Mike Tyson, vielleicht nicht der „Größte Boxer aller Zeiten“, aber auch nicht weit davon entfernt, ist nicht dafür bekannt, als klassischer Boomer zu gelten. Er ist 58 Jahre alt und gehört dieser Generation an, die nach dem 2. Weltkrieg bis in die 60er Jahre geboren wurden. Nun bereitet sich der Schwergewichtsboxer, der in den 80er Jahren seine Gewichtsklasse dominierte wie kein anderer, auf einen Kampf vor. Im AT&T-Stadium in Arlington im US-Bundesstaat Texas trifft er auf den 27 Jahre alten Jake Paul.
Netflix überträgt live und kostenlos für seine 280 Millionen Kunden, das Preisgeld soll sich auf rund 300 Millionen Dollar belaufen, mindestens. Vor allem Jake Paul soll mächtig mitkassieren, wenn die Zahl der Netflix-Abonnenten rund um diesen Fight in die Höhe schnellen sollte. „Tyson versus Paul“ ist auch der „Kampf der Generationen“, hochgejazzt zum Profikampf des Jahres. Und Promoter Nakisa Bidaren verspricht: „Ein Traumkampf, der wohl das meistgesehene Boxereignis der modernen Boxgeschichte sein wird.“ So teilte er es Sports Illustrated jedenfalls mit.
Vergessen werden können somit die epischen Ringschlachten zwischen dem wirklich besten Schwergewichtler aller Zeiten, Muhammad Ali, und Joe Frazier sowie alle anderen Schwergewichts-Titelkämpfe seit 1885 – damals holte sich John S. Sullivan verbrieft den ersten WM-Gürtel. Jack Johnson, Max Schmeling, Joe Louis, Lennox Lewis oder die Klitschko-Brüder Wladimir und Vitali sind große Namen in dieser Chronologie. Tyson, „Iron Mike“, gehört dazu.
Die Grenze zwischen Sport und Klamauk verwischt
Das Comeback im Boxen bei den Berufskämpfern gehört dabei zum Geschäft. Mancher wurde damit noch einmal reich, einige konnten dann wieder Rechnungen bezahlen, andere stellten Dinge für sich klar – wie Henry „Gentleman“ Maske, als er mit 44 Jahren gegen Virgil Hill nach zehnjähriger Ringpause antrat und gewann. Aber es gibt auch diese unsäglichen mehrmaligen Aufeinandertreffen von Regina Halmich, einst Weltmeisterin im Fliegengewicht mit gerade einmal 50 Kilogramm, und dem Showstar Stefan Raab, einem Nicht-Boxer mit mindestens 90 Kilogramm. Auch das gehört zum bezahlten Boxen. Halmich soll 600.000 Euro für ein drittes und letztes Ringgefecht erhalten haben. Die Grenze zwischen Spitzensport, zwischen Weltklasse-Boxen und Klamauk verwischt schnell. Hauptsache irgendwas mit Spektakel.
Der sportliche Wert des Aufeinandertreffens in der Nacht vom 15. auf den 16. November wird sich noch zeigen. Tyson hatte schon in der 90er Jahren sportlich abgebaut, er saß zweimal im Gefängnis, verlor sein Tempo wie auch das Geld, auch seine Schlagkraft, das rechte Knie ist zudem seine Achillesferse. Und er nennt sich selbst „süchtig“. Für den Kampf gegen Jake Paul muss er seinen täglichen Marihuana-Konsum einstellen, mindestens zwei Monate muss er ohne sein liebgewonnenes Kiffen auskommen, sonst droht der positive Dopingtest.
Bereits im Juni sollte der Kampf stattfinden, aber ein Magengeschwür bei Tyson sorgte für die temporäre Absage. Tyson ist ein 58 Jahre alter Mann, der im Schwergewicht zu einem Profikampf antritt. Kann das gut gehen? Je schwerer Faustkämpfer sind, umso eher sind zudem Spätfolgen möglich, die Wucht der Schläge ist enorm. Aber vor allem hat Mike Tyson an Muskelmasse, Beweglichkeit und Tempo verloren. Er war einst nicht nur ein „Hardhitter“, sondern in seiner Blütezeit auch ein defensiv exzellenter Athlet. Von diesen Qualitäten kann nur wenig übrig sein.
Solche Sorgen macht sich Jake Paul nicht. Er ist alles, Influencer, Podcaster, Rapper, Schauspieler, Unternehmer, Investor, Krypto-Währungs-Broker, VIP, ein Teil von Generation Z, den zwischen 1995 und 2010 geborenen. Er nennt sich „The Problem Child“, für Schlagzeilen ist er stets gut, er bestimmt sie, auch ein Bruder Logan mischt da mit. Sie sind ein misogynes Gespann, Kritiker bezeichnen sie als frauenfeindlich und respektlos. Jake Paul ficht das nicht an. Längst hat er Social Media verinnerlicht. 26,9 Millionen Follower auf Instagram, 20,8 Millionen bei You Tube, 4,6 Millionen bei X, also vormals Twitter. Er bedient die moderne Klaviatur fast schon perfekt, zumal er auch als Lebensgefährte der Niederländerin Jutta Leerdam weitere Verbindungspunkte findet.
Die Freundin von Jake Paul sorgte für ein nationales Drama
Die 25 Jahre alte Eisschnellläuferin gewann sechs WM-Titel über 500 und 1000 Meter, ihr Wechsel von Jumbo-Visma in das selbstvermarktete Eisschnelllaufen schlug höchste Wellen in ihrer Heimat. Noch 2019 wurde sie vom Männermagazin FHM zur schönsten Niederländerin gekürt, drei Jahre später führte sie eine Kampagne von Dior an, auf den Kufen ist sie ein Star, die Trennung von Eisschnellläufer Koen Verweij war fast ein nationales Drama, die Bekanntgabe der Partnerschaft mit Jake Paul ein mediales Großereignis. Auch ihr folgen 4,5 Millionen Menschen allein bei Instagram. „Julia & Jake“ in Paris wurde dann förmlich zum Bilderrausch.
Jake Paul boxt seit 2020, er gewann zehn von elf offiziellen Profikämpfen. Man findet ihn in keiner Rangliste der Schwergewichtler vorne wieder. Nur gegen Tommy Fury, den Halbbruder von Schwergewichts-Champion Tyson Fury, unterlag er im Februar 2023. Sports Illustrated hob ihn im vergangenen Jahr dennoch in die Top 50 der wichtigsten Menschen im Sport. Dieser Kampf gegen Tyson scheint mehr Geld zu bewegen, als es ein Floyd „Pretty Boy“ Mayweather oder Anthony Joshua bislang konnten. Nur keiner weiß wirklich, was Jake Paul im Ring kann. Niemand weiß zudem, wozu Tyson imstande ist. Das Aufeinandertreffen in Arlington ist nur auf acht Runden angesetzt, nicht wie handelsüblich auf zehn oder zwölf. Und auch die Kampfdauer wird jeweils nur zwei Minuten je Runde betragen, die Handschuhe sind größer als die sonst gebräuchlichen für die allerhärtesten Ringschlachten. Es geht um keinen Titel, keine Urkunde, aber um unfassbar viel Geld. Der Kampf der Generationen über Boxen light ist eine Inszenierung, sicherlich ein fragwürdiges Spektakel – vor einem Millionen-Publikum.
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