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Interview: Anti-Doping-Experte zu Olympia: „Das Natürliche ist nicht mehr gut genug“

Interview

Anti-Doping-Experte zu Olympia: „Das Natürliche ist nicht mehr gut genug“

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    Der Pharmakologe und Doping-Experte Fritz Sörgel
    Der Pharmakologe und Doping-Experte Fritz Sörgel Foto: Daniel Karmann, dpa

    In Kürze beginnen die Olympischen Spiele in Paris. Kritiker sagen, es werden wieder Festspiele des Dopings. Frage an den Pharmakologen: Mit welchen Mitteln optimieren sie sich selbst?
    FRIT SÖRGEL: Ich habe früher begeistert Fußball gespielt und hätte für Aufstiege in höhere Ligen alles getan. Ich wäre aber nie auf die Idee gekommen, an ein Dopingmittel heranzukommen. Später, in meinem Erststudium, wäre es sogar leicht gewesen. Ich bin auch niemand, der sagt, er müsse sich früh erst einmal mit Kaffee dopen, bis er in die Gänge kommt. Mich stört da schon der Begriff Doping, den ja viele für das Frühstück oder im Büro nutzen und durch ein Haarwasser weiter verballhornt und verharmlost wird, als ob es zum normalen Leben dazu gehört und es ohne „Doping“ gar nicht geht. Welch ein Unding!

    Doch nun zu den Olympioniken, die es ja bisweilen nicht bei einer Tasse Kaffee belassen, deshalb nochmal: Werden es wieder Festspiele des Dopings?
    SÖRGEL: Die Spiele selbst nicht, da muss man differenzieren. Während der Spiele werden nur noch die Doping-Amateure erwischt. Also eher Sportler aus kleinen Ländern, wo das Know-how des perfekten Dopings mit relativ einfachen Substanzen nicht vorhanden ist.

    Und wie sieht es im Vorfeld aus?
    SÖRGEL: Da lege ich für keinen Sportler oder Verband die Hand ins Feuer. Um ein Beispiel zu nennen: die Benfares-Schwestern, zwei deutsche Läuferinnen, die im Herbst letzten Jahres des Dopings überführt wurden. Obwohl man im deutschen Leichtathletikverband ja schon den Verdacht hatte, wurde offensichtlich nichts unternommen. Sie sind der lebende Beweis dafür, dass es Sportler gibt, die im Vorfeld dopen.

    Das klassische Gegenargument ist, dass das Einzelfälle sind und gleichzeitig Belege dafür, dass das Anti-Doping-System funktioniert, weil solche Einzelfälle eben gefunden werden.
    SÖRGEL: Ich sage auch nicht, dass das Anti-Doping-System und die Analytik schlecht sind. Ganz im Gegenteil. Das ist mittlerweile alles auf einem sehr hohen Niveau, dank der fantastischen technologischen Entwicklung in den letzten dreißig Jahren. Die Frage war immer und ist es noch immer: Was gibt es für Stoffe, die wir nicht entdecken können? Da sind wir einen erheblichen Schritt weiter. Jetzt gibt es Geräte, mit denen man nach wahrhaft Unbekanntem suchen kann. Früher musste man schon wissen, was man sucht. Das Auffinden des Unbekannten war oft Zufall oder man bekam einen Wink wie im Balco-Skandal. Da brachte ein Athlet eine benutzte Ampulle in das Labor des Anti-Doping Papstes Don Catlin in Los Angeles.

    Klingt, als hätte man im Wettrüsten mit den Dopern aufgeholt.
    SÖRGEL: Ja, das muss man so sagen. Dass es im Bereich des tatsächlichen Spitzensports nur noch wenige spektakuläre Fälle gibt, hat sicher auch damit zu tun, dass Sportler vor Doping zurückschrecken. Es gibt sicher nach wie vor Ausnahmen und Verbände, die das unterstützen, aber sicher nicht in hoch entwickelten Industrieländern. Spanien war, wie jetzt eine Untersuchung der Olympischen Spiele in Barcelona erbrachte, eine Ausnahme. Russland oder China sind da heute anders. Das sind Länder, die sich versperren. Man hat zuletzt bei den chinesischen Schwimmern gesehen, wie Ergebnisse manipuliert werden. Diese Länder gibt es und man wird jetzt dann in Paris sehen, wo die spektakulärsten Leistungsanstiege herkommen. Interessant wird auch, wie die 40 russischen Athleten ohne Fahne und Hymne abschneiden.

