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Interview: Ricarda Funk: „Mein Wert als Mensch bemisst sich nicht an dieser Medaille“

Interview

Ricarda Funk: „Mein Wert als Mensch bemisst sich nicht an dieser Medaille“

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    Ricarda Funk benötigte viel Zeit und Energie, um die Enttäuschung von Paris zu verarbeiten.
    Ricarda Funk benötigte viel Zeit und Energie, um die Enttäuschung von Paris zu verarbeiten. Foto: Sebastian Kahnert, dpa

    Ricarda Funk, eine turbulente Saison inklusive Olympischer Sommerspiele liegt hinter Ihnen, gerade hat die Vorbereitung auf die nächste begonnen. Wie geht es Ihnen?
    RICARDA FUNK: Mir geht‘s gut. Inzwischen ist natürlich auch ein bisschen Luft dran gekommen und ich hatte ja mit dem Gewinn des Gesamtweltcups tatsächlich einen guten Abschluss, sportlich betrachtet.

    Wie ist die Wertigkeit des Gesamtweltcups einzuschätzen?
    FUNK: Die ist definitiv hoch. Der Sieg zeigt die Konstanz und er zeigt, dass man sich schnell auf andere Strecken einstellen kann und dass man technisch vielleicht ganz gut aufgestellt ist. Mir bedeutet der Sieg viel. Ich habe hart gearbeitet und war gut drauf. Nach den Olympischen Spielen ist es mir sehr schwergefallen, das zu sehen, auch wenn ich es eigentlich wusste. Aber Platz elf in Paris, das war hart. Deswegen war der Gesamtweltcup so wichtig, auch wenn es nicht leicht war, diese Weltcups noch zu fahren. 

    Sie meinen, sich noch einmal zu motivieren? 
    FUNK: Das war brutal. Am ersten Tag zurück in Augsburg, zurück in der Realität, gab es einen Empfang. Auf dem Weg dorthin habe ich schon im Zug angefangen zu weinen. Ich war emotional wirklich sehr angeschlagen. Die erste Zeit hier in Augsburg ist mir sehr schwer gefallen - auch wieder ins Boot zu steigen. Nach so einem Absturz einfach weiterzumachen, Motivation zu finden, sich ein neues Ziel zu suchen. Weil dieses große Ziel Olympia plötzlich weg war und es nicht so gelaufen ist, wie ich es mir erträumt hatte. Dann daran zu glauben, dass es weitergeht, war brutal schwer. Ich habe es erzwungen. Ich habe das Training erzwungen. Ich bin nicht aufs Wasser gegangen und habe gesagt, das macht ja richtig Bock hier. Ich habe es gemacht, weil ich wusste, dass es notwendig war, wenn ich die Weltcups als Ziel sehe. Dafür habe ich mich durch jede einzelne Einheit gequält.

    Haben Sie daraus Selbstbewusstsein gewonnen, es trotzdem durchgezogen zu haben?
    FUNK: Ja, weil es mir gezeigt hat, was ich eigentlich kann. Platz elf spiegelt nicht das wider, was ich eigentlich drauf habe.

    Von außen betrachtet könnte man ja sagen, dass nur ein Rennen nicht so gut gelaufen ist. Für die meisten ist es schwer nachvollziehbar, was in einem Profisportler vorgeht, der sich auf Olympische Spiele vorbereitet und dann seine Leistung nicht zeigen kann.
    FUNK: Viele denken, da stecken nur drei Jahre drin, aber da steckt mein ganzes Leben drin. Da steckt so viel Herzblut drin. Seit ich sechs Jahre alt bin, habe ich von Olympia geträumt und habe alles dafür gegeben. Und dann ist das auf einmal vorbei.

    Vermutlich braucht man aber genau diese Einstellung, um überhaupt so weit zu kommen?
    FUNK: Ja, das glaube ich schon. Ich bin von innen heraus getrieben. Ich möchte an mir arbeiten, ich möchte das Beste aus mir herausholen. Aber es ist natürlich schwer, eine Balance zu finden. Dieser Perfektionismus kann auch ganz schnell ins Negative umschlagen, wenn man irgendwann nur noch auf das Perfekte aus ist. Ich bin eine Perfektionistin und als solche ist es immer schwierig, Gelassenheit und Lockerheit am Start zu finden. Aber ich kann sagen, dass ich in Paris zwar nicht den perfekten Finallauf hingelegt habe, aber ich war entspannt, ich war gelassen, ich war ready to go. Genau so wollte ich am Start stehen. Und das ist gar nicht so einfach, wenn man sich überlegt, mit welchem Druck man da oben steht.

    Doch dann kam kurz vor Ende der entscheidende Fehler, der die Medaille gekostet hat…
    FUNK: Natürlich stelle ich mir immer wieder die Frage: Wie exakt war diese Welle, als ich da angekommen bin? Aber das weiß ich nicht. Man sieht es auf den Videos nicht. Ich bin natürlich auf Risiko gefahren. Das ist in einem olympischen Finale auch notwendig. Ich bin auf Gold gefahren, auf nichts anderes. Da muss man die Linie so eng wie möglich halten. Das war an der Stelle definitiv ein My zu viel. In unserer Sportart gibt so viele Komponenten, die theoretisch das gesamte Endergebnis hätten ändern können. Eine Sache hätte vielleicht schon genügt und das Ergebnis wäre ein anderes gewesen.

    Aber muss man da nicht irgendwann ein Haken dran machen?
    FUNK: Ja. Irgendwann muss es mal gut sein. Trotzdem bin ich nicht der Mensch, der sagt: Das war jetzt Pech. Ich habe mein Paddel selbst in der Hand und bin die, die das Ganze steuert. Wahrscheinlich habe ich es an der Stelle mit dem Risikomanagement einfach übertrieben.

