Eine graue Kappe trug Leroy Sané, als er zu später Stunde im Bauch des Ernst-Happel-Stadions den Gang nach Canossa antrat. Fehlte nur noch, dass er mit dem Finger auf seine Kopfbedeckung deutete, als er sagte: "Das Spiel geht heute auf mich, das geht auf meine Kappe. Da muss ich mich beherrschen, das kann nicht passieren, da habe ich die Mannschaft im Stich gelassen." Den reuigen Sünder gab der Spieler des FC Bayern München, als er sich zu seinem Ausraster in der 49. Minute äußerte. In einem Zweikampf mit Österreichs Phillipp Mwene waren ihm die Gäule durchgegangen. Erst hatte er den Linksverteidiger gefoult, ehe er ihm an den Hals fasste und zu Boden schubste. Dem slowenischen Schiedsrichter Slavko Vincic blieb keine andere Wahl, als den Offensivspieler mit Rot vom Platz zu schicken.
Bundestrainer Julian Nagelsmann unternahm den zarten Versuch, Sanés Handeln als eine Reaktion auf Mwenes Provokation auszulegen. Letztlich musste allerdings auch Nagelsmann einsehen, wie unbeherrscht sein Spieler sich gezeigt hatte. "Natürlich muss er da so clever sein, dass er das nicht macht", so Nagelsmann. Als wäre es zu diesem Zeitpunkt nicht schon schwer genug gewesen, sich dieser engagierten und spielerisch überlegenen Österreicher zu erwehren, kam nun auch noch Unterzahl hinzu.
Nationalspieler Sané kassiert im EM-Testspiel gegen Österreich eine Rote Karte
Die Szene, die zu Sanés Ausschluss führte, stand sinnbildlich für Dysbalancen im deutschen Team: Konfus und kopflos wirkte der Auftritt in der Wiener Traditionsspielstätte. Sané zeigte Emotionen – aber die falschen. Als Einheit präsentierten sich hingegen die EM-euphorisierten Gastgeber um den deutschen Trainer Ralf Rangnick, der kurz vor Mitternacht schwärmte: "Ich liebe meine Jungs. Ich liebe diese Mannschaft, weil sie einfach genau so, wie sie ist, richtig ist."
Sané, der nach über 400 Profispielen erstmals überhaupt einen Platzverweis kassiert hatte, suchte nicht nach einer Ausrede. Führte vielmehr aus, warum er handgreiflich geworden war. "Nichts Persönliches" sei das gewesen, sondern Ausdruck seiner Frustration. "Das war meine eigene Leistung. Ich bin motiviert, ich will, dass wir in die richtige Richtung gehen", betonte der 27-Jährige. In der jüngeren Vergangenheit sprach der 27-Jährige selten nach Spielen in Mikrofone und Aufnahmegeräte. Ob Bundestrainer Nagelsmann und DFB-Sportdirektor Rudi Völler den Spieler zum öffentlichen Schuldeingeständnis gedrängt hatten oder der Impuls von Sané selbst gekommen war, war letztlich zweitrangig.
Sané nach Ausraster auf dem Spielfeld für drei Fußballspiele gesperrt
Von größerem Interesse waren die Auswirkungen. Für seine Tätlichkeit wird der Weltverband Fifa Sané mindestens für drei Partien sperren, die Disziplinarkommission könnte ihn sogar länger pausieren lassen. Sané könnte somit im neuen Jahr alle vier geplanten Testspiele vor der EM verpassen.