Ein Abschied will wohl vorbereitet sein in Zeiten von sozialen Medien. Portugals Innenverteidiger Pepe hat diese Disziplin neulich auf die Spitze getrieben, als er ein über 30-minütiges Abschiedsvideo veröffentlichte, mit dem er im zarten Alter von 41 Jahren sein Karriereende verkündete. Manuel Neuer ist erst 38 Jahre alt und wird noch weiter beim FC Bayern Fußball spielen. Seit Mittwoch ist aber klar: In der deutschen Nationalmannschaft werden keine weiteren Spiele hinzukommen. Nach 15 Jahren und 124 Partien für die DFB-Auswahl ist Schluss. Bekannt gegeben hat Neuer das ebenfalls in einem Video, das mit einer Laufzeit von knapp zwei Minuten deutlich kürzer als das von Pepe ist und auch ansonsten äußerst schlicht daherkommt.
Auf einem Stuhl sitzend, bedankt sich Neuer bei allen Mitarbeitern des Deutschen Fußball-Bundes für die Zusammenarbeit, ebenso bei den Fans für die Unterstützung. Die Entscheidung sei ihm nicht leicht gefallen: „Ich persönlich habe es geliebt, das Trikot der deutschen Nationalmannschaft zu tragen.“ Vor allem die sieben Jahre, in denen er das Team als Kapitän anführte, hätten ihn mit „Stolz und auch mit einer Menge Dankbarkeit“ erfüllt. Seinen Status als Spielführer verlor Neuer, nachdem er wegen eines Unterschenkelbruchs eineinhalb Jahre ausgefallen war. Erst kurz vor der EM nahm er wieder die Position im deutschen Kasten ein. Dass er bei der Heim-EM nochmals auf dem Rasen stand, „war die Krönung“. Erst am Dienstag waren Gerüchte aufgekommen, wonach Neuer seine Karriere im Nationalteam fortsetzen wolle.
Neuer und Nagelsmann: Eine Wende im deutschen Fußball
Für Bundestrainer Julian Nagelsmann gibt damit innerhalb weniger Tage der zweite Routinier seinen Abschied aus der Nationalmannschaft bekannt. Am Montagabend hatte Neuers Nachfolger als Kapitän, Ilkay Gündogan, sein Aus im DFB-Trikot verkündet. Das Karriereende von Toni Kroos stand bereits vor der EM fest, nach dem Turnier hatte auch Thomas Müller bekannt gegeben, künftig nur noch für den FC Bayern zu spielen. Neuers Rücktritt markiert eine Zeitenwende bei der DFB-Auswahl: Mit ihm nimmt der letzte Spieler Abschied, der beim WM-Triumph 2014 in Brasilien im Kader war.
Nagelsmann muss nun einen Generationswechsel einleiten, neue Säulen finden. Er sprach davon, dass er die Beweggründe des Keepers nachvollziehen könne. Doch sein Abschied sei ein großer Verlust, „sportlich und menschlich. Manu hat das Torwartspiel geprägt wie kein anderer in der Geschichte des Fußballs.“ Der FC Bayern, mit dem er elf Meisterschaften und zweimal die Champions League gewann, veröffentlichte ein Bild von Neuer beim Jubel im Maracana-Stadion und schrieb dazu: „Fußball-Deutschland wird dir auf ewig dankbar sein.“ Mats Hummels rühmte seinen langjährigen Mitspieler: „Der beste Torwart, den ich je gesehen habe.“ Auf dem Höhepunkt von Neuers Schaffen dürfte es tatsächlich kaum jemand gegeben haben, der an dessen exponierter Stellung gezweifelt haben dürfte. Neuer galt als der modernste aller Torhüter, als mitspielender Schlussmann. Als einer, der es wohl auch als Feldspieler zum Profi geschafft hätte. In Erinnerung bleibt vielen das Achtelfinal-Spiel 2014 gegen Algerien, als er wie ein Libero immer wieder gegen die Stürmer der Nordafrikaner klärte. Neuer wurde zum Torhüter der Dekade 2011 bis 2020 sowie fünfmal zum Welttorhüter gewählt, was ihn zusammen mit Italiens Legende Gianluigi Buffon zum Rekordhalter macht. Neuer – das ist auch die Geschichte vom Nimbus, vom Über-Torhüter.
Der Nimbus von Manuel Neuer hatte zuletzt Kratzer abbekommen
Dennoch scheint es nicht, als ob Neuer zu früh Abschied vom DFB genommen hat. Sein Image hatte in den vergangenen Jahren sichtliche Kratzer erlitten, und das nicht nur wegen der langen Verletzungspausen. Immer öfter hatte der einst unfehlbar Wirkende zuletzt gepatzt, immer seltener die Weltklasse früherer Tage offenbart. Schon beim Halbfinal-Rückspiel des FC Bayern gegen Real Madrid war das so. Als er vor der EM zuerst im Testspiel gegen die Ukraine, dann wenige Tage später gegen Griechenland erneut nicht gut aussah, schien die frühe Festlegung Nagelsmanns auf Neuer im Tor zum Bumerang zu werden. Beim Turnier stabilisierte sich Neuer jedoch wieder.
Künftig muss Nagelsmann wohl nicht mehr überlegen, wen er ins deutsche Tor stellt. Marc-André ter Stegen dürfte mit 32 Jahren endlich die Rolle als Nummer eins der Nation übernehmen. Für manchen Beobachter kommt das etliche Jahre zu spät. Gut möglich, dass Neuer das WM-Finale in zwei Jahren schon als Privatier verfolgt. Sein Vertrag bei den Bayern läuft noch bis Juni 2025, genau wie der von Thomas Müller. Das Finale der Champions League findet einen Monat zuvor in München statt. Eine Teilnahme daran könnte ein würdiger Schlusspunkt sein.
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