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Nachruf auf Franz Beckenbauer: Eine Lichtgestalt, die viele Schatten warf

Nachruf

Franz Beckenbauer war eine Lichtgestalt, die viele Schatten warf

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    Fußballlegende Franz Beckenbauer ist tot.
    Fußballlegende Franz Beckenbauer ist tot. Foto: Ina Fassbender, dpa

    Ja sicherlich, eigentlich: Jasicherlich. "Jasicherlich" also sagte Franz Beckenbauer dann, wenn er auf etwas nun wirklich Offensichtliches hinweisen wollte. "Jasicherlich, Kaiserslautern wird mit Sicherheit nicht ins blinde Messer laufen." Oder: "Jasicherlich, ich habe in einem Jahr 15 Monate durchgespielt." Möglicherweise hat er das sogar tatsächlich. Kategorien wie Raum oder Zeit besaßen für Beckenbauer keine letztinstanzliche Gültigkeit, wie es für den Ottonormal-Erdling der Fall ist. Dabei hätte ein Nachkriegskind nicht viel bodenständiger aufwachsen können, als der im September 1945 geborene Beckenbauer. Der Vater Postler, die Mutter Heldin. Sein ganzes Leben lang. Aufgewachsen im Arbeiterviertel. Keine brasilianische Favela, kein Schloss. Stattdessen: Giesing. So beginnen keine Märchen. Sicherlichnicht.

    Nun ist Beckenbauer nicht gerade wenig vorzuhalten auf seinem Lebensweg. Die unter Münchens Fußball-Legenden offensichtlich unvermeidbare Auseinandersetzung mit den Finanzbehörden, auf Bayrisch: die Steuergschicht. Beckenbauer war in den 70er-Jahren Vorreiter. Oder das Sommermärchen 2006. Zu welchem Anteil war es denn nun wirklich Märchen – und zu welchem korruptes Produkt? Künstler und Werk sind im Falle Beckenbauers nicht voneinander zu trennen. Dass derart viel Schatten den Blick verdunkeln und doch die positiven Erinnerungen überwiegen, ist Indiz für ein außergewöhnliches Leben. Eines, das auch Menschen berührte, die niemals einem Ball mit dem Fuß nahegekommen sind. Beckenbauer hatte sie alle. Zumindest in seinem Bann.

    Franz Beckenbauer startete seine Karriere 1964 beim FC Bayern München. Das Bild zeigt ihn (Zweiter von links) im Zweikampf gegen den 1860-München-Spieler Rudolf Brunnenmeier 1967.
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    Libero, Chartstürmer, Präsident: Wir zeigen das Leben von Franz Beckenbauer, der "Lichtgestalt des deutschen Fußballs", in Bildern.

    Franz Beckenbauer ist tot – er scherte sich wenig um Konventionen

    Eben auch, weil seine Außergewöhnlichkeit bürgerlichen Ursprungs war. Weil sein Leben nicht gerade arm an Umwegen und Brüchen gewesen ist. Das erste Mal wurde er Vater mit 17, das letzte Mal mit 58. 2015 stirbt sein Sohn Stephan mit 46 Jahren an Krebs. Drei Ehen, noch mehr Beziehungen, fünf Kinder, der römisch-katholisch erzogene Beckenbauer kümmerte sich wenig um gesellschaftliche Konventionen und schaffte es so charmant wie kein anderer, sich trotzdem Gottes Segens gewahr zu werden. "So groß ist das Verbrechen nun auch nicht. Der liebe Gott freut sich über jedes Kind", sagte er, nachdem er auf der Weihnachtsfeier des FC Bayern mit der Sekretärin ein Kind gezeugt hatte.

    Wenn er so franzelte, konnte neben mancher Charmeoffensive auch Unerhörtes an die Öffentlichkeit gelangen. Dass er in Katar beispielsweise keinen einzigen Sklaven gesehen habe und deswegen also eine WM in dem Wüstenstaat kein Problem sei.

    2006 war die Welt zu Gast bei Freunden. Franz Beckenbauer konnte es mit allen, unter anderem mit Fifa-Boss Sepp Blatter.
    2006 war die Welt zu Gast bei Freunden. Franz Beckenbauer konnte es mit allen, unter anderem mit Fifa-Boss Sepp Blatter. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Als er langsam auf die Zielgerade seines Schaffens einbog, fand er nicht immer die richtige Seite entlang der Grenzlinie zwischen Tugend und Tadel. Mag er für die WM 2006 zum Wohle des deutschen Volkes über manch Gesetz hinweghelikoptert sein, so ist das bezüglich der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 eher nicht der Fall. Beckenbauer wollte seine Rolle während des Vergabeverfahrens gegenüber der Fifa-Ethikkommission nicht beantworten – was ihm die dann doch eher übersichtliche Strafe von 7000 Schweizer Franken einbrachte. Einem Prozess in der Schweiz durfte er wegen gesundheitlicher Beschwerden fernbleiben.

