Als Keven Schlotterbeck am Freitagabend mit seinem dick bandagierten linken Oberschenkel in der Mixed-Zone stand, kam ein Wesenszug des Innenverteidigers des FC Augsburg schnell zum Vorschein: Bescheidenheit. Als er nach seiner Verletzung gefragt wurde, wegen der er nach 68 Minuten im Spiel gegen Borussia Mönchengladbach ausgewechselt werden musste, wollte der 27-Jährige kein großes Drama daraus machen: „Der Doc soll draufschauen. Wir haben jetzt eine Woche länger Zeit durch die Länderspielpause und dann schaue ich, dass ich wieder auf dem Feld stehe“, sagte der bescheidene Schwabe, der in Weinstadt bei Stuttgart geboren ist, fast nebensächlich. Wie schwer sich Schlotterbeck bei einem fairen Tackling gegen Alassane Plea wirklich verletzt hat, wird sich erst am Montag bei einer finalen Untersuchung zeigen.
FC Augsburg: Keven Schlotterbeck wird am Montag final untersucht
Ein Ausfall von Schlotterbeck würde den FCA gerade in dieser Phase der Saison empfindlich treffen. Denn beim so wichtigen 2:1 (1:0)-Heimsieg gegen Tabellennachbar Gladbach zeigte sich, welch zentrale Rolle der Neuzugang vom SC Freiburg beim FCA schon spielt. Kompromissloser Abräumer, Torschütze, aber auch Identifikationsfigur auf und neben dem Platz.
Nicht nur, dass der Linksfuß zusammen mit seinen Kollegen Jeffrey Gouweleeuw und Maximilian Bauer dieses Mal bis zu seiner Auswechslung ein für die Gladbacher unüberwindbares zentrales Defensiv-Bollwerk bildete. Er war in der 38. Minute mit seinem 1:0-Führungstreffer auch der wichtigste Impulsgeber für seine Mannschaft und die FCA-Fans in der wieder einmal ausverkauften WWK-Arena.
Keven Schlotterbeck: Innenverteidiger mit Torinstinkt
Mit einem Volleykunstschuss in Top-Torjäger-Qualität ließ Schlotterbeck dem Borussen-Torhüter Moritz Nicolas keine Chance. Und das auch noch mit seinem eigentlich schwachen rechten Fuß. Wie oft er den Ball so gut treffe, wurde der Bruder des Dortmunder Nationalspielers Nico Schlotterbeck nach dem Spiel gefragt. „Neun von zehnmal natürlich“, antwortete der FCA-Profi und lachte. Die Stimmung war nach dem zweiten Saisonsieg und nun sieben Punkten bei Schlotterbeck trotz seiner Blessur bestens.
Mit 102 Kilometern pro Stunde unter die Latte
Nach einer abgewehrten Ecke war der Ball noch einmal nach innen gekommen, Schlotterbeck nahm ihn mit der Brust an, fackelte nicht lange und drosch das Spielgerät mit 102 Kilometern pro Stunde unter die Querlatte. Nicht nur die FCA-Fans waren aus dem Häuschen. „Ich überlege, ob Keven, wenn er wieder fit ist, Stürmer spielen muss“, scherzte FCA-Trainer Jess Thorup bei der Pressekonferenz.
Denn es war schon Schlotterbecks zweiter Treffer für den FCA. In der vergangenen Saison hatte er für den VfL Bochum auch schon fünf Tore erzielt. Sieben Tore seit Sommer 2023 hat kein anderer Innenverteidiger in der Bundesliga erzielt. Eine Bestmarke für den bescheidenen Überflieger.
Schlotterbeck verkörperte an diesem Abend auf dem Platz die typischen FCA-Tugenden: Mentalität, Leidenschaft. Und Rückrat. Er stellt sich auch, wenn es nicht so läuft. Wie beim 0:4 gegen Heidenheim. Auch am späten Freitagabend zeigte er in der Mixed-Zone Realitätssinn, feierte den Sieg nicht überschwänglich, sondern mit Hinweisen auf Defizite: „Wenn ich mal ein Tor schieße, ist es vielleicht ein Dosenöffner oder ein wichtiges Erlebnis für die Mannschaft. Für mich ist es wichtiger, dass wir ein Spiel mal 1:0, 2:0 oder auch gerne 3:0 gewinnen.“ Dies gelang bisher noch nie. Sicher auch, weil Schlotterbeck beim 1:2 (72.) der Gladbacher, ein Kopfballtor von Neu-Nationalspieler Tim Kleindienst nach einer (natürlich) Ecke, nicht mehr auf dem Platz stand.
Alexis Claude-Maurice feiert erfolgreiches Bundesliga-Debüt
Dass es gegen Gladbach doch zum Sieg reichte, lag vorrangig an Alexis Claude-Maurice. Der 26 Jahre alte Franzose war neben Schlotterbeck und Torhüter Nediljko Labrovic der auffälligste FCA-Spieler. Erst zum Ende der Transferperiode ablösefrei nach Augsburg gekommen, ersetzte der offensive Mittelfeldspieler nach 57 Minuten den enttäuschenden Steve Mounié.
Und es wurde ein beeindruckendes Debüt: Mit seinem ersten Torschuss in der Bundesliga traf er gleich zum vorentscheidenden 2:0 (65.). Zudem wirbelte der leichtfüßige, technisch beschlagene Franzose die Gladbacher gehörig durcheinander. Ablösefrei vom OGC Nizza gekommen, könnte Claude-Maurice die Rolle des verletzten Ruben Vargas in der offensiven Schaltzentrale übernehmen.
FCA-Trainer Jess Thorup: Er hat den X-Faktor
Die eindrucksvolle Premiere von Claude-Maurice war für Schlotterbeck keine Überraschung: „Er hat unfassbar gut trainiert. Er ist klein, wendig, eklig. Es macht keinen Spaß gegen ihn im Training. Wenn du rausstichst, sieht er dich, dreht sich auf die andere Seite und ist weg.“ Für FCA-Trainer Jess Thorup könnte der 1,74 Meter große Profi in Zukunft der Unterschiedsspieler sein. „Er hat große Qualitäten in den kleinen Räumen. Er hat für mich den X-Faktor.“
Für den Dänen ist Claude-Maurice universell einsetzbar. „Er kann Stürmer, Flügel, Achter, Zehner spielen, aber auch verteidigen. Die Mannschaft vertraut ihm.“ Möglich, dass Claude-Maurice nach der Länderspielpause am 19. Oktober beim SC Freiburg sein Startelf-Debüt geben wird. Ob Schlotterbeck gegen seinen Ex-Klub, er wechselte vor der Saison für rund 2,5 Millionen Euro vom Breisgau nach Augsburg, spielen kann, wird sich zeigen. „Darauf würde ich mich sehr freuen“, sagt er, um aber gleich bescheiden anzufügen: „Aber wenn es nicht so wäre durch meinen Oberschenkel, dann gehört das zum Fußball dazu.“
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