlich deutliche Kritik an der taktischen Vorgabe des Bundestrainers. Und zugleich Ausdruck dessen, was sich die Nationalmannschaft offenbar wünscht: ein klares System, keine Experimente. Can schob hinterher, dass "wir es im September bestimmt ändern werden" und der Trainer die Mannschaft "super eingestellt" habe. Da war die Kritik aber schon draußen. Im September soll alles besser werden – das ist auch das Versprechen von Bundestrainer Hansi Flick. Der gab sich nach Abpfiff des erstaunlich schwachen Auftritts seiner Mannschaft enttäuscht: Die im Juni angestoßenen Experimente seien "in die Hose gegangen".
Bundestrainer Hansi Flick denkt nicht an einen Rücktritt
Als in der Pressekonferenz die Frage nach einem möglichen Rücktritt aufkam, gab sich der 58-Jährige wieder selbstbewusster: "Natürlich ist es eine Situation für mich, die ich so in dieser Form noch nicht erlebt habe. Ich gewinne Spiele sehr, sehr gerne. Und ich hasse wirklich, zu verlieren." Es mache ihm aber "Spaß, eine Mannschaft auf ein Turnier vorzubereiten". Dass die Fans die Geduld mit der Nationalmannschaft verlieren, die weder im Offensivspiel noch in der Defensive überzeugt, könne er nachvollziehen. Die Pfiffe nach Spielende wolle er aber nicht überbewerten: "Ich bin überzeugt, die Fans wollen uns sehen."
An diesem Dienstagabend dominierte aber das Gefühl, dass jeder der Spieler nur noch schnell wegwollte. Erst spät stellten sich einige Nationalspieler in der Mixed Zone auf. Benjamin Henrichs sagte über die Pfiffe der Fans: "Das tut weh. Aber wir haben aus drei Spielen nicht einen Sieg geholt. Die Fans haben eine Erwartung an uns, die haben wir nicht erfüllt." Torwart Marc-Andre ter Stegen sprach von einer "sehr, sehr großen Enttäuschung". Die Situation sei nun ein Jahr vor der EM "sehr ernst", so der Schlussmann des FC Barcelona: "Wir haben es nicht geschafft, den Gegner mal richtig unter Druck zu setzen, das ist das größte Problem." Lediglich eine echte Chance erspielte sich die Nationalmannschaft: Kurz vor der Halbzeit kam Jamal Musiala auf Vorlage des ansonsten schwachen Kai Havertz zum Schuss. Leon Goretzka sagte zur Situation: "Ich weiß nicht, ob bedenklich reicht. Das ist dramatisch."
Flick ist laut Sportdirektor Völler "die ärmste Sau"
Wer hat da nun Schuld – der Trainer oder die Spieler? Für Sportdirektor Rudi Völler eine klare Sache. Trainer Flick sei "die ärmste Sau", polterte der 63-Jährige bei RTL. "Er versucht alles, probiert etwas aus, aber die Qualität ist nicht die allergrößte wie vielleicht noch vor ein paar Jahren." Einige Spieler, die diesmal dabei waren, werde man bei der nächsten Länderspielreise "nicht mehr sehen". Gewinner seien eigentlich nur diejenigen gewesen, die diesmal nicht dabei waren. Viel Stammspieler fehlten aber nicht: Vom FC Bayern könnten Thomas Müller und Serge Gnabry zurückkommen, vom BVB Niklas Süle.
Völler hatte zuvor bekräftigt, dass Flick trotz der insgesamt alarmierenden Vorstellung der Nationalmannschaft nicht zur Diskussion stehe. Dass man im mittlerweile viel zitierten September eine andere Mannschaft sehen werde. Es wird ein langer und heißer Sommer für die Macher der Nationalelf werden.