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Justiz: Bayerns geheime Fan-Datei steht in der Kritik

Justiz

Bayerns geheime Fan-Datei steht in der Kritik

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    Ein Stadionbesuch beim FC Augsburg kann im Einzelfall auch mal unangenehme Folgen haben. Ein Fan fand sich danach in der Datenbank „EASy Gewalt und Sport“ wieder.
    Ein Stadionbesuch beim FC Augsburg kann im Einzelfall auch mal unangenehme Folgen haben. Ein Fan fand sich danach in der Datenbank „EASy Gewalt und Sport“ wieder. Foto: Ulrich Wagner

    An das Spiel seines FC Augsburg beim FC Bayern hat Michael keine sonderlich guten Erinnerungen: Im November 2017 verlor der FCA beim Rekordmeister mit 0:3. Doch nicht nur sportlich war ihm der Tag ein Ärgernis. Dass ein Vorfall am Rande des Spiels ihn noch länger begleiten würde, weiß der 34-jährige Angestellte, der Mitglied der aktiven Fanszene des FCA ist, seit kurzem: Seine Anfrage beim bayerischen Innenministerium ergab, dass die Polizei über ihn eine Akte angelegt hat, in der persönliche Informationen wie Name, Haarfarbe oder Vereinszugehörigkeit gesammelt sind – und zwar seit Jahren und ohne sein Wissen. Anlass war ein Polizeieinsatz auf dem Weg zum Stadion, der in einer Anzeige wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt mündete. „Die Ermittlungen wurden eingestellt. Für den Eintrag in die Datei hat das aber offenbar gereicht.“

    Die Existenz der Datei, in der die Informationen gesammelt werden, ist erst seit einigen Monaten bekannt. Eine Anfrage der Landtagsfraktion der bayerischen Grünen um Katharina Schulze und Maximilian Deisenhofer ergab im Sommer 2021, dass seit Januar 2020 ein bayernweites Verzeichnis mit dem Namen „EASy Gewalt und Sport“ („EASy GS“) existiert. Darin verzeichnet waren zum Stand 15. Juni 2021 insgesamt 1644 Personen.

    Kritik an der Vielzahl der gespeicherten Informationen in der Fan-Datei

    Dass die Polizei problematische Fans im Auge haben muss, scheint unbestritten. Dennoch ist die Kritik an der bis dato geheimen Datei groß. Denn einerseits können offenbar schon Anlässe wie das Anbringen eines Aufklebers für den Eintrag genügen. Im Visier der Kritiker steht die EASy GS aber wegen der Vielzahl der darin gespeicherten Informationen und des Umstands, dass die Betroffenen nicht informiert werden, wenn sie darin erfasst werden. Die Fanvertretungen im Freistaat reagierten nach Bekanntwerden mit Sammelanfragen an das Innenministerium, insgesamt gingen bis Mitte November 362 davon ein.

    Eine erneute Anfrage der Landtagsfraktion der Grünen ergibt nun ein überraschendes Bild: Zum Stand 18. November waren nur noch 1259 Personen in der EASy GS verzeichnet – das sind 385 Einträge weniger, die Eintragungen wurden also um ein Viertel reduziert. Besonders viele Löschungen gab es dabei in der Fanszene des FCA: Hier verringerte sich die Anzahl der erfassten Fans von 117 auf nunmehr 52. Doch auch im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums München sank die Zahl von 709 auf 445 Einträge. Nach Auskunft des Innenministeriums liegt dies daran, „dass der gesamte Datenbestand durch die speichernden Stellen turnusmäßig einer Qualitätskontrolle unterzogen wird“. Für Maximilian Deisenhofer, den sportpolitischen Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, ist das nur bedingt nachvollziehbar. „Zuerst wird bekannt, dass es diese Datei überhaupt gibt, dann verlangen viele Leute eine Auskunft – und nun gibt es diese Bereinigung der Datensätze.“

    Maximilian Deisenhofer (Grüne) kritisiert das Vorgehen mit der bayerischen Fan-Datei als intransparent und undurchsichtig.
    Maximilian Deisenhofer (Grüne) kritisiert das Vorgehen mit der bayerischen Fan-Datei als intransparent und undurchsichtig. Foto: Deisenhofer

    Deisenhofer (Grüne): Speicherung war nicht notwendig oder womöglich gar nicht zulässig

