Herr Kohlschreiber, Sie haben das Ende Ihrer 20-jährigen Tennis-Karriere maximal unspektakulär verkündetAugsburger Tennis-Profi Philipp Kohlschreiber beendet seine KarriereTennis: beim Interview auf dem Platz nach Ihrer Niederlage in der Qualifikation in Wimbledon. Wie kam das zustande?
PHILIPP KOHLSCHREIBER: Dass es dann wirklich so passiert ist, war eine Bauchentscheidung. Klar, ich habe den innerlichen Kampf mit mir schon länger gekämpft, seit sicherlich einem Jahr. Wann ist der richtige Zeitpunkt? In Wimbledon habe ich dann einfach gemerkt, dass es sich nicht mehr nach dem Spaß anfühlt, den man braucht. Dass ich aufhöre, hat keiner vor der Reise gewusst, ich selbst auch nicht. Und das war es dann eben. Für mich war das der perfekte Abgang. Ein sehr emotionaler Moment, den ich für mich genießen wollte. Ich war nie einer, der den Rummel und die Aufmerksamkeit gebraucht hat. So habe ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Also jemand, der Sie sehr gut kennt, hätte sich denken können, dass es so passieren würde?
KOHLSCHREIBER: Vielleicht war es ein klein bisschen zu einsam. Aber ich wollte den Moment einfach nur für mich haben.
Jetzt, mit ein bisschen Abstand: Sind Sie mit der Entscheidung im Reinen oder kommt doch noch Wehmut auf?
KOHLSCHREIBER: Ich bin komplett im Reinen. Es wäre gelogen zu sagen, dass es nicht wehtut. Man hat schon ein bisschen Pipi in den Augen, wenn man jetzt gerade die Jungs und Mädels in New York sieht. Die letzten 20 Jahre war ich da auch immer zu dem Zeitpunkt und habe das Turnier immer sehr genossen. Aber ich war einfach nicht mehr der Profi, der ich mal war. Trotzdem hat man immer noch den hohen Anspruch an sich selbst und das klappt dann einfach nicht auf Topniveau.
Was werden Sie vermissen?
KOHLSCHREIBER: Mich zu messen mit anderen. Jeden Tag an Sachen zu arbeiten, die man besser machen will. Vielleicht auch ganz einfach, dass man eine Aufgabe hat. Dass man um 8 Uhr aufsteht und um 9 Uhr das Training beginnt. Ich habe immer sehr gerne trainiert, mich mit Trainern ausgetauscht und über Tennis philosophiert. Das werde ich sicherlich vermissen.
Und was nicht?
KOHLSCHREIBER: Das ganze Reisen. Dann die Wochen, in denen man nicht so gut spielt. Du arbeitest viel und hart und bekommst trotzdem eine Packung und verlierst. Das schlechte Gefühl schleppst du mit dir herum. Im Sport wirst du nur am Erfolg gemessen. Da kann man noch so gut trainieren. Das sind Wochen, in denen man mit einem schlechten Gefühl herumläuft und das Selbstvertrauen fehlt. Diese extremen Auf und Abs werde ich nicht vermissen. Denn im Tennis gibt es am Ende eben immer nur einen Sieger. Und auch wenn man erst im Halbfinale verliert, hat man halt trotzdem verloren.
Da die allermeisten Turniere mit einer Niederlage enden, ist da natürlich die Frage, wie Sie mit Niederlagen umgegangen sind?
KOHLSCHREIBER: Das hört sich jetzt vielleicht banal an, aber ich habe immer versucht, das Spiel zu analysieren. Was hat der Gegner besser gemacht? Hatte er eine gute Taktik? Und daran habe ich dann gearbeitet. Ich war da sehr akribisch und perfektionistisch. Man muss eben ganz klar wissen, dass Tennis ein Verlierersport ist – hart formuliert. Man darf sich dadurch nicht kaputtmachen lassen. Man muss versuchen, immer stärker aus jeder Niederlage herauszukommen. Wenn man da eine gute Mischung hat, kann man sich stetig oben halten und verbessern.
Sie sagen, Tennis ist ein Verlierersport, gleichzeitig ist es ein sehr einsamer Sport. Bleibt da Raum für Freundschaften?
KOHLSCHREIBER: Richtige Freundschaften klappen in den allerwenigsten Fällen. Ein Beispiel: Man weiß ja nie, wie so ein Turnier verläuft. Wenn ich also jemandem erzähle, dass ich gerade ein Zwicken in der Hüfte habe und nicht so gut nach vorne laufen kann, dann ist es möglich, auf den im Finale zu treffen. Dort hätte er dann einen kleinen Vorteil. Hundertprozentige, ehrliche Freundschaft hat man eher außerhalb des Tennis. Aber natürlich gibt es Leute, mit denen man sich besser versteht, mit denen man gerne trainiert. Das schläft allerdings ein, wenn man nicht mehr jede Woche auf den Turnieren ist.
