Herr Hartenstein, Mitte Dezember waren Sie mit den Oklahoma City Thunder auf einer neuntägigen Auswärtstour, die unter anderem drei Partien in vier Tagen beinhaltete – inklusive Zeitverschiebung. Haben Sie eine Art Patentrezept, um diese körperliche und mentale Beanspruchung bestmöglich zu verarbeiten?
ISAIAH HARTENSTEIN: Im Grunde muss man einfach versuchen, im Hier und Jetzt zu leben. Wenn du dir bereits im Vorfeld zu viele Gedanken über den Spielplan beziehungsweise die anstehenden Partien innerhalb eines kurzen Zeitraums machst, wird er schwer. Körperlich merkt man es natürlich schon. Da muss man sich mental dann einfach entsprechend pushen.
Sprich: Der mentale Aspekt überwiegt in einer solchen Phase gegenüber dem körperlichen?
HARTENSTEIN: Ja, definitiv. Man kann in der Regel sehr viel für seinen Körper machen und sich um ihn kümmern. Aber unter dem Strich sind wir auch nur Menschen und keine Maschinen. Wenn die Belastung sehr hoch ist, kommt der Kopf immer mehr ins Spiel. Wir wussten beispielsweise, dass es auf diesem Auswärtstrip nach der Partie in Miami endlich wieder nach Hause geht, wo wir unsere Beine zumindest kurzfristig etwas hochlegen können. Dieses Bewusstsein hilft dir im Vorfeld einer solchen Begegnung sicherlich nochmals enorm und sorgt für eine zusätzliche Motivation.
Ihr Zuhause ist seit dieser Saison Oklahoma City. Nachdem Sie zuvor in Los Angeles und New York gespielt und gelebt haben: Wie ist Ihnen die Umstellung auf das im Vergleich dazu eher beschauliche „Städtchen“ mit seinen rund 700.000 Einwohnern gelungen?
HARTENSTEIN: Nachdem ich keine hohen Ansprüche habe, war diese Umstellung sehr einfach für mich. Ich bin jetzt gemeinsam mit meiner Familie von einem Appartement in ein kleines Häuschen mit Garten umgezogen, in dem wir uns sehr wohlfühlen. Das ist das Wichtigste für mich. Was das Sportliche betrifft: Klar war es cool, im Madison Square Garden mit den New York Knicks zu spielen. Aber auch hier bei den Oklahoma City Thunder sind die Fans überragend. Es macht jedenfalls sehr viel Spaß, in unserer Arena aufzulaufen.
Mit Umstellungen und Anpassungen kennen Sie sich ja mittlerweile doch ganz gut aus. Seit Ihrem NBA-Debüt im Jahr 2018 sind die Oklahoma City Thunder bereits Ihr sechstes Team. Entwickelt man diesbezüglich im Laufe der Zeit eine gewisse Routine oder stellt es nach wie vor eine Herausforderung dar?
HARTENSTEIN: Grundsätzlich sind die ersten Tage, wenn du neu bist, schon eine gewisse Herausforderung. Allerdings hatte ich bislang wirklich das große Glück, ausschließlich bei richtig guten Vereinen unter Vertrag zu stehen. Da hat es sowohl von der menschlichen als auch sportlichen Seite stets gepasst. Das erleichtert das Ganze natürlich ungemein.
Man kann sicherlich sagen, dass Sie in der vergangenen Saison bei den New York Knicks Ihre bislang beste Spielzeit in der NBA hatten und damit letztlich auch den endgültigen Durchbruch geschafft haben. Wie viel Selbstvertrauen haben Sie aus diesem Jahr gezogen und für Ihre neue Aufgabe bei den Thunder mitgenommen?
HARTENSTEIN: Ich war eigentlich immer davon überzeugt, dass ich ein Starter in der NBA sein kann und auch bin. Unter dem Strich muss man aber auch die Chance dazu bekommen – was schließlich bei den Knicks der Fall war. Selbstvertrauen hatte ich eigentlich schon immer. Durch die Erfahrungen in New York, aber auch jetzt bei den Thunder hat sich dieses Gefühl nochmals verstärkt, da ich mir nun bewusst bin, dass ich diese Leistung kontinuierlich bringen kann. Wenn man sich das dann selbst beweisen kann, ist es schon etwas ziemlich Cooles.
Im Sommer 2024 haben Sie bei den Oklahoma City Thunder einen mit 87 Millionen US-Dollar dotierten Drei-Jahres-Vertrag unterschrieben, mit dem Sie ganz nebenbei zum bestbezahlten deutschen Profi-Teamsportler in den USA aufgestiegen sind. Erst im nächsten Jahr werden Sie dann von Orlandos Franz Wagner (224 Millionen in fünf Spielzeiten) „überholt“. Sehen Sie diesen Kontrakt einerseits als Würdigung und Bestätigung Ihrer bisherigen Leistungen, andererseits auch als großen Vertrauensbeweis der Oklahoma City Thunder in Ihre Fähigkeiten?
