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Interview: Doping-Experte Fritz Sörgel: Fall „unter den Tisch gekehrt worden“

Interview

Doping-Experte Fritz Sörgel: Fall „unter den Tisch gekehrt worden“

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    Obwohl 23 Chinesinnen und Chinesen im Vorfeld der Olympischen Spiele in Tokio positiv auf ein verbotenes Mittel getestet wurden, durften sie dort starten.
    Obwohl 23 Chinesinnen und Chinesen im Vorfeld der Olympischen Spiele in Tokio positiv auf ein verbotenes Mittel getestet wurden, durften sie dort starten. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Herr Sörgel, wie waren Sie in die ARD-Recherche zur Enthüllung des Dopingskandals in China eingebunden?

    Fritz Sörgel: Es ging ja um die Frage: Wie kommt die Tablette zu den Sportlern? Die soll ja, so der Bericht aus China, in der Küche gewesen sein. Was da leider nicht steht, wie sie da hingekommen ist. Unsere Aufgabe war in der ganzen Übung, Tests zu machen, ob sich der Stoff so in der Küche verteilt haben kann. In den Körpern der Sportler wurden ja geringe Mengen gefunden. Das ist allerdings wohl eher darauf zurückzuführen, dass die Einnahme des Dopingmittels schon länger zurücklag. Das ist aus meiner Sicht die Erklärung. Aber jetzt mussten sie eben noch eine Story darum herumbauen, die belegt, dass sie nicht gedopt haben.

    Fritz Sörgel, Professor für Pharmakologie, ist Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Heroldsberg. Der 74-Jährige ist einer der führenden Doping-Experten Deutschlands.
    Fritz Sörgel, Professor für Pharmakologie, ist Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Heroldsberg. Der 74-Jährige ist einer der führenden Doping-Experten Deutschlands. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Die Chinesen argumentieren, dass über Rückstände in der Küche das Mittel zu den Sportlern gelangt ist. Wäre das zumindest theoretisch möglich?

    Sörgel: In China sind in dem Hotel der Sportler Tests gemacht worden und es wurden geringe Spuren gefunden – in der Küche, hauptsächlich in den Behältern für Gewürze, und im Abwasser. An der Stelle muss ich mich aber der Kritik an der Wada (Welt-Antidoping-Agentur, Anm. d. Red.) anschließen, dass man das so einfach geschluckt hat. Denn es erklärt überhaupt nicht, wie ein Wirkstoff wie Trimetazidin in eine Küche kommen kann. Wir haben nachgestellt, wie eine Tablette in einen Topf fällt, in dem die Suppe vor sich hinköchelt. Da steigt dann Wasserdampf auf und es gab tatsächlich auch im Dunstabzug Rückstände. So gesehen haben die Chinesen eine perfekte Szene konstruiert.

    Wer hat sich das alles ausgedacht?

    Sörgel: Die Rolle der Chinada, also der chinesischen Antidopingagentur, ist unklar. Sicher ist, dass eine staatliche Organisation, die auf Chemikalien in der Umwelt spezialisiert ist, die Untersuchungen im Hotel gemacht hat. Ein Dopinglabor hat ja mit solchen Fragestellungen nichts zu tun – das untersucht Urin, Blut und gelegentlich Kopfhaare, aber keine Küchenkontaminationen. Also ist eine Behörde zum Einsatz gekommen, die laut der ARD-Dokumentation (Geheimsache Doping – „Die Akte China“/ARD-Mediathek) dem Geheimdienst unterstellt ist. Da kommen dann die Dinge eben zusammen, an deren Ende diese ganze Geschichte allem Anschein nach einfach erfunden wurde, nachdem man damit konfrontiert war, dass 23 Sportler positiv auf Trimetazidin getestet worden waren. Wohl gemerkt in sehr geringen Konzentrationen. Aber das Mittel bleibt sehr lange im Körper, drei, vier Wochen.

    Das klingt, als habe man sich beim Timing des Dopings verschätzt.