    Im Kern dreht sich doch aber alles immer darum, den menschlichen Körper zu optimieren.
    SÖRGEL: Der Leistungsanstieg generell in den Sportarten hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Trainingsmethoden immer besser werden. Auch die Ernährung ist optimiert. Da werden alle legalen Mittel ausgeschöpft. Und dann kommen auch diese ganzen Nahrungsergänzungsmittel dazu, von denen keiner weiß, ob sie wirklich wirken. Die haben sicher auch eine gewisse Placebo-Wirkung, aber wenn zehn oder zwanzig zusammenkommen, lässt sich auch unter Anwendung aller pharmakologischen Wissenschaft nichts sicher sagen.

    Jetzt gibt es in den USA den Plan, 2025 die sogenannten „Enhanced Games“ zu veranstalten. Dort soll es hohe Prämien für Weltrekorde geben und vor allem: Doping soll erlaubt sein. Was halten sie davon?
    SÖRGEL: Eine Gefahr ist natürlich das Dopingmittel selbst. Wenn ich das freigebe, dann werden das nicht nur Sportler unter einer optimaler Kontrolle einnehmen. Dann werden sich in noch stärkerer Form Gruppen mit zwielichtigen Gestalten bilden, die sich darauf konzentrieren, Sportler so zu präparieren, damit sie diese Millionen gewinnen können – und gleichzeitig ihre 20 oder 30 Prozent davon kassieren. Die Helfer müssen gleichzeitig Drogendealer sein und die Substanzen besorgen. Das ist nicht immer leicht. Ich nehme schon an, dass es auch bei diesen Enhanced Games nicht ohne Begabung der Sportler Höchstleistungen geben wird. Man kann aus einem Kreisliga-Fußballer auch mit Doping keinen Bundesligaspieler machen. Aber wenn man Doping mit solchen Wettbewerben gesellschaftsfähig macht, dann übt das auch einen großen Reiz auf Leute aus, die nicht diese Begabung haben. Auf niedrigerem Niveau haben wir diese Ausbreitung ja schon im Amateurbereich. In vielen Disziplinen, gerade auch im Fußball, sind Schmerzmittel vollkommen normal.

    Was für gesundheitliche Risiken birgt es, wenn alles freigegeben wäre?
    SÖRGEL: Fangen wir mit Epo an. Wenn der Athlet in keiner Form kontrolliert wird von einem Sportarzt, dann wird es Sportler geben, die sterben, weil das Blut eindickt, es kommt zum Schlaganfall. Anabolika verursachen schwere Herz- und Leberschäden, wenn man sie eine gewisse Zeit nimmt. Aber das wird ja passieren, wenn man solche Spiele macht. Diese sollen im Zweijahresrhythmus stattfinden. Also werden sich junge Leute darauf über Jahre vorbereiten und gar nicht mehr in die Sportvereine gehen, sondern sich außerhalb davon bewegen. Nebenwirkungen durch Langzeiteinnahme werden ignoriert. Es wird genügend kriminelle Sportärzte geben, die das Spiel mitmachen. Und wenn das mit spektakulären Ergebnissen klappt, dann gibt es eben doch die Gefahr, dass ein Teil davon zu uns überschwappt, weil die Leute bei uns auch die Sensationen sehen wollen. Der Bedarf ist nun mal da. Dafür würden dann auch Psychopharmaka eingesetzt, die abhängig machen.

