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Kommentar: Moralischen Kompass verloren? Ein Leitfaden für die WM

Kommentar

Moralischen Kompass verloren? Ein Leitfaden für die WM

Tilmann Mehl
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    "One Love"  – viel besser als "No Discrimination".
    "One Love" – viel besser als "No Discrimination". Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    War ja auch noch nie so schwer, die Orientierung zu behalten. Was gerade noch verpönt war, ist plötzlich Symbol der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ein Zeichen des zivilen Widerstands. Die Welt dreht sich immer schneller, die Fliehkräfte können einen schnell an den Rand der Gesellschaft treiben. Aufgabe des Journalismus muss es dann auch sein, Pflöcke reinzurammen, an denen sich festhalten lässt. Oder eben einen Kompass zur Verfügung zu stellen, mit dem sich durch die Debatten lavieren lässt.

    One-Love könnte Motto eines 90er-Jahre Techno-Umzugs sein

    Die One-Love-Binde nun zum Beispiel: War hierzulande ja verpönt, weil sie so arg nichtssagend daherkam in ihrem wahllos farbigen Design und mit dem Sprüchlein, das auch Motto eines 90er-Jahre Techno-Umzugs hätte sein können. Die Deutschen haben ja seit den frühen 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein durchaus ambivalentes Verhalten zu Binden. Erst wollten sie alle tragen und später wollte sie dann niemand getragen haben. Zeiten ändern sich. Aber klar, Orientierung und so: "One Love" ist jetzt gut. Viel besser als "No Discrimination". Weil das nämlich die Fifa auf ihre Binde druckt. Und die

    Im Vergleich zu Saudi-Arabien ist Katar eine Regenbogen-Nation

    Schwieriger wird es schon bei der Frage, ob man dem inneren Impuls folgen darf, sich über Außenseiter-Erfolge zu freuen. Also beispielsweise über den Erfolg der Saudis gegen Argentinien. Weil: Im Vergleich zu Saudi-Arabien ist Katar eine Regenbogen-Nation. Sich also mit einem Team freuen, dessen politische Führung einen Journalisten hat zersägen lassen? Nein! Schnell wieder runter mit den Jubel-Armen.

    Um was für das Gewissen zu tun und eben nicht nur maulheldig Sportlern in 5000 Kilometern zu sagen, was sie zu tun haben, rein zu Rewe. Der Edel-Konzern, dessen Vertrag mit dem DFB sowieso ausgelaufen wäre, der nun aber schon die Zusammenarbeit während der WM beendet. Tue Gutes und rede darüber. Dann mal bei den Menschenfreunden ein Kilo Hähnchenschenkel für 5,13 Euro kaufen. Waren garantiert glückliche Viecher, die von glücklichen Menschen gekeult wurden. Tönnies und so.

    Und wer dann auf dem Nachhauseweg vom Supermarkt noch ein Obdachlosen-Magazin kauft, sollte sein Moral-Konto wieder so weit aufgeladen haben, dass ruhigen Gewissens die Abreise der deutschen Mannschaft aus diesem Schurkenstaat gefordert werden kann.

    Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar steht in der Kritik, auch in der Redaktion haben wir ausführlich darüber diskutiert. Eine Einordnung, warum wir das Sportevent dennoch ausführlich journalistisch begleiten, lesen Sie in diesem Text.

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