    Sörgel: Ja, das kann man so sagen. 

    Also ein glasklarer Dopingfall?

    Sörgel: So sehe ich es. Aus meiner Sicht gibt es da keine andere Erklärung. Es waren geschätzt 300 Leute in dem Hotel und die geringen Mengen, die in der Küche gefunden wurden, können das alles gar nicht erklären. Selbst wenn zugestanden sei, dass da eine Tablette ‚aus Versehen‘ in den Kochtopf gefallen ist und die Sportler die Suppe gegessen haben, hätte die Konzentration von Trimetazidin im Urin höher sein müssen. 

    Welchen Vorteil habe ich als Sportler von dem Wirkstoff?

    Sörgel: Sportler sehen den Stoff erst einmal als etwas, was ihnen eine Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit ganz generell bringt, psychisch wie physisch. Trimetazidin ist ein Herzmittel für Patienten mit Sauerstoffarmut. Das Mittel ist in der Europäischen Union zugelassen. Aber wir in Deutschland, also unsere Kardiologen, lehnen die Substanz ab. Man ist einfach nicht von der Wirkung überzeugt. 

    Wenn man sich anschaut, dass da 23 Sportlerinnen und Sportler gemeinsam beim Dopen erwischt wurden: Das erinnert an Staatsdoping, wie es das beispielsweise in der DDR gab. Geht Ihnen das auch so?

    Sörgel: Natürlich, was sonst? Die alten Systeme kennt man. Das Know-how ist in den autoritären Staaten da, auch wenn Trimetazidin in der DDR keine Rolle gespielt hat. Die Methodik ist aber gleich. 

    Hat es Sie trotzdem überrascht, dass so ein Fall publik wird?

    Sörgel: Dass es so zugeht, habe ich mir schon gedacht. Dass es aber herauskommt in China, wo man sehr verschlossen ist und kaum Kontrolleure ins Land dürfen – das hat mich doch überrascht. Die schotten sich ja ab und der Vorfall war kurz vor den Olympischen Spielen. Da haben dann leider die Wada und wahrscheinlich auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) mitgespielt. Da wollte man einen solchen Fall nicht. Denn eigentlich hätte die Wada eingreifen müssen. So aber ist der Fall mehr oder weniger unter den Tisch gekehrt worden und man hat sich mit dem Bericht aus China zufriedengegeben. Die entscheidende Frage wird darin aber nicht erklärt: Wie kann eine solche Kontamination mit so einem Wirkstoff zustande kommen? Klar kann man sagen, einer der Köche war krank und nahm Trimetazidin ein. Aber warum landet dann die Tablette in einem Kochtopf und nicht in seinem Magen? 

    Welche Konsequenzen muss der Fall haben?

    Sörgel: Das ist jetzt natürlich eine juristische Frage, ob hier jetzt noch eingegriffen werden kann. Die Wada ist da in einer schwierigen Position. Ich denke, das wird nicht möglich sein, weil alle Beweise nicht mehr da sind. Das hätte die Wada damals zeitnah untersuchen müssen. Was will man da jetzt noch machen? 

    Was bleibt ist der Eindruck einer großen Mauschelei.

    Sörgel: Ja, aber das ist ja von China wirklich nichts Neues und nicht nur im Sport

    Aber wie die Wada reagiert hat, nämlich nicht, ist doch zumindest erstaunlich?

    Sörgel: Da bin ich natürlich auch schockiert. Es ist hinreichend dokumentiert, wie die Chinesen das ganze System unterwandert haben. Spenden von Firmen sind an die Wada geflossen, wichtige Posten im Sport an Chinesen vergeben worden. Das war schon auch von der Seite schlüssig, dass die Wada in dem Fall ihre Unabhängigkeit nicht überzeugend darstellen kann.

    Zur Person: Fritz Sörgel, Professor für Pharmakologie, ist Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Heroldsberg. Der 74-Jährige ist einer der führenden Doping-Experten Deutschlands.

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