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Interview: Der Ex-Sportdirektor schwingt die Keule gegen das deutsche Eishockey

Interview

Der Ex-Sportdirektor schwingt die Keule gegen das deutsche Eishockey

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    Haben deutsche Eishockeyfans in Zukunft nicht mehr so viel zum Jubeln? Ex-Sportdirektor Stefan Schaidnagel sieht die Entwicklung kritisch.
    Haben deutsche Eishockeyfans in Zukunft nicht mehr so viel zum Jubeln? Ex-Sportdirektor Stefan Schaidnagel sieht die Entwicklung kritisch. Foto: Andreas Beil, Imago Images

    Herr Schaidnagel, die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft ist unglücklich im Viertelfinale der WM ausgeschieden. Zuvor feierte das Team Kantersiege, verlor aber auch deutlich gegen die großen Nationen. Wo steht die Mannschaft denn wirklich in der internationalen Hackordnung?
    STEFAN SCHAIDNAGEL: Wenn Nationen wie Kanada, die USA, Schweden, Finnland oder die Russen, die momentan gar nicht dabei sind, alle ihre erste oder zweite Garde auflaufen lassen, definiert sich die Weltrangliste von allein. Dahinter gibt es einen Pool von Mannschaften, die da oben nur reinstoßen können, wenn bei ihnen an einem Tag alles und bei den anderen sehr wenig läuft. Deutschland, würde ich sagen, befindet sich irgendwo zwischen den Plätzen sechs bis zehn.

    Der nationale Anspruch ist durch Silber bei den Olympischen Spielen 2018 und bei der WM 2023 höher geworden. Zu Unrecht?
    STEFAN SCHAIDNAGEL: Da muss man den gesamten Kontext betrachten. Was ist passiert in den vergangenen Jahren? Da war ich als Sportdirektor selbst noch beteiligt. Wir haben damals zusammen mit Marco Sturm versucht, die geistige Haltung zu ändern. Wer sind wir? Welche Philosophie vertreten wir? Es ist schon was vorwärtsgegangen. Wir sind nicht mehr auf Verwalten aus gewesen, sondern wollten auch offensiv möglichst attraktiv und erfolgreich spielen. Durch den Fakt, dass zu dem Zeitpunkt die anderen Nationen nicht immer ihre Topstars dabeihatten, konnten wir Erfolge verzeichnen. Aber wir wussten auch immer: Wenn die NHL sich für die internationalen Turniere Freiräume schafft, dann sind es ganz andere Turniere. 

    Wie viel ist denn von den Ansätzen, die Sie damals verfolgt haben, noch übrig?
    STEFAN SCHAIDNAGEL: Grundsätzlich noch einiges. Es sind jetzt die Jahrgänge in der Nationalmannschaft oben dabei, die wir damals noch in den Nachwuchskadern hatten. Ich denke, an der einen oder anderen Stelle ist schon noch was zu sehen. Prozesse, Strukturen, Atmosphärisches. Diese Philosophie hat das Ganze jetzt ein paar Jahre getragen.

    Die ruhigen Fahrwasser, in denen der Deutsche Eishockey-Bund in den vergangenen Jahren unterwegs war, scheinen aber schon wieder verlassen worden zu sein. Bei den Männern wie den Frauen gab es zuletzt einige personelle Wechsel …
    STEFAN SCHAIDNAGEL: Das ist definitiv so, ja. Die ganzen personellen Rochaden, auch teilweise die Auswahl der Profile der Personen, sprechen nicht für einen mittel- und langfristig angelegten Plan.

    Stefan Schaidnagel arbeitet mittlerweile als Direktor für Leistungssportentwicklung und Internationales beim Landessportverband Baden-Württemberg.
    Stefan Schaidnagel arbeitet mittlerweile als Direktor für Leistungssportentwicklung und Internationales beim Landessportverband Baden-Württemberg. Foto: Ralf Lienert

    Dabei geht es nach großen Erfolgen, ganz egal in welcher Sportart, immer um die Frage der Nachhaltigkeit. Auch beim Eishockey?
    STEFAN SCHAIDNAGEL: Ich selbst habe Nachhaltigkeit immer so definiert, dass es eine Aneinanderreihung von positiven Ergebnissen sein sollte. Erst dann kann man von Nachhaltigkeit sprechen. Ganz konkret: Im Nachwuchs scheint man die Nachhaltigkeit verloren zu haben. Im Ligensystem, in der Organisation des Spielbetriebs gibt es eine hohe Fluktuation. Natürlich kann man sagen, mit der WM-Silbermedaille befindet man sich ja noch immer im ruhigen Fahrwasser. Aber das könnte ein Trugschluss sein. Wo es nachhaltig ist, werden erst die nächsten Jahre zeigen. 

