Kennen Sie Jaromir Jagr?
LAURA DAHLMEIER: Nein.
Der Mann ist eine tschechische Eishockey-Legende, dem der Klub Kladno gehört. Jagr hat jetzt mit 50 Jahren sein Comeback in der höchsten tschechischen Liga gegeben. Wäre das für sie irgendwann eine Option?
DAHLMEIER: Ich weiß ja nicht, wie lange der Herr Jagr in der Zwischenzeit nicht gespielt hat. Aber ich könnte mir das für mich selbst nicht vorstellen (Dahlmeier beendete im Mai 2019 mit 26 Jahren ihre Karriere /Anm. d. Red.). Alles hat seine Zeit im Leben. Meine Biathlon-Phase war cool, aber jetzt ist die Zeit für etwas anderes gekommen.
Zum Beispiel ein Buch. Wie kam es dazu, Sie sind erst 29?
DAHLMEIER: Ich habe immer wieder Anfragen verschiedener Verlage bekommen und ich dachte mir: So eine Biografie schreibt man, wenn man alt ist. Ich habe noch Zeit und erlebe ja noch etwas. Dann habe ich mich doch mit dem Verlag zusammengesetzt und wir haben darüber gesprochen, dass es keine Biografie wird, sondern eher in Kapiteln angelegt ist. Es geht um eigene Themen, die mir wichtig sind. Dann habe ich erzählt, was ich aktuell mache und das ist für gut befunden worden. Dann haben wir es angepackt.
Wie muss man sich das vorstellen: Laura Dahlmeier, die am liebsten klettert, radelt oder wandert, sitzt am Schreibtisch und schreibt?
DAHLMEIER: Es lief so ab: Ich habe viel erzählt, was ich mache und was ich denke und was mich antreibt. Ich hatte ein gutes Vertrauen zu meiner Co-Autorin Franziska Kucera. Sie hat gefiltert und das war phänomenal. Ich habe mich manchmal entschuldigt, wenn ich sehr weit ausgeholt habe. Da konnte es passieren, dass sie 45 Minuten Gespräch in zwei Sätzen zusammen gefasst hat.
Sie schreiben viel über Vater, Mutter und Bruder Pirmin. Welche Bedeutung hat Familie für Sie?
DAHLMEIER: Das ist mein Ursprung, da komme ich her. Es ist wichtig zu wissen, wo meine Wurzeln sind. Aber Familie steht für mich nicht über allem. Wenn man meine Eltern fragen würde, dann würden sie auch eher schmunzeln. Wir haben ein gutes Verhältnis, aber es ist nicht so, dass wir tagtäglich miteinander telefonieren, geschweige denn, dass wir uns andauernd sehen.
Sie schildern, wie sie auf der Skipiste quengelig wurden, weil nicht sofort weiter Ski gefahren wurde. Sie waren gewiss ein liebenswertes, aber manchmal vielleicht auch anstrengendes Kind?
DAHLMEIER: Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Ich war quirlig, aber meine Eltern haben mich auch vieles machen und ausprobieren lassen. Ich habe viele Freiräume bekommen und durfte mich spüren: Wie weit kann ich gehen? Wo sind meine Grenzen? Sie sind mit mir in die Berge rund um Garmisch-Partenkirchen gegangen und ich durfte viel selbst probieren. Ich wäre nicht der Mensch, der ich bin, wenn ich diese Möglichkeiten nicht gehabt hätte.
Ihre Eltern haben sie als Jugendliche vor die Wahl gestellt: Entweder alpiner Skisport oder Biathlon. War es die richtige Entscheidung?
DAHLMEIER: Es war zu hundert Prozent die richtige Entscheidung und der Erfolg gibt mir im Nachhinein recht. Es kam bei mir dazu, dass ich beim alpinen Skifahren Probleme bekommen habe mit dem Druckausgleich. Vom Fahren auf dem Gletscher habe ich oft heftige Ohrenschmerzen bekommen. Das hat mir die Entscheidung abgenommen.
Sie schreiben viel über Heimat. Was bedeutet der Begriff für Sie?
DAHLMEIER: Heimat bedeutet so vieles für mich. Das ist zum einen der Ort, an den ich zurückkommen kann, wo ich mich sicher fühle und Kraft tanken kann für neue Abenteuer. Es ist der Ort, an dem ich mich auskenne, der mich aber auch animiert, wieder aufzubrechen und loszuziehen in die Welt.
Sie beschreiben als Heimat auch ihre Sprache und ihren oberbayerischen Dialekt. Wie kann man das verstehen?
DAHLMEIER: Wenn ich von zuhause losziehe und spreche, wie ich spreche, dann wird schon mal nachgefragt: Hä? Host mi? Wie bitte? Und das ist kein akustisches Problem. Sondern, wenn ich Dialekt spreche, dann verstehen mich nicht alle. Dann muss ich mich umstellen. Aber natürlich ist es leichter, wenn man so reden kann, wie man es gelernt hat.
Müssen Sie sich als Biathlon-Expertin für das Fernsehen arg verstellen?
DAHLMEIER: Man wird immer heraushören, wo ich herkomme. Das darf man auch, aber ich habe da mein Fernseh-Deutsch. Das ist jedoch nicht die Mundart, die ich daheim rede. Es soll ja jeder verstehen und keine Untertitel benötigen. Es ist immer eine Gratwanderung. Wenn ich merke, dass mein Gegenüber auch bayerisch spricht, dann falle ich schnell in meinen Dialekt zurück. Da steckt auch ein wenig Stolz dahinter, zu zeigen, wo man herkommt.