    Die härtesten Urteile über ihn fällten aber ohnehin nicht Richter, sondern Spätgeborene, denen es das Schicksal nicht gönnte, Beckenbauers Erhabenheit auf dem Feld zu bewundern. Mögen sie Neymars Zirkusnummern für Kunst halten, dem gockeligen Ronaldo mit dem neumodischen Prädikat GOAT (Greatest of all time) in den Social-Media-Kommentaren huldigen oder Messis irrwitzige Läufe auf Youtube verfolgen: Sie hatten keine Chance, den besten deutschen Fußballer aller Zeiten zu sehen. Wer zu spät geboren ist, den bestraft der Fußballgott. Die Armen, sie kennen Beckenbauer vielleicht noch als Bundestrainer. Möglicherweise aber auch nur als seine parodistischen Wiedergänger. Olli Dittrich brachte es als solcher zu formidablen Ergebnissen. Warum aber sich Komiker an einem Vereinsfunktionär derart abarbeiteten, erschloss sich den Jungen nicht immer.

    Franz Beckenbauer als Werbeikone: Ja, is' denn heut' schon Weihnachten

    Den Kaiser, jasicherlich, den kennen dann schon alle. Weil ja auch zeitweise omnipräsent. Mal die Vorzüge des einen Mobilfunkanbieters anpreisend und einen Werbevertrag später jene des Konkurrenten. Das Christkind der Werbeagenturen. Jeder darf sich etwas wünschen. Ja, is' denn heut' schon Weihnachten? Hier ein schwäbischer Automobilhersteller, da ein wenig Promotion als "Sportbotschafter" für den von Gazprom geführten Verband russischer Gasproduzenten. Als Spieler auch gerne für Tütensuppe. Kraft in den Teller, Cash auf den Tisch. Der Kaiser aber war ja nicht schon immer Kaiser. Dazu erkoren vom Kicker, dem Konservativen verpflichtetes Organ des deutschen Fußballs. Ein Bild genügte. Beckenbauer posierte im August 1971 in Wien neben der Büste von Kaiser Franz Joseph I. Fortan also: Kaiser. Wie passend. Erhobenen Hauptes durchschritt er das Zentrum des Feldes. Anstrengend mag es gewesen sein, derart mühelos das Spiel zu dominieren. Schweiß aber ward niemals gesehen auf des Kaisers Stirn. Insignie der Macht: der mit dem Außenrist getretene Ball. Mögen sich die Grobfüßigen dabei die Sehnen gerissen haben, Beckenbauer sah keine Notwendigkeit, seine Mitspieler mit einem bourgeoisen Pass zu bedienen. Jeder Ballkontakt ein Kunstwerk.

    Alleine auftretend mag die Wirkung des Künstlers kurzzeitig größer sein als im Ensemble. Bleibender Natur aber ist die fußballerische Kunst nur, wenn sie mit Erfolg einhergeht. Beckenbauers Glück war, einer Generation anzugehören, die bereitwillig an und mit ihm wuchs. Der treue Diener Schwarzenbeck, den sie alle nur Katsche nannten und der die mürrischen Jäger Beckenbauers aus dessen Weg räumte. Der schnelle Uli Hoeneß, dem man den Ball einfach nur weit genug in die gegnerische Hälfte schlagen musste, auf dass der Sprinter seinen Gegnern davonrennen konnte. Natürlich Gerd Müller. Dem der Kaiser Bälle an Schienbein, Hüfte oder Brust schießen konnte und sich trotzdem sicher war, dass diese Nördlinger Naturgewalt sie ins Tor weiterleiten würde.

    Franz Beckenbauer dominierte Mitte der 70er Jahre zusammen mit seinen Münchner Kollegen den Fußball. 1974 gewann er mit der Nationalmannschaft den WM-Titel.
    Franz Beckenbauer dominierte Mitte der 70er Jahre zusammen mit seinen Münchner Kollegen den Fußball. 1974 gewann er mit der Nationalmannschaft den WM-Titel. Foto: Hartmut Reeh, dpa
    Franz Beckenbauer dominierte Mitte der 70er Jahre zusammen mit seinen Münchner Kollegen den Fußball. 1974 gewann er mit der Nationalmannschaft den WM-Titel.
    Franz Beckenbauer dominierte Mitte der 70er Jahre zusammen mit seinen Münchner Kollegen den Fußball. 1974 gewann er mit der Nationalmannschaft den WM-Titel. Foto: Hartmut Reeh, dpa