    Welche Rolle kommt dabei den Ligen zu, die für die Entwicklung des Nachwuchses wichtig sind, der Oberliga zum Beispiel oder auch der DEL2 und DEL?
    STEFAN SCHAIDNAGEL: Eine wichtige. Das sind die Motoren für eine positive Nachwuchsentwicklung. Im deutschen Eishockey dreht man sich aber im Kreis. Entweder es gibt ein Bekenntnis zum Nachwuchs, vor allem auch in der DEL und man fördert die Jungs, oder man hält am Status quo fest. In letzterem Fall muss man aber auch die Konsequenzen in Kauf nehmen und damit rechnen, dass die Nationalmannschaften eben nicht mehr so erfolgreich sind. Momentan befindet man sich diesbezüglich am Scheideweg. Ein kongruentes und stimmiges Ligensystem vom Nachwuchs bis in den Profibereich ist wohl die größte Herausforderung für die derzeitigen Verantwortlichen. Es passieren gute Dinge, aber ob die gewollt sind und bewusst so als Output eines Konzeptes stehen, das wage ich zu bezweifeln.

    Wie läuft das bei anderen Nationen? 
    STEFAN SCHAIDNAGEL: Es gibt schon Nationen, die stringent aufgrund ihrer Systeme im Nachwuchs immer wieder gute Ergebnisse erzielen. Das hängt aber auch von den Jahrgängen ab und die Corona-Problematik darf man auch nicht vergessen, darunter haben international alle gelitten. Aber gute Dinge passieren vor allem in der Schweiz, in Skandinavien sowieso. Auch die Österreicher machen sukzessive Schritte nach vorn.

    Bei Österreich ist das tatsächlich auffällig, ja. Die haben eine starke Handball-EM gespielt, zählen bei der Fußball-Europameisterschaft zu den Geheimfavoriten und erzielen momentan auch bei der Eishockey-WM gute Ergebnisse. Was machen die anders als die Deutschen?
    STEFAN SCHAIDNAGEL: Wir sind sehr gut darin, seit zehn Jahren über eine Leistungssportreform zu diskutieren und uns dabei mehr um Strukturen zu drehen statt um Inhalte. Es wird in Deutschland gerade versucht, etwas Neues zu basteln, ohne aber wirklich die Probleme zu nennen und den fachlichen Ansatz dadurch zu finden. Wir stehen uns teilweise selbst auf den Füßen. Da sind andere Länder pragmatischer, weil sie die Dinge schneller identifizieren und Lösungen erarbeiten. Leider werden wir international gerade eher belächelt. 

    Haben Sie einen Lösungsansatz parat?
    STEFAN SCHAIDNAGEL: Es gibt kein Patentrezept. Uns wäre geholfen, wenn wir es schaffen, eine sportfachliche Führungsstruktur aufzubauen, in der absolute Vollprofis vertreten sind. Die besten Leute mit dem höchsten sportfachlichen Verstand. Und dann müssen wir einiges neu definieren. Was ist Spitzensport? Was braucht er? Ich sehe auch nicht die Diskussion nach Geld, das ist im System genügend vorhanden. Es geht eher um die Effektivität und die saubere Verteilung von Mitteln. Und letztlich müssen wir knallhart ein Leistungsprinzip schaffen, an dem erfolgreiche Inhalte, Personen und folglich Strukturen im Hinblick auf deren Handeln gemessen werden – das ist Spitzensport!

    Wenn man das Bild, das Sie zeichnen, näher betrachtet, scheinen solche Erfolge wie olympische Medaillen und Podestplätze bei großen Turnieren künftig wieder eher die Ausnahme zu sein, oder?
    STEFAN SCHAIDNAGEL: Ausreißer gibt es immer wieder. Nach oben wie nach unten. Aber wir dürfen uns nicht mit Ausreißern zufriedengeben. Wenn wir die Medaillenentwicklung im olympischen Sport anschauen, haben wir einen klaren Abwärtstrend. Auch für Paris 2024 sagen Prognosen voraus, dass wir wieder ein Stück weiter nach hinten durchgereicht werden. Das sollte eine Mahnung sein, dass wir momentan in vielen Bereichen nicht mehr konkurrenzfähig sind.

    Zur Person

    Stefan Schaidnagel, 43, war selbst jahrelang Eishockeyprofi, bevor er als Sportwissenschaftler im Fußball, Eishockey und in der freien Wirtschaft tätig war. Von Sommer 2015 bis 2021 war er für sechs Jahre Sportdirektor in Generalverantwortung beim Deutschen Eishockey-Bund und dadurch auch Teil der erfolgreichen Olympiamannschaft von 2018 in Pyeongchang. Inzwischen arbeitet er beim Landessportverband Baden-Württemberg als Direktor für Leistungssportentwicklung und Internationales. 

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