Einerseits beschreiben Sie sich als heimatverbunden. Andererseits schildern Sie in ihrem Buch die Klettertouren in Nepal, in Frankreich oder eine abenteuerliche Radreise alleine bis nach Istanbul. Wie passt das zusammen?
DAHLMEIER: Das passt für mich sehr gut zusammen. Wenn man keine Heimatgefühle hat, will man gar nicht zurück an einen Ort, sondern ist ständig unterwegs. Für mich ist das Heimkommen schon sehr wichtig. Aber ich bin auch unheimlich gerne unterwegs, lerne fremde Menschen und Kulturen kennen. Von jeder Reise lernt man und kehrt verändert wieder zurück. Das macht den Reiz für mich aus. Unterwegs fühle ich mich viel mehr im Hier und Jetzt.
War das der Hauptgrund, warum sie vor vier Jahren mit dem Biathlonsport aufgehört haben?
DAHLMEIER: Ja. Wer in der Weltspitze mitmischen will, für den sind im Biathlonjahr elf von zwölf Monaten durchgetaktet mit Training und Wettkämpfen. Ich habe meine großen Erfolge bei Weltmeisterschaften und Olympia gefeiert. Der Jahresplan war mir irgendwann zu eng und zu dicht. Ich bin sehr freiheitsliebend und habe große Lust, mehr eigene Projekte durchzuziehen.
Im Buch nehmen hochalpine und schwierige Klettertouren einigen Raum ein. Werden sie jetzt zum weiblichen Reinhold Messner?
DAHLMEIER: Nein, nein, dafür bin ich schon zu alt. Ich werde keine professionelle Alpinistin mehr. Da sind andere viel stärker unterwegs. Ich darf coole Touren machen, schöne Projekte durchziehen und viel erleben in den Bergen. Aber im Alpinismus ist es schwierig, Leistungen zu vergleichen. Das ist nicht wie im Biathlon, wo derjenige mit der schnellsten Zeit gewonnen hat. Ich bin froh, da in keinem Wettbewerb zu stehen, sondern das zu machen, was mir taugt.
Oder sind alle Achttausender bestiegen, alle Routen geklettert und es gibt keine Ziele mehr?
DAHLMEIER: Die Ziele, die auf der Hand liegen, sind weg. In den Alpen ist jeder Gipfel bestiegen, im Himalaya so gut wie. Es gibt ein paar unbekanntere Sechs- und Siebentausender, aber das hat einen guten Grund, warum sie noch nicht bestiegen wurden. Weil sie super schwer oder entlegen sind. Man kann noch schneller, höher und weiter. Ich kann Besteigungen in noch kürzerer Zeit auf einer noch schwierigeren Route machen. Das geht schon. Aber will ich mich diesem Wettkampf stellen und das Risiko immer weiter steigern? Eher nicht. Die großen Routen wie die Eiger-Nordwand sind weg. Mir macht es Spaß, bestehende Routen zu wiederholen. Es gibt viele coole klassische Linien, und so lange die Bedingungen gut sind, hoffe ich, sie wiederholen zu können.
Einige Ihrer Freunde sind in den Bergen gestorben. Zeigt es auch, dass Sie einen gefährlichen Sport betreiben?
DAHLMEIER: Es zeigt zunächst, dass das Leben endlich ist. Die Unfälle sind tendenziell in einfachen Situationen passiert. Beim Abstieg oder Zustieg in einem Gelände, wo ich auch schon unterwegs war. Klar fange ich an zu überlegen, was ist einem wirklich wichtig und wie schnell kann es vorbei sein. Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich wahnsinnig gerne da draußen unterwegs bin. Ich bin mir sicher, wenn ich meine drei toten Freunde Robert, Xaver und Beni fragen würde, dann würden sie mir raten: Geh raus und mache das, was du gerne machst. Wichtig ist, aus den Situationen zu lernen.
Eine Rückkehr zum Biathlon ist nach wie vor ausgeschlossen?
DAHLMEIER: Ja. Im ersten Jahr haben Trainer und Teamkolleginnen, wenn sie mich getroffen haben, gesagt: Du bist doch fit, fang wieder an. Aber für mich ist das Kapitel abgeschlossen. Ich habe andere Träume und Ziele.
Die da wären?
DAHLMEIER: Zuerst einmal möchte ich nach zweieinhalb Jahren die Bergführer-Ausbildung abschließen. Und danach steht die Bachelor-Arbeit als Abschluss meines Studiums der Sportwissenschaft an. Zusammen mit dem Buch-Projekt waren das jetzt herausfordernde Zeiten. Danach möchte ich erst mal durchatmen. Im Sommer ist eine Expedition geplant und im Winter möchte ich mich als Biathlon-Expertin beim ZDF öfter blicken lassen.
Können Sie sich vorstellen, wo Sie in zehn Jahren stehen?
DAHLMEIER: Hoffentlich draußen in den Bergen, glücklich und gesund.
Zur Person
Die 29-jährige Partenkirchnerin ist seit ihrem Karriereende als Bergsteigerin und Bergläuferin aktiv. Im Biathlon gewann die zweifache Olympiasiegerin noch sieben Gold-, drei Silber- und fünf Bronzemedaillen bei Weltmeisterschaften. Soeben ist ihr Buch "Wenn ich was mach, mach ich's gscheid" auf den Markt gekommen. Es erscheint im Riva-Verlag und kostet 18 Euro.