    Das Vorgehen lege die Vermutung nahe, dass die Behörden kalte Füße bekommen haben: „Das Innenministerium gesteht sich damit ein, dass entweder die Speicherung nicht notwendig oder womöglich gar nicht zulässig war.“ Deisenhofer kritisiert zudem, dass es ja bereits ein bundesweites Register zur Erfassung von auffälligen Besuchern von Sportveranstaltungen gibt: die Datei Gewalttäter Sport (DGS). In dem 1994 eingeführten Register waren im Februar 781 Personen aus Bayern gespeichert – also deutlich weniger als in der EASy GS. „Dass es angesichts dessen eine zweite Datei braucht, in der dreimal so viele Leute gespeichert sind, verwundert dann schon. Das ist alles noch mal größer, intransparenter und undurchsichtiger.“

    Auf Anfrage begründet das Innenministerium den Start von EASy GS damit, dass damit ein anderer Zweck als mit der DGS verfolgt werde: Mit der bundesweiten Datei gewinne die Polizei Anhaltspunkte für mögliche Maßnahmen „im Zusammenhang mit gewaltbereiten Personen bei Sportveranstaltungen“, während das nur in Bayern geführte Register dazu diene, „personenbezogene Erkenntnisse über Zusammenhänge und Verbindungen zwischen den Angehörigen gewaltbereiter Szenen im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen zu gewinnen“. Dementsprechend habe nur ein ausgewählter Personenkreis darauf Zugriff, etwa die szenekundigen Beamten. Dass die betroffenen Personen nicht informiert werden, liege daran, dass eine Auskunftspflicht „nur bei besonders eingriffsintensiven Maßnahmen“ bestehe.

    Strafverteidiger: "Solche Dateien sind aus meiner Sicht verfassungswidrig"

    René Lau überzeugt das nicht. Er ist Strafverteidiger und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte und vertritt Fußballfans, die in Konflikt mit der Justiz geraten. Die massiven Löschungen in Bayern innerhalb kurzer Zeit zeigen für ihn, „dass bei der Arbeitsweise der Polizei von Beginn an etwas nicht gestimmt haben kann“. Das Anlegen einer zweiten Datei durch die Ordnungshüter des Freistaats, um aus ihrer Sicht problematische Fans im Blick zu haben, sei aber keine bayerische Besonderheit: „Solche Dateien gibt es mit einigen Ausnahmen in allen Bundesländern – und sie haben alle etwas gemeinsam: Sie sind aus meiner Sicht verfassungswidrig.“ Denn keine der Personen, gegen die ermittelt wird, werde über diesen Umstand informiert – ein Vorgang, der nach Laus Ansicht ein K.-o.-Kriterium ist. „Diese Dateien sind – egal in welchem Bundesland – auch nie von der Polizei bekannt gegeben worden. Es war immer, so wie jetzt in Bayern, eine parlamentarische Anfrage, die das zutage gefördert hat.“ Für FCA-Fan Michael ist das Vorgehen der Polizei ein Unding: „Man hat als aktiver Fußballfan ohnehin schon ein schwieriges Verhältnis zur Polizei. Sollte es noch einen Rest Vertrauen gegeben haben, ist der jetzt dahin.“

    René Lau ist  Strafverteidiger und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte.
    René Lau ist Strafverteidiger und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte. Foto: Rechtsanwaltskanzlei René Lau & Carsten Meyer

    Der 34-Jährige engagiert sich im Verein Rot-Grün-Weiße Hilfe, der FCA-Fans berät, die in juristischen Problemen stecken. In einer Stellungnahme bezeichnet der Verein die Datei als „Neue Dimension polizeilicher Datensammelwut“ und fordert deren Abschaffung. Rechtsanwältin Martina Sulzberger, die die Rot-Grün-Weiße Hilfe berät, sagt diesbezüglich: „Es bereitet mir Bauchschmerzen, wenn ich sehe, welche Datenmengen hier gespeichert werden.“ Umso wichtiger sei es, sein Recht auf Auskunft wahrzunehmen. In der WWK-Arena hatte die Fanhilfe deswegen Anträge auf Rechtsauskunft verteilt. Bayernweit bieten Fanvertretungen den Stadiongängern an, ihnen bei der Informationsbeschaffung zu helfen. Betroffen seien nach derzeitigen Erkenntnissen bei weitem nicht nur aktive Fans wie Michael.

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