Herr Lauterbach, die Zahl der Coronafälle im Profifußball stieg zuletzt massiv. Woran liegt das?
Karl Lauterbach: Das ist einfach: An der neuen Variante B 1.1.7., die sehr viel ansteckender ist. Viel kürzere Verweildauern in Duschkabinen, Hotelzimmern oder Gesprächsräumen reichen nun für Infektionen. Wir haben jetzt eine Situation, in der auch Fußballer häufiger - und schwerer - erkranken werden.
Werden nun mehr Fälle erkannt, weil die DFL-Klubs angehalten sind, noch mehr zu testen?
Lauterbach: Nein, die höhere Testfrequenz spielt keine Rolle. Die vom Start weg regelmäßig verwendeten PCR-Tests sind sehr zuverlässig und dürften schon zuvor nahezu jeden Fall entdeckt haben.
Haben jüngste Reisen zu Länderspielen die Virus-Ausbreitung im Profifußball befördert?
Lauterbach: Das kann ich schlecht einschätzen – wobei ich mir schon vorstellen kann, dass sie eine Rolle gespielt haben. Das größere Risiko liegt aber sicherlich im privaten Bereich.
Wie groß ist das Gesundheitsrisiko für die Profis?
Lauterbach: Ein tödlicher Verlauf ist bei ihrer Fitness und in ihrem Alter sehr unwahrscheinlich. Aber das Long-Covid-Risiko ist real: Chronische Müdigkeit und Erschöpfung nach Belastungen sowie Herz- und Gefäßprobleme, die als gesundheitliche Langzeitschäden das sofortige Karriereende bedeuten können. Neuere Studien zeigen: Das Long-Covid-Risiko liegt in der Altersgruppe von Fußballern bei zehn Prozent. Es gibt keine speziellen Daten zu Profisportlern, aber wir wissen etwa von Ausdauersportlern und Mannschaftssportlern, die, zuvor topfit, nun massiv an Long-Covid leiden. Dies muss man Menschen, deren Gesundheit ihr Kapital ist, ehrlich mitteilen.
Und dann? Könnten Sie sich vorstellen, dass Profifußballer nicht mehr antreten für ihren Verein?
Lauterbach: Vorstellen kann ich mir das schon. Klar, sie sind ehrgeizig, stehen unter Druck. Aber das gilt für alle Arbeitnehmer, die in der Pandemie ihrem Job nachgehen und sich Risiken aussetzen.
Wenn nun mehr Fälle auftreten – müsste nicht das DFL-Hygienekonzept verschärft werden?
Lauterbach: Ich glaube nicht, dass dieses Konzept noch wesentlich verschärft werden kann. Man wird mit der gestiegenen Zahl der Infektionen im Profifußball leben müssen. Wichtig ist: Das Konzept darf jetzt keinesfalls aufgeweicht werden. Bei nachgewiesenen Fällen muss es, wie zuletzt mehrfach in der 2. Bundesliga, zwingend zu Spielabsagen kommen.
Aus Sicht eines integren Wettbewerbs könnte das zunehmend problematisch werden: mit steigendem Termindruck oder wenn am letzten Spieltag alle Partien gleichzeitig laufen sollten, um Schiebereien zu vermeiden.
Lauterbach: Ich kann nur wiederholen: Wenn Fälle im Mannschaftskreis entdeckt werden, müssen Spiele immer zwingend ausfallen.
Könnten verpflichtende Quarantäne-Trainingslager für Profiteams helfen, im Saisonfinale Corona einzudämmen?
Lauterbach: Das könnte ein taugliches Mittel sein, wenn die Quarantäne strikt eingehalten wird und alle Beteiligten täglich getestet werden.
Viele Fußball-Beobachter irritiert, dass manchmal nur einzelne Spieler und manchmal ganze Teams in Quarantäne müssen. Warum ist das so?
Lauterbach: Das kann ich auch nicht gut erklären – die zuständigen lokalen Gesundheitsämter sind hier sehr unterschiedlich vorgegangen. Eigentlich ist die Regel klar, dass ganze Teams oder Spieleinheiten in Isolation gehen müssen, wenn Fälle in ihrem Kreis auftreten. Die einzig denkbare Erklärung für den Verzicht auf Teamquarantäne ist, dass alle Spieler immer vor dem Zusammentreffen als Mannschaft so engmaschig kontrolliert worden sind, dass für jeden Tag feststand, dass keiner von ihnen ansteckend gewesen ist. Aber wirklich überzeugend ist das nicht. Es gibt auch kein Monitoring, also keine genaue Auswertung oder Aufarbeitung der Coronafälle im Profifußball, was die Nachvollziehbarkeit in dieser Sache erschwert.
Beim Konzept der Geisterspiele hat sich Lauterbach "getäuscht"
Wie sehen Sie grundsätzlich den Weg, den der Fußball in Coronazeiten eingeschlagen hat?
