Dieser Abend des 8. Juli 1990 im Römer Olympiastadion - er scheint bis heute anzudauern. Die Stimme von Gerd Rubenbauer dringt ans Ohr: "Matthäus, Traumpass auf Völler. Und was gibt er? Er gibt Elfmeter, er gibt Elfmeter!" Fünf Minuten sind im WM-Finale noch zu spielen, als Argentiniens Roberto Sensini gegen Rudi Völler die Grätsche auspackte. Für den mexikanischen Schiedsrichter Edgardo Codesal und alle Neunjährigen vor dem Fernseher war die Sache klar: Elfmeter! Die meisten sahen es anders, selbst Rubenbauer: Völler selbst gab zu, dass man den Elfmeter "nicht unbedingt geben hätte müssen". Letztlich war es ein Pfiff, den es mit dem Videoschiedsrichter niemals gegeben hätte. Egal. Es folgte ein Schuss, mit dem sich Andreas Brehme zur Legende machen sollte: Flach mit rechts ins linke Eck. Sergio Goycochea, der Torwart der Argentinier, hatte sich bei der WM den Status eines Elfmeterkillers erarbeitet. Auch bei Brehme war der Keeper im richtigen Eck. "Goycochea wusste alles. Nur halten konnte er ihn nicht", brüllte Rubenbauer ins Mikro. 1:0, kurz darauf war Deutschland Weltmeister - und Brehme war der Held.
In der Nacht auf Dienstag endete das Leben des Mannes, der Deutschland zum dritten Titel schoss, mit einem Herzstillstand. Das bestätigte seine Lebensgefährtin Susanne Schaefer im Namen der Familie. Brehme ist mit nur 63 Jahren der erste Spieler aus dem damaligen Weltmeister-Kader, der gestorben ist. In der Fußball-Welt sorgte die überraschende Meldung für tiefe Betroffenheit. DFB-Präsident Bernd Neuendorf sagte über den 86-maligen Nationalspieler: "Andreas Brehme gehört zu den größten und besten Fußballspielern der deutschen Geschichte. Den Fußballer und Menschen Andreas Brehme werden wir nie vergessen – wir werden ihn sehr vermissen." Lothar Matthäus sagte, dass ihn die Nachricht "schockiert" habe: "Andy war ein Teil unserer Familie. Wir haben uns vor 45 Jahren kennengelernt, viele gemeinsame Geschichten erlebt. Wir waren Zimmerkollegen, bei der Nationalmannschaft und bei Inter Mailand. Wir haben oft 100 Nächte pro Jahr miteinander verbracht. Diese Freundschaft war auch nach der Karriere nicht vorbei. Es ist wirklich, als ob ein Familienmitglied gestorben ist." Stefan Reuter, langjähriger Mitspieler Brehmes in der Nationalmannschaft, sagte unserer Redaktion: "Die Nachricht vom plötzlichen Tod von Andy Brehme hat mich sehr getroffen und ist mir nahe gegangen, weil er einfach ein toller Mensch war. Ich verbinde mit ihm nicht nur unseren gemeinsamen Erfolg mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1990 in Italien, sondern eben auch viele wunderbare gemeinsame Momente außerhalb des Fußballplatzes."
Der HSV wollte Brehme nur fürs Amateurteam - Brehmes Vater lehnte ab
Auch seine ehemaligen Klubs kondolierten: der 1. FC Kaiserslautern, für den er zweimal spielte und mit dem er abstieg, Pokalsieger und Meister wurde, der FC Bayern München und Inter Mailand. Auch der Verein seiner Geburtsstadt Hamburg, der HSV, schrieb auf X, ehemals Twitter: "Ein Hamburger Jung und WM-Held ist von uns gegangen." Die Geschichte mit dem Hamburger SV, für den Brehme nie unter Vertrag stand, zeigt, wie oft er unterschätzt wurde. Ein mehrwöchiges Probetraining des damals 15-Jährigen überzeugte den Klub nicht, Manager Günter Netzer und Trainer Branko Zebec wollten ihn erstmal für die zweite Mannschaft einplanen. Für Brehmes Vater Bernd, der ihn auch in der gesamten Jugendzeit trainierte, ein Affront: Über Felix Magath gelangte er zum 1. FC Saarbrücken. Nach einem guten Zweitligajahr schlug Kaiserslautern zu. Später ging es über die Bayern zu Inter Mailand.
