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Kommentar: Debatte um Kimmich und Djokovic: Immer wissen es alle besser

Kommentar

Debatte um Kimmich und Djokovic: Immer wissen es alle besser

Tilmann Mehl
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    Joshua Kimmich stand wegen seiner Impfskepsis in der Kritik. Mittlerweile hat er seine Meinung revidiert. Der Sport aber wird es auch künftig nur den wenigsten recht machen können.
    Joshua Kimmich stand wegen seiner Impfskepsis in der Kritik. Mittlerweile hat er seine Meinung revidiert. Der Sport aber wird es auch künftig nur den wenigsten recht machen können. Foto: Jörg Halisch, Witters

    Inzidenz und R-Wert hatten gerade ihren Weg in den Sprachgebrauch der Bevölkerung gefunden – Omikron oder mRNA aber hätten den meisten als recht willkürliche Buchstabenansammlung gegolten. Das Virus stand am Anfang, die Menschen waren bereits am Ende. Sieben Wochen lang durften sie im Frühjahr 2020 Haus oder Wohnung nur für die nötigsten Besorgungen verlassen. Die Reaktionen auf die Entscheidung der Deutschen Fußball Liga waren denn auch nicht von allgemeinem Verständnis geprägt. Als die Bundesregierung die ersten Corona-Lockerungen durchsetzte, ging die DFL in die Vollen. Die Bundesliga sollte Mitte Mai ihren Spielbetrieb wieder aufnehmen. Karl Lauterbach stand damals am Anfang seiner hoffnungsvollen Karriere als TV-Dauergast, von der Leitung des Gesundheitsministeriums träumte er höchstens.

    Lauterbach also sprach von einem "fatalen Signal" und viele folgten ihm. Auch – und vor allem– Journalisten und Journalistinnen. Die Kommentarspalten der Zeitungen trieften von moralischem Überlegenheitsgefühl. Was erlaubt sich dieser durch und durch kapitalistische Wirtschaftszweig? Reicht es den Millionarios denn nie? Zu dieser Zeit infizierten sich pro Tag in etwa 1000 Deutsche mit dem Virus. Im allgemeinen Bewusstsein beanspruchte der Fußball eine Sonderrolle. Eine, die ihm nur schwerlich zuzugestehen war. Zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie hat sich an diesem kritischen Blick auf den Profisport immer noch wenig geändert.

    Joshua Kimmich stand wegen seiner Impfskepsis in der Kritik. Mittlerweile hat er seine Meinung revidiert. Der Sport aber wird es auch künftig nur den wenigsten recht machen können.
    Joshua Kimmich stand wegen seiner Impfskepsis in der Kritik. Mittlerweile hat er seine Meinung revidiert. Der Sport aber wird es auch künftig nur den wenigsten recht machen können. Foto: Jörg Halisch, Witters

    Fußball trotz Corona: Sonderbehandlung führt zu Neid und Kritik

    Politik und Gesellschaft arbeiten sich am Sport ab, meistens an dessen prominentesten Vertreter: dem Fußball. Als die Berufsfußballer im Mai 2020 endlich wieder ihrer Arbeit nachgehen durften, sprachen viele von einer Sonderbehandlung. Es war ein nur mühsam kaschierter neidischer Blick auf privilegierte Wohlstandsjünglinge, die kicken durften, während der Vereinssport für alle anderen verboten war. Der Profifußball hat sich den Argwohn über Jahrzehnte hinweg verdient. Immer noch eine Milliarde mehr an TV-Geld, immer noch eine Rekordablöse. 18-Jährige, die Autos entsteigen, die den Wert einer Dreizimmerwohnung haben. Fernsehen macht die Klugen klüger und die Dummen dümmer. Trifft auf Geld ebenfalls zu.

    Der kritische Blick auf den Sport änderte sich auch dann noch nicht grundlegend, als sich das Hygienekonzept der DFL als stabil gezeigt hatte. Ligen aus der ganzen Welt nahmen sich das Modell made in Germany zum Vorbild, während hierzulande immer noch bemängelt wurde, welche Sonderregeln den Fußballern zugestanden werden.