    Drei Mal in Folge Pokal der Landesmeister, Europameister, Weltmeister. Nie mehr werden Münchner Spieler den Weltfußball derart beherrschen wie Mitte der 70er Jahre. Danach aber eben: Steuergschicht, Eheprobleme, Flucht in die USA. , bisschen mehr Studio 54. Der Giesinger Bua endgültig ein Weltbürger, von Andy Warhol künstlerisch gewürdigt. Ikonisch aber sollte sich nicht die Lithographie ins kollektive germanische Gedächtnis brennen, sondern: der Kaiser, als er noch kein Kaiser war, mit Arm in der Schlinge. Der Kaiser, wie er alleine und gedankenverloren über den römischen Rasen schwebt, kurz nachdem er die Nationalmannschaft als Teamchef zum WM-Titel geführt hat. Oder auch der Kaiser, wie er den Ball von einem Weißbierglas aus durch das Loch in der Torwand schießt.

    Lange Zeit galt Beckenbauer als Glückskind des deutschen Fußballs. Nur: Immer Glück ist kein Glück. Nachgeborene machen den WM-Sieg 1990 am überragenden deutschen Kader fest, lächeln überlegen über Beckenbauers schlicht anmutende Forderung an seine Mannschaft, nauszugehen und Fußball zu spuin. Eine verunsicherte Bayern-Elf 1996 zum Uefa-Cup-Sieg zu führen: ein Abstauben dessen, was der gerade erst entlassene Otto Rehhagel mühsam aufgebaut hatte. Die "Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft" im Vorfeld des bayerischen Champions-League-Triumphs 2001: nicht mehr als Folklore. Das Sommermärchen 2006: fußend auf politischen Ränkespielen, dunkler Geldflüsse und ewigen Sonnenscheins – Beckenbauers Charisma nur Dreingabe. Immer Glück ist kein Glück.

    Beckenbauer besaß lange Zeit einen untrüglichen Instinkt für Allianzen und Bündnisse, Fußball-Sachverstand sowieso. Über 30 Jahre erschienen unter seinem Namen Kolumnen in der Bild. Das Boulevardblatt ging dafür nicht allzu streng mit mancherlei Verfehlung des hauseigenen Autoren um. In Robert Schwan vertraute er jenem Mann sein wirtschaftliches Fortkommen an, der maßgeblich für Professionalisierung beim FC Bayern verantwortlich war. Uli Hoeneß führte die Münchner in die Moderne, den Grundstein hatte Schwan gelegt.

    Gestorben mit 78: Das Alter machte Franz Beckenbauer gnädig

    Mit zunehmendem Alter nahmen die trüben Tage zu. Tod des Sohnes, das Absinken im WM-Korruptionssumpf, Herzprobleme, Augeninfarkt. Der Kaiser baute ab. Empfing in seiner Wahlheimat Salzburg seine ehemaligen Spieler. Den Lothar, jasicherlich, den Brehme Andi und auch den Jürgen Klinsmann. Mit dem der Kaiser als Spieler wenig anzufangen wusste, weil sich ihm der Ball gegenüber so widerborstig verhielt. Und der noch dazu bemerkenswert esoterisch für einen Fußballer daherkam. Buddha-Figuren. Anstatt rauszugehen und Fußball zu spuin. Das Alter machte Beckenbauer gnädig.

    Während der WM 1990 hatte er einen Eiskübel durch die Kabine gefeuert, weil es sich seine Mannschaft beim 1:0-Sieg gegen Tschechien zu gemütlich eingerichtet hatte. Wenn er mit seinem Co-Trainer Berti Vogts auf dem Trainingsplatz den Ball über 40 Meter hin und her schlug, winkte er abschätzig ab, wenn dem kleinen Gladbacher die Kugel mehrere Meter vom Fuß sprang. Terrier sind keine Kaiser.

    Der machte sich rar in den vergangenen Jahren. Die Gesundheit. Drang er früher mit Volksweisen in die Hitparade ein ("Gute Freunde kann niemand trennen"), spielte in Filmen (im semi-dokumentarischen "Libero") mit oder franzelte schlicht vor sich hin, wandte er sich nun von der Öffentlichkeit ab – und die sich von ihm. Selten ein Besuch in der Allianz-Arena, eine Stellungnahme zum Tod seines Freundes Pelés. Das war es. Geboren im Arbeiterviertel, ein fast komplettes Leben Held. Am Sonntag starb Beckenbauer im Alter von 78 Jahren. Der liebe Gott freut sich über jedes Kind. Natürlich auch über Beckenbauer. Jasicherlich.

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