Was gab es in der Halbzeitpause noch für Lobeshymnen auf Joshua Kimmich und Co. Es wurde geschwärmt von der besten Leistung eines DFB-Teams seit Jahren, vom Weltklasse-Niveau und einem sensationellen Auftritt. Die Experten überschlugen sich mit Komplimenten für die deutschen Fußballer, die Italien bis zu diesem Zeitpunkt in Grund und Boden gespielt hatten und hochverdient mit 3:0 in Führung lagen. So losgelöst wie die Torhymne „Major Tom“ jedes Mal von den knapp 65.000 auf den Tribünen des Dortmunder Stadions gesungen wurde, so hatte die Elf von Bundestrainer Julian Nagelsmann auf dem Spielfeld gewirbelt. Mit bissiger Entschlossenheit, konstantem Pressing und formidablem Passspiel – um dann aus unerklärlichen Gründen im zweiten Durchgang dramatisch einzubrechen und noch drei Gegentore einzufangen. So hätten die gerupften Italiener Deutschland noch fast um den schon sicher geglaubten Einzug ins Final-Four-Turnier der Nations League gebracht.
„Das ist ein bisschen das Spiegelbild dessen, auf welchem Weg wir uns befinden. Man hat gemerkt, was wir spielen können, wie gut wir sein können, wenn wir alle am Limit sind, wenn wir alle konzentriert und fokussiert sind. Aber man hat auch gemerkt, wenn wir nicht bei 100 Prozent sind, dass wir dann auch verwundbar und schlagbar sind“, fasste Joshua Kimmich als bester Mann des Abends die verrückten 99 Minuten von Dortmund zusammen.
Italiens Torhüter Donnarumma erlebt ein Waterloo
Lange hatte alles nach einem furiosen Sieg der deutschen Mannschaft ausgesehen, die das Viertelfinal-Hinspiel schon mit 2:1 gewonnen hatte. Den Auftakt für die furiose erste Hälfte im Rückspiel leitete der Kapitän selbst mit einem verwandelten Elfmeter ein. Bei einem der vielen deutschen Angriffe konnte Alessandro Buongiorno Tim Kleindienst nur mit einem Foul im Strafraum ausbremsen (30.), den Strafstoß setzte Kimmich in seinem 99. Länderspiel so selbstbewusst wie kaltschnäuzig ins linke untere Eck. Viel zu schnell für den italienischen Torhüter Gianluigi Donnarumma, der sechs Minuten später sein nächstes Waterloo erlebte.
Cleverer Balljunge hilft mit beim Tor zum 2:0-Führung
Ein reaktionsschneller Kimmich, ein cleverer Balljunge und ein wachsamer Jamal Musiala verständigten sich per Augenkontakt vor einem Eckball so perfekt, dass weder Donnarumma noch die italienische Abwehr überhaupt mitbekamen, dass der Ball wieder im Spiel war. Stattdessen redete der Keeper noch wild auf seine Vorderleute ein, während Kimmich die Ecke ausführte und Musiala seelenruhig zum 2:0 einschoss. Der Torhüter konnte nur noch verdutzt hinterherblicken. Nicht das erste Mal, dass man ihn auf diese Weise überlistet hatte. „Zufall war es nicht. Man bereitet sich auch ein bisschen auf den Gegner vor“, sagte Kimmich danach verschmitzt und belohnte den flinken 15-jährigen Noel, der ihn so schnell mit dem Ball bedient hatte, nach der Partie mit einem Autogramm und einem Selfie. Als Tim Kleindienst, optimal bedient von Kimmich, mit seinem Treffer zum 3:0 (45.) das Sahnehäubchen auf die erste Halbzeit setzte, glaubte kaum mehr einer im Stadion, dass Italien noch zurückkommen würde.
„Was uns umgebracht hat, war das zweite Tor“, konstatierte auch deren Trainer Luciano Spaletti und bezeichnete die Aktion als „fatal“. Was er seinen Mannen in der Pause zu sagen hatte, behielt er für sich, es dürfte allerdings so nachhaltig gewesen sein, dass Italien wie verwandelt aus der Kabine kam. Mit einem Doppelschlag von Moise Kean (49./69.) – der beim ersten Tor von einem fehlerhaften Zuspiel von Leroy Sané profitierte – verkürzte die Squadra Azzurra auf 2:3. Begünstigt durch den Leistungsabfall des deutschen Teams, das plötzlich verängstigt und verunsichert agierte. So mündete alles in einen spektakulären Showdown, einer neunminütigen Nachspielzeit, in der Italien ein von Maximilian Mittelstädt verursachter Handelfmeter zugesprochen wurde und Joker Giacomo Raspadori damit der Ausgleich zum 3:3 gelang. Für das deutsche Team hätte es allerdings noch schlimmer kommen können, hätte Schiedsrichter Marciniak in der 75. Minute nicht einen Elfmeter für Italien zurückgenommen.
Halbfinal-Turnier der Nations League findet in Deutschland statt
So aber blieb es beim 3:3, womit Deutschland nicht nur ins Halbfinale der Nations League einzog, sondern das Final-Four-Turnier im Juni auch ausrichten wird. Der Stellenwert dieser Mini-EM als Heimturnier könnte für Nagelsmann und sein Team wegweisend sein. Schließlich sind auch Europameister Spanien und Vize-Weltmeister Frankreich dabei, die sich gegen die Niederlande und Kroatien bis durchs Elfmeterschießen kämpften. Die Ergebnisse gegen Italien seien rückblickend positiv zu bewerten, sagte Julian Nagelsmann – auch wegen der unangenehmen Aspekte. „Man versucht, aus negativen Dingen etwas Positives herauszuziehen. Für unsere Entwicklung ist es besser, als wenn wir 4:0 gewonnen hätten. Ich glaube, dass es wertvoll ist, dass man Erkenntnisse daraus zieht.“
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