Lauterbach: Man muss sagen, dass der Profibetrieb zu Beginn der Pandemie schnell gelernt hat. Vom Hygiene- und Geisterspielkonzept war ich zuerst nicht so sehr angetan. Aber ich erkenne an, dass ich mich da getäuscht hatte, weil es lange wirklich respektabel funktioniert hat. Als problematisch empfand ich zuletzt, dass wegen Corona-Restriktionen gefährdete internationale Spiele ins Ausland verschoben wurden: An Orte mit nicht belastbaren Inzidenzzahlen und in Zeiten, wo Reisen aus guten Gründen eingeschränkt stattfinden sollten. In dieser Frage hatte sich auch mit Bayern-Trainer Hansi Flick eine Debatte entzündet, wobei wir ja ein klärendes Gespräch geführt haben. Im Großen und Ganzen hat der Profifußball seinen Test bestanden. Die Spiele im TV liefern den Fans zumindest ein wenig Normalität und Ablenkung in nicht einfachen Zeiten – und dass sie als Geisterspiele ohne Zuschauer im Stadion ausgetragen werden, sendet genau das richtige Signal.
Zuletzt strebten immer mehr Sport-Standorte eine Zuschauer-Teilzulassung über Modellversuche an.
Lauterbach: Die Bundesregierung wird nun per Gesetz Modellversuche aller Art ausschließen an Orten, an denen die Sieben-Tage-Inzidenz über 100 liegt. Zuletzt haben wir oft – gerade auch abseits des Sports – die Etablierung von Alibi-Modellversuchen gesehen, die vielmehr Lockerungen durch die Hintertür waren. Modellversuche müssen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Rigoroses Testen, gute methodische Konzeption und Begleitung, die Etablierung einer Kontrollgruppe: All das fehlte bis dato meist. Modellversuche sollen zudem begrenzt laufen: Also nicht in allen Stadien, wo das angesichts einer stabilen Inzidenz von unter 100 auch künftig rein theoretisch möglich wäre.
UEFA-Chef Aleksander Ceferin drängt indes aktuell darauf, dass zu Spielen der Europameisterschaft ab Juni möglichst viele Zuschauer zugelassen werden – bei einem Event in zwölf Ländern, bei dem die Teams kreuz und quer durch Europa reisen sollen. Was halten Sie von diesen Plänen?
Lauterbach: Nichts. Das ist verantwortunglos.
Rummnenigges Impf-Vorschlag ist für Lauterbach "nach wie vor für abwegig"
Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge hatte vor einiger Zeit angeregt, Profis zu impfen als Vorbilder für die Bevölkerung – ein Vorschlag, von dem man seither nichts mehr gehört hat.
Lauterbach: Ich halte ihn auch nach wie vor für abwegig. Fußballstars sind dann Vorbilder, wenn sie den Rest der Bevölkerung durch den Lockdown begleiten, sich wie alle an die Regeln halten und alles dafür tun, sich nicht zu infizieren.
Viele Kreisliga-Kicker beklagen aktuell das Verbot ihres liebsten Hobbys. DFB-Mannschaftsarzt Tim Meyer sagt, es gebe noch keinen nachgewiesenen Corona-Übertragungsfall während des Spiels selbst. Ist dieses Argument in Zeiten der britischen Mutante noch haltbar?
Lauterbach: Das ist schwer einzuschätzen, weil es nach wie vor keinerlei Studien dazu gibt. Was mich überrascht: Die Deutsche Fußball-Liga hat bis dato nie sauber in einem Experiment untersuchen lassen, wie groß das Infektionsrisiko in einem Fußballspiel wirklich ist. Das hat nie stattgefunden, auch keine andere Fußball-Institution hat das getan, obwohl ein solches Experiment mit Kontrollgruppen absolut machbar ist. Grundsätzlich ist das Ansteckungsrisiko in Kabinen, Duschen und bei der Anreise sicher größer als beim Fußball selbst. Das sind zudem Dinge, die in der Breite kaum zu kontrollieren sind.
Müsste man das Teamsport-Verbot nicht lockern, um der fehlenden Bewegung in weiten Teilen der zur Passivität gezwungenen Bevölkerung entgegenzuwirken? Damit langfristig nicht noch höhere Folgekosten für das Gesundheitssystem drohen als durch die Pandemie?
Lauterbach: Nein, diese Sichtweise ist verkürzt und überzeugt nicht. Jeder Mannschaftssportler ist selbst in der Lage, sich so fit zu halten, dass er seine Gesundheit erhält. Auf dem Ergometer, beim Joggen, Fahrradfahren oder ähnliches. All das ist unbedenklich in Bezug auf Corona.
Breitensport sieht Lauterbach erst bei sinkender Inzidenz für machbar
Welche Perspektive hat für Sie dann die Rückkehr des Mannschaftssports in der Breite?
Lauterbach: Zuerst müssen wir die Infektionszahlen dauerhaft deutlich unter 100 drücken: Mit der konsequenten Durchsetzung der Notbremse, dem Lockdown und Ausgangssperren. Auch die von mir vorgeschlagene maximale Ausreizung der Zeitspanne bis zur Zweitimpfung würde helfen, die Zahlen zu senken, weil mehr Leute schneller eine höhere Immunität erhalten. Die Senkung der Zahlen ist zwingende Voraussetzung für jede Lockerung, auch im Sport. Gelingt sie, könnte zuerst der Freiluftsport zurückkehren. Draußen an der frischen Luft ist das Ansteckungsrisiko viel niedriger als beim Hallensport, wo ausgeatmete Aerosole im der Luft des geschlossenen Raumes stehen bleiben. Auch Freiluft-Fußball kann ich mir perspektivisch vorstellen, wenn vorher jeder Spieler einen Antigen-Test absolviert, den unbeteiligte Dritte abnehmen. Das wäre eine Idee, die man vielleicht im Amateursport ausprobieren könnte.
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