Vor dem Schritt auf das Podest hielt Yemisi Ogunleye noch einmal fassungslos die Hände vor das Gesicht. Als dann am Schlusstag der Leichtathletik-Wettbewerbe im Stade de France zum ersten Mal doch noch die deutsche Nationalhymne erklang, kullerten der musikbegeisterten Kugelstoß-Olympiasiegerin Tränen über die Wangen, während sie den Text mitsang und zur schwarz-rot-goldenen Fahne emporschaute.
Die 25-Jährige kürte sich drei Jahre nach Gold für Weitspringerin Malaika Mihambo zur nächsten deutschen Olympiasiegerin, der ersten im Kugelstoßen nach fast drei Jahrzehnten. Mit ihrem letzten Versuch auf 20,00 Meter hatte Ogunleye sich zum einzigen deutschen Olympia-Champion in der Leichtathletik bei den stimmungsvollen Paris-Spielen gekürt.
Ogunleye einzige Deutsche am Schlussabend
Sehr emotional sei die Siegerehrung gewesen, berichtete Ogunleye anschließend im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur und sprach von Tränen der Freude und Dankbarkeit, die sie nicht habe zurückhalten können. Zuvor hatte sie schon beobachtet, wie Tränen auf dem Siegerpodest flossen. «Andere haben vorher gesagt, wenn Du gut performst, wirst Du die selbst haben. Und schwuppdiwupps stehe ich da auf dieser Bühne», erzählte die Mannheimerin.
Allerdings war Ogunleye an einem Gala-Abend der Leichtathletik, die vor stets 70.000 Fans in Saint-Denis eine Renaissance erlebte, auch die einzige deutsche Darstellerin im Innenraum. In den acht Entscheidungen auf höchstem Niveau zum Abschluss am Samstag, als Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron mitfieberte, war niemand aus dem deutschen Team vertreten.
Verband sieht anhaltende Trendumkehr
Gold für Ogunleye, Silber für Weitspringerin Mihambo und Zehnkämpfer Leo Neugebauer sowie Bronze für die deutsche Frauen-Sprint-Staffel waren die im Medaillenspiegel messbare Ausbeute für das deutsche Leichtathletik-Team. Das war einmal Edelmetall mehr als vorher anvisiert. Es war auch eine Rehabilitierung nach der Nullnummer bei den Weltmeisterschaften von Budapest vor einem Jahr.
«Das ist etwas, was uns sehr getroffen hat», räumte Sportvorstand Jörg Bügner vom Deutschen Leichtathletik-Verband rückblickend freimütig ein. Er sieht wie schon nach den Europameisterschaften im Juni in Rom eine Trendumkehr. «Vier Medaillen hat man uns nicht unbedingt zugetraut. Wir haben Rückenwind, wir wissen aber, dass noch nicht alles Sonnenschein ist», sagte Bügner der dpa. Der DLV holte eine Medaille mehr als in Tokio, als es neben Gold von Mihambo noch zweimal Silber gab.
Ogunleye wünscht sich Wertschätzung
«Was mir in Budapest ein bisschen weh getan hat: So viele haben es ins Finale geschafft, und das wurde nicht gewürdigt, weil es keine Medaille war», sagte die WM-Zehnte Ogunleye. «Wir haben bei diesen Olympischen Spielen gezeigt, was in uns steckt.»
Sie wünscht sich statt Kritik mehr Wertschätzung auch für Plätze oder Bestleistungen, die nicht für Medaillen reichen. Das gehe nun mal nicht auf Knopfdruck. «Was ich so schlimm fand, dass die Athleten auch so in der Kritik standen», sagte Ogunleye.
Der frühere Marathon-Europameister Richard Ringer verfehlte zwar am Samstag seine Traumplatzierung, denn als Achter hätte er ein olympisches Diplom bekommen. Doch auch so fuhr er zufrieden nach Hause. «Zwölfter beim Marathon ist was anderes als vielleicht in einer anderen Disziplin in der Leichtathletik», sagte der 35-Jährige nach einem starken Rennen in einem Top-Feld.
Olympiasiegerin Kumbernuss traut Ogunleye viel zu
Im Kugelstoßen der Frauen sieht es vor allem dank der insgesamt fünften deutschen Olympiasiegerin wieder rosig aus. «Sie hat eine tolle Ausstrahlung und sieht sympathisch aus. Etwas Besseres kann dem Kugelstoßen in Deutschland nicht passieren», sagte Astrid Kumbernuss, 1996 in Atlanta bis dato letzte deutsche Gold-Gewinnerin, der dpa. «Da kommt noch ganz viel.»
In anderen Disziplinen, wie den Mittel- und Langstrecken auf der Bahn, ist die Weltspitze weit weg. In manchen, wie dem Dreisprung der Frauen oder dem Kugelstoßen der Männer, war niemand aus Deutschland bei Olympia dabei. «Wir gehen auch mit einer Menge Aufgaben nach Hause», sagte Bügner gut ein Jahr vor der nächsten WM in Tokio.
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