    Wie haben Sie sich danach aus dem Tief wieder herausgearbeitet?
    FUNK: Es waren die Menschen, die mir ganz viel Halt gegeben haben. Die mir gezeigt haben, dass sich mein Wert als Mensch und auch als Sportlerin nicht an dieser Medaille bemisst. Das habe ich gespürt und das war toll zu erleben.

    Zumal Sie ja wissen, wie es ist, eine olympische Gold-Medaille zu gewinnen.
    FUNK: Es hat weh getan zu sehen, wie anders ist es ist, wenn die Menschen einem zujubeln, wenn man gerade ganz oben auf dem Podest steht. Jetzt durfte ich dabei zuschauen. Ich habe mich für die Athleten gefreut und gleichzeitig war da der Gedanke: So hätte es auch für mich sein können. Trotzdem waren es traumhafte Olympische Spiele, wenn auch nicht mit dem Ergebnis, das ich mir erhofft hatte.

    Wie haben Sie nach diesen anstrengenden Jahren der Vorbereitung und der Enttäuschung Ihre Energiespeicher wieder aufgefüllt?
    FUNK: Ich habe mein Boot erst einmal nicht angerührt. Ich habe vor allem Yoga gemacht, ein bisschen Joggen. Ich habe vor allem die Dinge gemacht, für die man sonst keine Zeit hat. Familie und Freunde sind ganz oben gestanden. Diesen Abstand habe ich einfach gebraucht. Die Energiespeicher füllen sich langsam wieder. Aber ich muss schon ein bisschen mehr aufholen, als in einem normalen Jahr. Ich glaube, ich habe ein bisschen zu selten auf Pause gedrückt und bin nur auf Hochtouren gelaufen. Man möchte ja allen gerecht werden. Nach so einem Olympiasieg kommt schon auch einiges auf einen zu. Ich habe teilweise um fünf Uhr morgens trainiert, mit Stirnlampe auf dem Kanal. Für mich war klar, ich mache keine Abstriche bei den Einheiten. Aber natürlich stelle ich mir dann irgendwann schon auch die Frage, ob das noch zielführend ist. Denn darunter leidet die Regeneration. Wer um fünf Uhr trainiert, muss um vier Uhr aufstehen.

    Und das, obwohl Schlaf nicht nur im Spitzensport das wichtigste Element zur Erholung ist. 
    FUNK: Schlaf ist für mich generell ein großes Thema. Ich bin sehr anfällig für Schlafstörungen. Ich habe viel zu viel im Kopf. Das ist dann auch der Leistungsdruck. Und sich zum Schlafen zwingen funktioniert eben nicht. Ich hatte viele komplett schlaflose Nächte, auch vor Wettkämpfen. Mittlerweile habe ich das besser in den Griff bekommen. Aber während der Olympia-Quali 2019 hatte ich in den Nächten vor den Wettkämpfen jeweils null Stunden Schlaf. Was ich daraus gelernt habe: Auch schlaflos kann man performen, wenn das Adrenalin reinkickt. Wenn man die Einstellung hat, dass man sich nicht runterziehen lässt, sondern einfach das Beste aus der Situation macht, dann findet man noch Energiereserven. Mir war aber schon klar, dass ich ganz dringend was ändern muss. In der Form geht das nicht lange gut.

    War die Enttäuschung in Paris vielleicht auch deshalb so groß, weil Sie als Olympiasiegerin dorthin gefahren sind, die Fallhöhe also extrem hoch war?
    FUNK: Je mehr man erreicht hat, desto höher wird die Messlatte, die man an sich selbst anlegt. Irgendwann ist man nicht mehr mit Gold zufrieden. Du bist nur noch mit dem perfekten Lauf zufrieden.

    Sind Sie den perfekten Lauf schon gefahren?
    FUNK: Ja, aber nicht am perfekten Ort. Einer war hier in Augsburg bei der Olympia-Quali. Ich war nur fünf Sekunden langsamer als die Männer und hätte es an keiner Stelle besser machen können. Es gab mit Sicherheit noch ein, zwei andere Läufe, die auch annähernd perfekt waren, aber an den erinnere ich mich sehr gut.

    Und wie viele Läufe sind Sie in Ihrem Leben sonst noch gefahren?
    FUNK: Unzählige.

    Kein gutes Verhältnis.
    FUNK: Das stimmt. Die Wahrscheinlichkeit, dass man den perfekten Lauf am perfekten Ort erwischt, ist ziemlich gering. Damit will ich sagen, dass der Druck, den ich mir selbst mache, immens ist. Ich weiß, dass ich mein Bestes gebe und ich will dann auch mein Bestes zeigen. Ich weiß inzwischen, dass ich in Paris bestmöglich vorbereitet war. Ich hätte nichts ändern können.

    Die Jagd nach dem perfekten Lauf geht also weiter? Vielleicht sogar bis Los Angeles 2028?
    FUNK: Was ich gelernt habe, ist, dass dieser Perfektionismus auch eine Sklaverei ist. Man muss ein bisschen davon wegkommen zu sagen, nur das Perfekte hat hier Platz. Der Weg ist das Ziel. Und ich mache diesen Sport, weil ich ihn liebe. Dahin möchte ich wieder zurück. In den Jahren 2017 und 2018 habe ich es so sehr geliebt. Sich Ziele zu setzen ist aber auch wichtig. Realistische Ziele, auf die man hinarbeitet, die einen antreiben. Und Olympische Spiele in LA, das klingt schon richtig geil.

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