Gibt es am Ende Ihrer Karriere noch etwas, von dem Sie sagen: Das hat gefehlt?
KOHLSCHREIBER: Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann hätte ich gerne mal ein Grand-Slam-Halbfinale erreicht. Oder einmal in den Top 10 zu stehen wäre schon auch schön gewesen. Trotzdem bin ich zufrieden und eh kein Typ, der versucht, das Negative zu finden. Ich kann in den Spiegel schauen und sagen, dass ich alles gegeben habe. Manchmal hat es spielerisch nicht gereicht. Manchmal hat vielleicht der letzte Glaube daran gefehlt, einen Top-Mann zu schlagen. Aber das ist leicht gesagt. Jeder ist ein eigener Typ und ich war eben immer der stetige Arbeiter, der oft sein solides Tennis abrufen konnte – und vielleicht manchmal das Quäntchen Glück ein bisschen mehr herausfordern hätte können. Aber das ist alles hypothetisch.
Sie haben jüngst gesagt, das Genießen sei bei Ihnen auf der Strecke geblieben. Was hat Sie in all den Jahren angetrieben?
KOHLSCHREIBER: Vielleicht habe ich die falschen Turniere gewonnen, um das auch genießen zu können. Die BMW Open in München waren immer ein Highlight für mich. Aber danach stand sofort das Masters in Madrid an. Das bedeutete: Gewonnen, einmal angestoßen und am Abend saß man dann schon wieder im Flugzeug. Es ging sofort wieder bei Null los, du bekommst nichts geschenkt. Man ist immer ein bisschen getrieben, jede Woche spielen zu müssen. Einmal in Oakland ging zwei Stunden nach dem Finale der letzte Flug. Meine Freundin ist vorgefahren, hat gepackt, hat mich mit dem Auto direkt von der Siegerehrung abgeholt und wir sind zum Flughafen gefahren. Halb verschwitzt sind wir da dann ins Flugzeug gestiegen. Leider läuft das viele Wochen im Jahr so.
Jetzt ist der ganze Druck weg, der Stress, die Reisen – wie geht es Ihnen damit?
KOHLSCHREIBER: Ich habe mir vorgenommen, bis Ende des Jahres gar nichts zu machen. Auch nicht darüber nachzudenken, was als Nächstes kommt. Damit geht es mir hervorragend. Ich genieße jeden schönen Tag und mache weiterhin viel Sport. Es macht mir Spaß, mich zu bewegen. Ich habe das Rennradfahren und Mountainbiken für mich entdeckt. Ich bin ein bisschen mehr im Gym und arbeite an meinem Golfschwung. Ich will alles mehr genießen, denn am Schluss konnte ich das Tennis-Leben nicht mehr so genießen.
Klingt, als hätten Sie den richtigen Zeitpunkt für das Karriereende gefunden, was vielen nicht gelingt. Oft ist es eine Verletzung, die zum Aufhören zwingt.
KOHLSCHREIBER: Es ist etwas extrem Schönes, dass ich körperlich noch topfit bin und alles machen kann. Das ist das Schönste, was ich mir selbst schenken konnte. Der Sport fordert deinen Körper natürlich. Da muss man ein gesundes Maß finden, um sich nicht ganz kaputtzumachen. Ich bin froh, dass ich meine Karriere zu meinen Bedingungen beenden durfte
Einen Philipp Kohlschreiber mit gemütlichem Bierbäuchlein wird es also nicht zu sehen geben?
KOHLSCHREIBER: Dafür macht mir Bewegung zu viel Spaß. Und ich habe schon den Ehrgeiz, weiterhin fit zu bleiben. Das kann man nicht ablegen. Jetzt fuchse ich mich eben ins Golfen und Radfahren rein.
Mit 13,7 Millionen Dollar Preisgeld könnten Sie sich doch aber auch eine kleine Insel in der Südsee kaufen und den Herrgott einen guten Mann sein lassen.
KOHLSCHREIBER: Also Aussteigerpläne habe ich nicht. Ich hatte eine schöne Karriere, auch vom Finanziellen her – alles gut gelaufen. Ich habe nicht den Druck, gleich das erstbeste Angebot anzunehmen. Aber irgendeine Aufgabe will man ja auch noch haben. Und ich habe immer gesagt, dass es mir viel Spaß macht, den Jüngeren zu helfen und meine Erfahrung weiterzugeben. In die Richtung gibt es ja vielleicht die Chance, in Zukunft etwas zu machen.
Zur Person
Philipp Kohlschreiber war einige Zeit der beste deutsche Tennisspieler. Der gebürtige Augsburger gewann insgesamt acht Einzel-Titel. Die beste Weltranglistenposition des 38-Jährigen war der 16. Platz.