Die Amtszeit von Hansi Flick als Bundestrainer sollte eine neue Ära sein – und wurde zu einer Episode. Am Sonntagabend gab der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seinem leitenden Angestellten nach gerade mal 25 Spielen den Laufpass. Im Länderspiel gegen Frankreich am Dienstag (21 Uhr, ARD) wird erstmals in der 123-jährigen Geschichte des Verbands ein Interims-Trio aus Rudi Völler, Sportdirektor Hannes Wolf und Sandro Wagner sitzen. Dass Flick nicht einmal das letzte Länderspiel gegen den Vize-Weltmeister gegönnt wurde, spricht Bände. Die Nervosität ist enorm beim DFB, für den in neun Monaten die Europameisterschaft im eigenen Land ansteht. Und selten schien ein Heim-Turnier so ungelegen zu kommen wie jetzt.
Denn der deutsche Fußball steckt in einer der tiefsten Krisen seines Bestehens. Nachdem sich die Männer-Nationalmannschaft im Winter zum zweiten Mal in Folge nach einer Vorrunde verabschiedet hat, scheiterte auch das Nachwuchsteam der U21 in der EM-Gruppenphase. Selbst die sonst so erfolgsverwöhnten Frauen lieferten bei der Weltmeisterschaft eine historische Schmach ab, auch für sie war erstmals nach der Vorrunde Schluss.
Der DFB produziert Roboter statt neuen Helden
Hinter dem Scheitern steckt eine Systematik. Alle Teams bemängeln das Fehlen von Spielern auf neuralgischen Positionen wie dem Sturmzentrum oder den Außenbahnen. Allgemein fehlen kreative Spieler. Die Kritik: Anstatt individuelle Fertigkeiten zu fördern, legt man in der Jugendarbeit seit Jahren den Schwerpunkt auf die taktische Ausbildung. Anders formuliert: Jeder Nachwuchsnationalspieler kann traumwandlerisch die Abwehrformation ändern, doch kaum einer traut sich aus dem Schema auszubrechen. Der DFB produziert Roboter statt neue Helden. Dass Jamal Musiala der derzeit wohl beste deutsche Spieler ist, liegt für viele darin begründet, dass dieser die Jugend beim FC Chelsea verbrachte und deswegen in den Genuss des englischen Nachwuchssystems kam.
Und dennoch liegt das größte Problem des DFB derzeit nicht einmal auf dem Platz. Der Verband schiebt riesige Kosten vor sich her und fuhr zuletzt auch wegen Steuerrückstellungen ein Jahresminus von 33,5 Millionen Euro ein. Wie sehr der DFB vom Blick zurück und verkrusteten Strukturen geprägt ist, zeigte sich bei der Zusammensetzung der Taskforce, die nach dem Aus bei der WM in Katar gegründet wurde. Statt Ideen von außen kamen die immer gleichen Gesichter aus der Bundesliga zusammen und einigten sich bei der Suche nach einem Sportdirektor auf den 63-jährigen Rudi Völler. Der saß passenderweise schon am Tisch, weil er selbst Mitglied der Findungskommission war.
Hans-Joachim Watzke steht stellvertretend für die Probleme des DFB
Als der kürzlich installierte Sportdirektor für Jugendarbeit, Hannes Wolf, seine Nachwuchsreform vorstellte, bei der es statt Tabellen andere Kriterien gibt (wie es etwa in England der Fall ist), rief das Kritik hervor. Wolfs Vorgesetzter, der 64-jährige DFB-Vizepräsident Hans-Joachim Watzke, unterstützte diese Pläne nicht, sondern stellte ihn öffentlich bloß: Die Reform sei "unfassbar". Und überhaupt: "Demnächst spielen wir noch ohne Ball." Ganz offenbar hatte sich Watzke nicht einmal mit den Plänen beschäftigt, bevor er sie in der Luft zerriss.
Watzke steht für das ganz große Problem des DFB: Alles soll wieder besser werden, aber bitte so bleiben, wie es ist. Solange diese Denkweise vorherrscht, wird nichts besser werden, egal, wie der Bundestrainer heißt.