HARTENSTEIN: Auf alle Fälle, ja. Einen solchen Vertrag zu unterschreiben, nachdem ich mich vor einigen Jahren noch in einem NBA-Trainingscamp präsentieren und dort vorspielen musste, ist sicher eine richtig coole Sache. Auch wenn es jetzt nicht nur ums Geld geht – klar spielt es am Ende auch eine gewisse Rolle -, ist es schon etwas, worauf ich nach all den ganzen Höhen und Tiefen in meiner bisherigen Karriere definitiv stolz sein kann.
Hinzu kommt, dass Sie mit den Oklahoma City Thunder bei einem der absoluten Meisterschaftsanwärter unter Vertrag stehen. Würden Sie sagen, dass es das beste Team ist, bei dem Sie bislang in der NBA gespielt haben?
HARTENSTEIN: Ja, ich glaube schon. Wir hatten zwar auch damals in Houston unter anderem mit James Harden richtig starke Teams. Aber wenn man sieht, wie wir hier bei den Thunder zusammenspielen beziehungsweise wie tief unser Kader besetzt ist: In meinen Augen ist Sam Presti der beste General Manager in der NBA. Wir verfügen jetzt schon über ein krasses Team und Presti hat immer noch unzählige First-Round-Picks in der Hinterhand. Es ist einfach unglaublich, was für einen großartigen Job er macht.
Mit Superstar Shai Gilgeous-Alexander steht zweifelsohne auch ein kommender MVP im Kader der Thunder. Was zeichnet den 26-jährigen Kanadier aus?
HARTENSTEIN: Für mich ist Shai ebenfalls ein absoluter MVP-Spieler in dieser Liga. Darüber hinaus ist er ein echter Leader, sehr demütig, steht mit beiden Beinen auf dem Boden und möchte immer nur das Beste für das Team. Sein Talent ist unfassbar groß – doch als Mensch ist er noch größer!
Auch wenn Sie erst seit wenigen Monaten Teamkollegen sind, wirkt es, als würden Sie schon ewig zusammenspielen. Woher kommt dieses fast schon blinde Verständnis zwischen Gilgeous-Alexander und Ihnen?
HARTENSTEIN: Er macht mein Spiel ziemlich leicht. Eigentlich muss ich ihn durch meine Blöcke ja nur freibekommen (lacht). Unser Verständnis füreinander hat sich in der Tat sehr schnell entwickelt. Wenn ich nach dem Block abrolle, hat er immer auch einen Blick für mich. Es macht riesig Spaß, mit ihm zu spielen.
Spaß macht es den Basketballfans hierzulande auch, die Entwicklung immer mehr deutscher Spieler in der NBA zu verfolgen. Haben Sie den Eindruck, dass sich das Ansehen des deutschen Basketballs in Nordamerika, speziell der NBA, in den vergangenen Jahren verändert hat?
HARTENSTEIN: Dem würde ich ganz klar zustimmen, ja. Franz Wagner hat bei den Orlando Magic einen sogenannten „Maximum Contract“ bekommen, was eine großartige Sache ist. Dennis Schröder absolviert aktuell eine seiner besten NBA-Spielzeiten.
Sie selbst dürfen sich bei dieser Aufzählung auch nicht vergessen …
HARTENSTEIN: Stimmt, ich bin ja auch noch da (lacht). Hinzu kommen noch Tristan da Silva von den Magic, der ebenfalls eine richtig gute Zukunft vor sich hat sowie Ariel Hukporti von den New York Knicks. Gerade mit ihm, der ebenso wie Tristan erst seit dieser Saison in der NBA spielt, spreche ich regelmäßig. Wenn er Fragen oder Probleme hat, bin ich sehr gerne da, um ihn entsprechend zu unterstützen. Sollten in nächster Zukunft weitere deutsche Jungs den Sprung in die NBA schaffen und Hilfe benötigen, würde ich das ebenfalls ohne zu zögern tun. Ich möchte einfach dem deutschen Basketball etwas zurückgeben. Über die Nationalmannschaft war das für mich aufgrund von Verletzungen oder der Tatsache, dass meine NBA-Spielzeiten zumeist sehr lange gedauert haben, bislang leider nicht möglich.
Könnten Sie sich denn grundsätzlich vorstellen, in Zukunft das Trikot der DBB-Auswahl zu tragen?
HARTENSTEIN: Das ist für mich auf alle Fälle ein Thema, klar. Sollten die Verantwortlichen jedoch sagen, dass ich dann vier Jahre hintereinander spielen müsste, würde es sicherlich schwer werden. Man darf nicht vergessen, dass ich mit meinem Team erneut die Play-offs spielen werde, was körperlich und mental schon sehr anspruchsvoll ist. Dementsprechend ist die NBA für mich auch klar die Nummer eins. Sollte es aber eine andere Möglichkeit mit der Nationalmannschaft geben, bin ich dafür selbstverständlich offen. Ein Gespräch mit dem neuen Bundestrainer Alex Mumbru hat allerdings noch nicht stattgefunden.
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