Zwei Zentimeter. So groß ist die Distanz zwischen „Olympiaheld“ und halt einem ganz guten Sportler, den man schnell wieder vergisst. „The winner takes it all“, stellten schon die Sanges-Philosophen von Abba fest, ebenso wie „The loser standing small“. Der Sieger kriegt alles, der Verlierer bleibt ein kleiner Wicht.
Als der Kampfrichter am 3. September 1972 im Speerwurffinale der Olympischen Spiele von München die Würfe von Klaus Wolfermann und des Letten (damals noch Sowjetunion) Jānis Lūsis im Rasen fixierte, musste er für einen kurzen Augenblick Schicksal spielen und Wolfermann den Status einer Legende verleihen. Denn mit bloßem Auge war beim besten Willen kein Unterschied zu erkennen, die Speere der beiden Recken hatten sich fast an derselben Stelle in den Rasen gebohrt. Aber Klaus Wolfermann hatte eben ein Heimspiel, 80.000 Menschen und auch der Autor dieser Zeilen, der zehn Meter dahinter gebannt mitverfolgen durfte, wie der Franke aus Altdorf bei Nürnberg im fünften Versuch hektisch seinen Anlauf verlängerte, um mehr „Dampf“ auf seinen Wurf zu bekommen, wollten unbedingt einen deutschen Olympiasieg sehen.
Als der feststand, schien es dem „Gold-Klausi“, für den 90,48 Meter auf der Anzeigetafel aufleuchteten, sogar ein wenig peinlich zu sein. Er ging zu Lūsis, dem damals unbestritten besten Speerwerfer der Welt, der mit seinen 90,46 Meter „nur“ Silber umgehängt bekam, und entschuldigte sich für die Majestätsbeleidigung. Doch schon wenige Monate später, im Mai 1973, knöpfte der nur 1,76 Meter Olympiasieger Lūsis mit 94,08 Metern auch noch den Weltrekord ab, der fast vier Jahre Bestand haben sollte. Was für die Menschen im Münchner Olympiastadion ein Sportkrimi erster Güte und auch ein Kampf zwischen West und Ost war, mündete schon wenig später in eine tiefe Freundschaft über den Eisernen Vorhang hinweg. Wolfermann und Lūsis besuchten sich gegenseitig bis zum Tod des Letten im Jahr 2020.
Dass Wolfermanns Stern nach seinem Weltrekord wegen diverser Verletzungen verblasste – keiner fragte mehr danach! 1972 und 1973 wurde er zum „Sportler des Jahres“ in Deutschland gewählt, 1972 sogar zum „Sportler Europas“. Nach seiner Leichtathletik-Karriere startete das Kraftpaket 1978 eine Karriere als Anschieber im Eiskanal und wurde im Viererbob von Georg Heibl 1979 Deutscher Vizemeister und Vierter im Europacup. Danach zog er mit seiner Frau Friederike nach Penzberg, betrieb eine Sportagentur, engagierte sich bei der Kinderhilfe Organtransplantation (KiO) und blieb ein stets freundlicher, agiler, offener, geerdeter Olympiaheld. In der Nacht zum Mittwoch ist Klaus Wolfermann völlig überraschend im Alter von 78 Jahren gestorben.
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