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Interview: Ex-Nationalspielerin Simic: "Der deutsche Frauenfußball wurde eingeholt"

Interview

Ex-Nationalspielerin Simic: "Der deutsche Frauenfußball wurde eingeholt"

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    Die Ex-Nationalspielerin Julia Simic hat im vergangenen Jahr beim AC Mailand ihre Karriere beendet. Zuvor hat sie auch für den FC Bayern gespielt. Seit Oktober ist sie Expertin bei DAZN.
    Die Ex-Nationalspielerin Julia Simic hat im vergangenen Jahr beim AC Mailand ihre Karriere beendet. Zuvor hat sie auch für den FC Bayern gespielt. Seit Oktober ist sie Expertin bei DAZN. Foto: Imago Images

    Julia Simic, am Dienstag spielen die FC-Bayern-Frauen gegen Paris Saint-Germain zum ersten Mal in der Allianz Arena. Was halten Sie davon?
    JULIA SIMIC: Das ist sehr gut. Man hat ein bisschen unter Zugzwang gestanden, weil viele ausländische Mannschaften immer wieder ihre Spiele in die großen Stadien verlegen. Da hinkt Deutschland ein bisschen hinterher. Ich seh’s trotzdem als was absolut Positives, unabhängig davon, wie es zustande gekommen ist.

    Ansonsten findet Frauenfußball immer noch selten auf der großen Bühne statt. Die Bundesligaspiele haben im Schnitt rund 1000 Zuschauer. Mangelt es am Interesse der Öffentlichkeit?
    SIMIC: Ja, ich habe schon das Gefühl, dass das Interesse am Frauenfußball ein bisschen stagniert. Man hat verpasst, den nächsten Schritt zu gehen. Der deutsche Frauenfußball war in Europa jahrelang führend, mit der Nationalmannschaft, mit der Liga, mit den Strukturen. Jetzt wurde man eingeholt, gerade von der englischen Liga, wo große Sponsoren gewonnen werden konnten, wo es viel Medieninteresse gibt, wo viel Sichtbarkeit geschaffen wurde.

    Wie kann der deutsche Frauenfußball sichtbarer gemacht werden?
    SIMIC: Sichtbarkeit geht schon da los, dass man die einzelnen Spielerinnen kennt. Die Liga muss besser vermarktet werden. Es ist sicherlich hilfreich, Männervereine mit großer Fußballhistorie wie Dortmund, Schalke oder Hertha BSC in die Liga zu bringen, weil es leichter fiele, diese Spiele zu vermarkten und das Interesse der Zuschauer zu bekommen. Zudem sind häufig Stadien nicht gut genug, um die Spiele zu übertragen, oder weil die Infrastruktur in den Vereinen fehlt, um mehr Werbung zu machen. Es geht aber auch darum, wer die Spiele zeigt. Wer bereit ist, nicht nur von der ersten bis zur 90. Minute ein Spiel zu zeigen, sondern davor auch die Geschichten von Spielerinnen zu erzählen, um die Gesichter bekannter zu machen. Das Potenzial wird gar nicht ausgeschöpft.

    Viele der bekannteren deutschen Gesichter spielen im Ausland. Verliert die Bundesliga an Attraktivität?
    SIMIC: Wenn Sara Däbritz bei Paris Saint-Germain oder Dzsenifer Marozsán bei Olympique Lyon um den Champions-League-Titel spielen können, dann ist das natürlich was Positives. Man muss aber auch schauen, dass man deutsche und ausländische Top-Sspielerinnen in der Liga halten kann. Dass man den Spielerinnen auch die Infrastruktur geben kann und die Sichtbarkeit, die sie in anderen Ländern auch haben.

    Um welche Infrastruktur geht es?
    SIMIC: In England ist es so, dass man stark mit den Männermannschaften verbunden ist, dieselben Rasenplätze und Einrichtungen nutzt. Die Teams beider Mannschaften treten zudem häufig zusammen öffentlich auf und werden gemeinsam in Klub-Kampagnen oder Projekte eingebunden. Ich war kürzlich im Old Trafford (Stadion von Manchester United/ Anm. d. Red.). Da hängen Plakate von drei Spielerinnen der Frauenmannschaft und drei Spielern der Männermannschaft am Eingang. Der Verein zeigt: Wir machen das nicht so nebenbei, sondern unsere Frauen haben die gleiche Plattform wie die Männer. In Deutschland habe ich oft das Gefühl, dass man zwar anfängt, aber dann doch nicht hundertprozentig dahinter steht.