    Das hat mittlerweile so weit geführt, dass selbst anfangs noch aufgeschlossene Politiker und Politikerinnen den Profisport schlechter stellen als andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, in der Hoffnung, dem Willen des Volks zu entsprechen.

    Markus Söder beispielsweise begrüßte vor zwei Jahren den Re-Start der Bundesliga. Er verließ mittlerweile die Spielvereinigung Vorsicht und versucht nun, im Team Augenmaß die Fäden zu ziehen. Mit mäßigem Erfolg. Während man ins Restaurant gehen kann oder kulturelle Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zumindest zu 25 Prozent ausgelastet werden dürfen, müssen die Profis vor leeren Rängen spielen. Eine schlüssige Erklärung, weshalb die Augsburger oder die Münchner Arena so gar keine Fans begrüßen darf: Fehlanzeige.

    Markus Söder spielt im Team Augenmaß - manchmal verliert er selbiges aber auch.
    Markus Söder spielt im Team Augenmaß - manchmal verliert er selbiges aber auch. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Es ist gefühlsgetragene Politik, die möglicherweise sogar die Stimmung der meisten Menschen wiedergibt. Über Wochen hinweg debattierten Stammtische, Medienleute, Eltern und Großeltern über einen Fußballer, der sich nicht impfen lassen wollte. Joshua Kimmich führte im vergangenen Herbst fehlende Langzeitstudien für seine Weigerung an. Ein Argument, das schnell aus der Welt zu schaffen gewesen wäre. Eines, das aber auch viele andere Menschen für sich geltend machten. Metzger und Müllmänner, Pflegerinnen und Bürokauffrauen. Menschen aus dieser viel beschriebenen "Mitte der Gesellschaft". Als Kimmich seine Einstellung öffentlich machte, waren 30 Prozent der Deutschen noch nicht gegen Corona geimpft. Einem 26-jährigen Fußballer aber, der sich finanziell weit mehr für soziale Projekte engagiert als ein Großteil der Bevölkerung, sprach man nun die Vorbildrolle ab. Anstatt die Argumente Kimmichs zu entkräften, forderten einige Politiker und Politikerinnen eine Impfpflicht für Profifußballer. Für eine Berufssparte also, die zahlenmäßig irrelevant ist und noch dazu häufiger geimpft ist als der Rest der Bevölkerung.

    Mit welcher Freude auf die Versäumnisse und menschlichen Schwächen der Sportlerinnen und Sportler geschaut wird, zeigt sich auch im Fall Novak Djokovic. Dass sein Vater ihn mit Jesus Christus vergleicht, verdient Häme. Dass sich der Serbe nach seiner Corona-Infektion unter Menschen gemischt hat: gemeingefährlicher Schwachsinn. Die Hybris aber, sich in originär australische Politik einmischen zu müssen: schwer zu fassen. Djokovic ist nicht geimpft, gilt aber als genesen. Er ist damit bei weitem nicht der einzige Leistungssportler. Das kann man unvernünftig nennen. Allerdings machten die australischen Turnierveranstalter für Djokovic (und andere) eine Sonderregelung geltend. Dass diese letztlich von politischer Ebene kassiert wurde, entspricht australischem Recht. Daraus eine Moral-Debatte zu stricken, ist billig . Möglicherweise straffen weitere Länder die Regeln für Athleten und Athletinnen. Wer Turniere veranstaltet, kann Ungeimpfte ebenfalls aussperren. Es ist eine Frage an Novak Djokovic, ob er gewillt ist, für seine persönliche Freiheit auf Titel, Rekorde und Einnahmen zu verzichten. Es ist eine Frage, die abseits des Profisports kaum jemand für sich zu beantworten hat. Die Argumente für die Impfung liegen auf der Hand. Die Ausübung des Berufs fällt (noch) nicht darunter.

    Der Profisport lebt von der exponierten Stellung, die er in der Gesellschaft eingenommen hat. Deshalb muss er sich auch gesellschaftlichen Debatten stellen und aushalten, wenn er in der Mitte einer solchen steht. Der Sport dient gleichfalls als Projektionsfläche für Wünsche, Ärger und Zorn. Etwas verrutscht dabei aber immer häufiger: das Augenmaß.

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