Nach den bitteren Tränen über ihren verpatzten Finallauf und die verpasste olympische Medaille, im Moment der tiefsten Enttäuschung, zeigte Ricarda Funk menschliche Größe. Die deutsche Slalomkanutin aus Augsburg nahm all ihre restliche Kraft zusammen, um sich in dieser emotional aufwühlenden Situation zu sammeln und sich den Fragen der Medien zu stellen. Mit immer noch bebender Stimme bemühte sich die geschlagene Olympiasiegerin von Tokio zu erklären, was da gerade schiefgegangen war im Wildwasser von Vaires-sur-Marne.
Dort, wo sie sich zwei Stunden zuvor im Halbfinale noch mit einem fehlerlosen Lauf souverän an die Spitze gesetzt hatte. Doch als letzte Starterin im Finale schaffte es die 32-Jährige nicht, ihr Rennen reibungslos nach unten zu bringen. „Ich habe davon geträumt, als letzte Starterin ein olympisches Finale in Angriff zu nehmen. Der Druck, die Gedanken, die Zweifel, das Gefühlschaos, wenn man da oben ganz alleine steht. Das war etwas ganz Besonderes“, schilderte Funk ihre eigentlich perfekte Ausgangssituation.
Am viertletzten Tor auf der Olympischen Kanustrecke läuft für Ricarda Funk alles schief
Im oberen Abschnitt der Strecke lief auch noch alles gut, doch als Funk spürte, dass es mit der Zeit eng werden könnte, erhöhte sie das Risiko. Was sich im unteren Teil der Strecke bitter rächen sollte. Am viertletzten Tor mit der Nummer 20 lief alles schief, was schiefgehen konnte. Funk berührte nicht nur die Stange, sondern schlug diese von ihr unbemerkt über den Helm hinweg, sodass das Tor als „nicht korrekt befahren“ gewertet wurde. Statt zwei Strafsekunden, wie die Kanutin dachte, wurden ihr 50 Strafsekunden aufgeschlagen. Das ernüchternde Resultat: Medaille futsch, Platz elf von zwölf Finalistinnen.
Der Schock über das Missgeschick stand nicht nur der Sportlerin ins Gesicht geschrieben. Teamkollegen, Betreuerteam, Trainer, Fans und sogar die Gegnerinnen wie die neue Olympiasiegerin Jessica Fox aus Australien reagierten fassungslos und überrascht. Einen solch massiven Fahrfehler hatte bei Funk niemand erwartet. Was folgte, war eine immense Welle an Zuspruch, Lob, aufmunternde Worte und Sympathiebekundungen aus der ganzen Welt für die allseits beliebte Athletin.
Ricarda Funk gibt Einblick in ihr Seelenleben: „Ich bin keine Maschine!“
Wohl auch ein Grund, dass sie sich am Tag danach in den Sozialen Medien noch einmal erklärte. Keine Rechtfertigung, sondern ein ergreifendes Statement. „NEIN, ich bin keine Maschine! Hatte ich Angst zu scheitern? JA! Aber ich habe die Angst angenommen und überwunden. Ich war mutig. Ich war da, im Flow, im Hier und Jetzt, es war eine Fahrt auf Angriff. Ich habe alles auf dem Wasser gelassen. Darauf bin ich stolz. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wann ich jemals so einen Stolz empfunden habe. Und trotzdem ist mein Herz erstmal gebrochen“, gab Funk einen bewegenden Einblick in ihr Seelenleben.
Schon mehrfach in ihrer Karriere hat die 32-jährige, gebürtige Rheinländerin Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Dabei spielten auch die Olympischen Spiele eine tragische Rolle. 2016 hatte Ricarda Funk knapp die Teilnahme in Rio de Janeiro verpasst. Im Olympiateam aber stand ihr Kajak-Trainer Stefan Henze. Dieser wurde während der Spiele bei einem Autounfall so schwer verletzt, dass er ein paar Tage später noch vor Ort verstarb. Bei ihrem Goldmedaillengewinn fünf Jahre später erinnerte Funk in Tränen aufgelöst an ihren Trainer. „Er ist tief in meinem Herzen. Er ist immer mitgefahren. Bei jedem Training. Bei jedem Wettkampf. Und er gibt mir immer noch meine Tipps.“ Auch in Paris kamen nach ihrem Finale die Momente von damals hoch. Doch statt daran zu verzweifeln, will Funk daraus neue Kraft schöpfen. „Ich glaube, genau solche Rückschläge haben mit 2021 zur Olympiasiegerin gemacht. Solche Tiefen lassen die Höhen gleich in einem anderen Glanz erstrahlen.“
Am Freitag startet Ricarda Funk noch bei der Olympia-Premiere im Kajak-Cross
Nun gilt es für Funk, den Rückschlag von Paris zu verarbeiten, denn sie hat noch einen zweiten Einsatz bei den Spielen. Die Kajak-Spezialistin, die seit vielen Jahren in Augsburg lebt und trainiert, ist auch im Kajak-Cross qualifiziert. Eine neue olympische Sportart, die gewissermaßen in Augsburg erfunden wurde. Als Boatercross wurde das Vierer-Rennen in kleinen, wendigen Booten, die von einer Rampe aus ins Wasser rutschen, dort erstmals bei einem Weltcup ausgetragen. Die olympischen Vorläufe starten am Freitag, 2. August.
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