    Trotz dieser Risiken scheint die Anziehungskraft dieser Mittel groß. Es gibt das Goldmann-Paradoxon, das auf einer Studie des amerikanischen Arztes Bob Goldmann aus den 1980er- und 1990er-Jahren beruht. Dieser hatte mit mehreren Umfragen gezeigt, dass rund 50 Prozent der Hochleistungssportler damals bereit gewesen wären, innerhalb von fünf Jahren zu sterben, wenn ihnen die Einnahme einer Droge den Gewinn einer olympischen Goldmedaille sichern würde.
    SÖRGEL: Ja, und das zeigt, warum Enhanced Games überhaupt möglich sind. So sind Hochleistungssportler. Sie sind von Natur aus zu solchen Leistungen begabt, aber ab einem bestimmten Punkt werden sie unkontrollierbar und haben nicht Geduld auf eine weitere Leistungssteigerung zu warten. Sie haben sich nicht mehr im Griff. Da wird an allen Schrauben gedreht.

    Wenn wir nun aber alle gesundheitlichen Risiken außer Acht lassen und nur darauf schauen, welche Leistungen möglich wären. Wo sind die Grenzen? Könnte beispielsweise jemand die 100 Meter unter neun Sekunden laufen? Momentan steht der Weltrekord von Usain Bolt bei 9,58 Sekunden.
    SÖRGEL: Mit Manipulationen der menschlichen Anatomie und Physiologie ist es möglich. Denn man muss in diesen absurden Wettbewerben auch fragen, ob ein Körper Manipulationen an seinem Bau benötigt, um das Training noch auszuhalten. Da wird man zum Beispiel das Knie im Fokus haben, das bei zu hartem Training unter Umständen Probleme verursacht. Allein durch ein Medikament unter 9,0 Sekunden zu laufen, ist nach jetzigen Vorstellungen unmöglich. Ich wüsste nicht, welche Substanz das möglich machen sollte. Denn selbst wenn man einem Usain Bolt die Muskeln eines Ben Johnson „hindopen“ würde, wäre das bei seinem Körperbau nicht förderlich. Er würde wahrscheinlich langsamer sein, weil das die gesamte Körperbalance nachteilig verändert. Das ist ein extrem komplexes Thema, der Körper, seine biochemischen Prozesse und der Bewegungsapparat müssen im Einklang bleiben.

    Kaum vorstellbar, dass es für Leistungen, die unter solchen Bedingungen zustande kommen, Interesse gibt.
    SÖRGEL: Ich bitte sie. Natürlich. Ich versuche das immer im gesamtgesellschaftlichen Rahmen zu betrachten. Wenn sie zum Beispiel im Bereich der Musik sehen, welche Extreme dort passieren. Stichwort Taylor Swift. Die Leute sind ja wie verrückt, die zu sehen. Gut, das ist Musik. Aber genauso ist es natürlich, wenn sie solche Enhanced Games machen, wo von vornherein ganz spektakuläre Dinge zu erwarten sind und eine völlig neue Vermarktung stattfindet. Hochleistungssportler unterwerfen sich ja auch dem Showbusiness und lassen alles Mögliche mit sich machen. Da bin ich wirklich überhaupt nicht optimistisch. Wenn der Markt da ist, dann wird der Markt auch bedient - und der Markt ist da. In den sozialen Medien gibt es da ja einen regelrechten Wettbewerb, wer das spektakulärste Video herausbringt. Normale Olympische Spiele liefern da nicht mehr ausreichend TikTok-Videos.

    Für welchen Sport bei Olympia können sie sich trotz dieser Prognosen noch begeistern?
    SÖRGEL: Ich mag Fußball, Handball und Basketball. Ich bin gespannt, ob sich der Basketball-Erfolg von der WM bis zu einem gewissen Grad wiederholen lässt. Ich mag in der Leichtathletik den Hochsprung, den 100-, 200- und 400-Meter-Lauf und besonders die Staffeln. Das sind spannende Ereignisse – letztere, weil da vier der Besten in einer Disziplin als Staffel versagen können. Die Amerikaner sind da oft betroffen. Dann staubt vielleicht auch mal unser Team eine Medaille ab. Kunstturnen ist sehr ästhetisch. Insgesamt sieht man an neuen Sportarten wie Breakdance, dass auch die Olympischen Spiele immer stärker Richtung Show und Zirkus gehen. Daran sieht man auch, wie sich unsere Gesellschaft insgesamt entwickelt, was sie sehen will: Das Natürliche ist dem Zuschauer auch beim Sport nicht mehr gut genug.

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