Es ist eine Leichtathletik-Europameisterschaft unter ganz besonderen Vorzeichen, denn längst gilt alle Aufmerksamkeit den Olympischen Sommerspielen. Wie in fast allen Sportarten abseits des Fußballs sind olympische Meriten auch für Läufer, Springer und Werfer das höchste aller Ziele. Rund sieben Wochen liegen zwischen der EM in Rom, die am Freitag beginnt, und den Sommerspielen in Paris (26. Juli - 11. August). Trainingstechnisch ist es schwer bis unmöglich, an beiden Terminen in Topform zu sein. Deshalb dient die EM all denjenigen, die bereits ihr Olympia-Ticket sicher haben, als Trainingseinheit unter Wettkampfbedingungen. Gleichzeitig gibt es im deutschen Team aber auch noch eine Reihe von Sportlerinnen und Sportlern, die sich noch für Paris qualifizieren wollen.
Erinnerungen an rauschhafte Abende im Münchner Olympiastadion
Medaillenbilanzen dürften angesichts dieser Konstellation eine untergeordnete Rolle spielen. Spätestens mit dem ersten Startschuss in Paris wird die EM nur noch eine verschwommene Erinnerung sein. Deutlich nachhaltiger waren und ist die EM von 2022, als die europäische Leichtathletik-Elite in München gastierte und rauschhafte Abende im Olympiastadion erlebte. Vier der fünf amtierenden deutschen Europameister werden in Rom am Start sein: Niklas Kaul (Zehnkampf), Gina Lückenkemper (100 Meter), Richard Ringer (Marathon) und Julian Weber (Speerwurf). Dazu kam in München noch Gold in der 4x100-Meter-Staffel der Frauen.
Das Sorgenkind des DLV heißt Konstanze Klosterhalfen. Sie hatte 2022 das EM-Finale über 5000 Meter gewonnen, sucht momentan aber noch nach ihrer Form aus Münchner Tagen. Wegen eines Infektes müsse sie auf die Teilnahme in Rom verzichten, hatte der deutsche Verband im Vorfeld mitgeteilt. Damit bleiben Klosterhalfen nur noch die deutschen Meisterschaften (29./30. Juni in Braunschweig), um die Olympianorm zu knacken.
Die deutsche Leichtathletik: In Europa top, weltweit eher Mittelmaß
München hatte einmal mehr gezeigt, dass die deutsche Leichtathletik auf europäischer Bühne glänzen kann, weltweit aber meist ziemlich zahnlos daher kommt. Zwischen zwei enttäuschenden Weltmeisterschaften beendete der DLV die EM 2022 mit 16 Medaillen (7 Gold/7 Silber/2 Bronze) als erfolgreichste Nation. Dieses Schauspiel könnte sich in diesem Jahr wiederholen, denn in Paris schrumpft die Zahl der deutschen Medaillenkandidaten auf einen niedrigen einstelligen Wert zusammen.
Doch zuvor sollen die Wettbewerbe in Rom zumindest für gute Stimmung sorgen. "Angesichts der guten Vorleistungen unserer Athletinnen und Athleten bin ich zuversichtlich, dass wir bei der Medaillenvergabe in zahlreichen Wettbewerben ein Wort mitreden werden", sagte DLV-Sportvorstand Jörg Bügner der ARD. Und: "Für unsere Top-Athletinnen und -Athleten ist es eine ideale Standortbestimmung in Hinblick auf die Olympischen Spiele im August. Ansonsten gilt es, sich so gut wie möglich international in Szene zu setzen."
Malaika Mihambo ist in Rom und Paris eine Gold-Kandidatin
Eine, die hier wie dort Titelambitionen hat, ist Malaika Mihambo. Die Weitspringerin hat ihre Vorbereitung voll auf Paris ausgerichtet. Dort kann die Tokio-Olympiasiegerin Historisches schaffen und als erste Frau zwei olympische Goldmedaillen in Folge holen. Die EM hat dennoch einen hohen Stellenwert für sie. "Für mich ist es auf jeden Fall eine Meisterschaft, die ich sehr ernst nehme", sagte Mihambo. "Aber natürlich ist klar, dass in Paris dann im Sommer der absolute Höhepunkt gesetzt wird."
Trotz der anstehenden Sommerspiele ist die EM sehr gut besetzt. Die europäischen Stars der Szene nutzen sie als Generalprobe. So steht auch der Serien-Weltrekordler Armand Duplantis in den Meldelisten. Der Stabhochspringer fliegt schon seit Längerem in seinen ganz eigenen Sphären, der EM-Titel scheint ihm sicher. Die Frage ist für viele nur noch, ob er sich seinen nächsten Weltrekord für Paris aufhebt oder doch schon in Rom zeigt.