Der Wechsel 1988 nach Italien kam für viele Beobachter recht überraschend - denn in München lief für den Außenverteidiger recht wenig zusammen. "Ich habe das letzte Jahr in München katastrophal gespielt", befand Brehme recht offen. Vielen galt sein Wechsel nur als Beigabe zu Lothar Matthäus, der ebenfalls von München nach Mailand wechselte. Aber erneut überzeugte Brehme mit Leistung. Die Gazzetta dello Sport fand nach einem halben Jahr recht blumige Worte: "Brehme reißt alle mit und überrollt den Gegner. Er ist wie ein Astronaut im Sondereinsatz." Nach der ersten Saison war Inter Meister und Brehme wurde zum Spieler der Saison gewählt, in der damals stärksten Liga der Welt.
Die Zeit bei Inter Mailand war für Brehme "einmalig"
Der Wechsel nach Mailand sollte zu Brehmes Lebensentscheidung werden, wie er selbst nach dem Karriereende befand: "Der Wechsel nach Italien war die wichtigste Entscheidung meines Lebens. Die Jahre bei Inter waren einmalig." Und dann halt eben die WM 1990 mit Heimspielen für Deutschland im Mailänder San Siro. Die Inter-Fans wurden für die Dauer der WM zu Anhängern der DFB-Elf, schließlich waren alle drei damals erlaubten Ausländerlizenzen mit deutschen Profis besetzt: Brehme, Klinsmann, Matthäus. Stichwort Matthäus: Eigentlich war der Kapitän der Nationalmannschaft damals für die Elfer zuständig. Matthäus verzichtete damals aber auf die Ausführung des Strafstoßes - offiziell deshalb, wie er nicht müde wird zu betonen, weil er erst kurz davor einen neuen Schuh angezogen hatte. Brehme war das egal, denn "einer musste ja schießen". Wohl wahr, zudem stand für ihn fest: "Ich wusste: Ich tu ihn rein!" Bei der Ausführung der Elfmeter konnte sich der Linksfuß, der aber beidfüßig schießen konnte, ohnehin auf seinen Variantenreichtum verlassen, wie er betonte: "Bei mir geht das mit dem linken Fuß genauer und mit dem rechten fester. Deshalb schieß ich mit dem rechten."
Nach seiner Zeit in Mailand zerschlug sich ein Wechsel zum FC Barcelona, stattdessen ging es zu Real Saragossa und wieder zurück zum FCK. Nach dem Ende seiner Spielerkarriere wollte Brehme auch als Trainer Fuß fassen - ein Vorhaben, das nicht ganz so von Erfolg gekrönt war. Weder in Kaiserslautern noch als Chef beim damaligen Zweitligisten Unterhaching konnte er dauerhaft Fuß fassen. Seine Station als Co-Trainer beim VfB Stuttgart unter seinem ehemaligen Inter-Coach Giovanni Trapattoni in der Saison 2005/06 war der letzte Auftritt in der Bundesliga.
Was bleibt, ist die Erinnerung an einen langen und warmen Sommer des Jahres 1990. Und an Andreas Brehme, der mit beiden geballten Fäusten sein Tor bejubelte, bevor ihn seine Mitspieler einholten und sich auf ihn warfen. Klinsmann sollte der erste sein, danach folgten sie alle: Völler, Hässler, Littbarski, alle eben. Ihr größter Triumph wird immer mit dem Namen Andreas Brehme verbunden sein.
Mit diesen Sprüchen bleibt Andreas Brehme in Erinnerung