    Sie haben bei West Ham United in der englischen Liga gespielt. Was unterscheidet die Liga von der deutschen?
    SIMIC: Der Fußball und das Potenzial selbst ist in Deutschland keinesfalls schlechter. Es ist aber das ganze Drumherum. Wir hatten zwei festangestellte Physios, einen Arzt, drei Trainer, einen Analysten, einen Torwarttrainer, eine Psychologin. Wir hatten ein Team um das Team, das nur für diese Mannschaft gearbeitet hat. Ich habe zuvor noch in keiner Mannschaft erlebt, dass wirklich alle den Fokus auf den Fußball gerichtet hatten. Man hat die Chance vernünftig zu regenerieren, sich für Spiele und Trainingseinheiten zu präparieren. Alle englischen Vereine haben diese Bedingungen. Mit der Zeit hebt das die Qualität der Liga. Es ist wichtig das bei uns auch zu integrieren, denn sonst laufen uns die Spielerinnen weg.

    Einige Vereine aus der Bundesliga der Männer haben inzwischen eine professionelle Frauenabteilung aufgebaut. Welche Rolle spielen die Männervereine bei der Entwicklung?
    SIMIC: Sie spielen eine extrem wichtige Rolle, weil sie die Infrastruktur haben. Die Vereine sind in der Verantwortung. Sie müssen Frauenteams normal werden lassen. Je häufiger man Frauenfußball als etwas Außergewöhnliches darstellt und nicht zu hundert Prozent integriert, desto mehr wird es auch als ungewöhnlich wahrgenommen. Frauenfußball muss als Teil des Vereins verstanden werden und nicht als eigene Sportart.

    Es gibt nur sehr wenige Trainerinnen und Funktionärinnen, andererseits wurde gerade Nicole Kumpis Präsidentin bei Eintracht Braunschweig und es gibt es immer mehr TV-Expertinnen wie Sie. Ist Deutschland beim Thema Frauen im Fußball auf einem guten Weg oder ist das noch zu wenig?
    SIMIC: Es geht immer mehr. Aber es tut sich gerade was – das darf man auch positiv sehen. Es ist wichtig, dass die Frauen in diesen Positionen jetzt auch abliefern. Es öffnen sich gerade Türen, durch die man selbst durchgehen muss, damit sich Frauen auch langfristig festsetzen können.

    Sollten sich mehr Vereine – auch aus der Männer-Bundesliga – trauen, eine Frau als Trainerin anzustellen?
    SIMIC: In der Frauen-Bundesliga gibt es aktuell nur eine einzige Trainerin. Es muss also generell mehr Frauen in der Position als Trainerin geben, egal ob im Frauen-, Männer- oder Jugendfußball. Nur ein geringer Prozentteil der A-Lizenz-Inhaberinnen sind Frauen – und diese Trainerlizenz braucht es, um in der Frauen-Bundesliga zu trainieren. Wir müssen also mehr Trainerinnen aktiv ausbilden. Der richtige Weg ist meiner Meinung nach, dass man ehemalige Spielerinnen dafür begeistert und ausbildet, um diese Positionen zu bekleiden. Da steckt unglaublich viel Potenzial drin, das wir nicht nutzen.

    Noch ein Tipp für das Champions-League-Spiel am Dienstag: Wer setzt sich durch, Bayern oder Paris?
    SIMIC: Mein Herz schlägt natürlich für Bayern, deswegen tippe ich, dass sie sich durchsetzen. Sie müssen sich zuhause eine gute Ausgangsposition fürs Rückspiel verschaffen. Aber PSG ist aktuell in absoluter Topform. Für Bayern wird es richtig richtig schwer.

    Zur Person

    Julia Simic, 32, kommt aus Nürnberg und spielte unter anderem beim FC Bayern, VfL Wolfsburg, West Ham United und dem AC Mailand. Die Ex-Nationalspielerin wurde deutsche Meisterin und DFB-Pokalsiegerin. 2021 beendete sie ihre Karriere, seit Oktober ist sie Expertin bei DAZN. Der Sender überträgt auch auch das Champions-League-Viertelfinale zwischen dem FC Bayern und Paris Saint-Germain am Dienstag (18.45 Uhr/ auch auf Youtube).

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