Uwe Gensheimer freute sich riesig, was angesichts der Magie des Moments kaum verwunderte. Die deutsche Handball-Nationalmannschaft bejubelte schließlich nicht nur den größten Erfolg ihrer jüngeren Vergangenheit, sondern eine echte Sensation: Europameister 2016. Da musste gefeiert, gesungen und getanzt werden. Auch mit Kapitän Gensheimer, der zwar dabei, aber dann doch nicht mittendrin war. Der Linksaußen verpasste das Turnier in Polen verletzungsbedingt – und ausgerechnet dann gelang der historische Coup von Krakau. Mit dem Anführer als Zuschauer. Das hatte eine gewisse Tragik.
Wenn man also die Geschichte der schillernden Karriere des Uwe Gensheimer erzählt, handelt diese immer von zwei Wegen. Der erfolgreiche mit seinen Clubs Rhein-Neckar Löwen und Paris Saint-Germain, mit denen er Titel gewann. Und der schwierige mit der Nationalmannschaft, weil dieser Verbindung bislang das ganz große Glück fehlt. Der Mannheimer ist zwar seit Jahren einer der wenigen Weltklasse-Spieler im Kader und hat bereits 188 Länderspiele bestritten. Aber Stand jetzt ist er im DHB-Dress eben auch der Unvollendete. Trotz der olympischen Bronzemedaille bei den Spielen 2016 in Rio.
Mit 34 Jahren läuft Gensheimer die Zeit für die Vollendung davon
"Es ist kein Geheimnis, dass ein Titelgewinn mit der Nationalmannschaft ein großes Ziel von mir ist. Dass es trotz der vielen Jahre noch nicht geklappt hat, ist traurig für mich. Aber ich habe nach wie vor den Ansporn, das zu schaffen. Und ich glaube fest daran, dass wir es schaffen werden", sagt Gensheimer, dem mit seinen 34 Jahren aber auch ein wenig die Zeit davonläuft.
Die nächste Chance gibt es theoretisch bei der WM in Ägypten, die für das Team von Trainer Alfred Gislason am Freitag (18 Uhr/ARD) gegen Uruguay beginnt. Realistisch betrachtet sind die ersatzgeschwächten Deutschen aber kein Kandidat für eine Medaille, erst recht nicht für die goldene. Dänemarks Nationaltrainer Nikolaj Jacobsen, mit dem Gensheimer einst zusammen bei den Rhein-Neckar Löwen deutscher Meister wurde, traut dem DHB-Team maximal das Viertelfinale zu. "Auf dem Papier ist das wahrscheinlich so", bestätigt der Linksaußen die Einschätzung seines Ex-Trainers. Doch er gibt sich kämpferisch: "In einem Turnier kann viel passieren."
In Abwesenheit weiterer Leitfiguren wie Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek, Steffen Weinhold und Finn Lemke, die ihren Wert für die Mannschaft auf und neben dem Feld haben, wird es für ein zweites Wunder wie 2016 mehr denn je auf Gensheimer ankommen. Die deutsche Auswahl braucht die rechte Zauberhand des Mannheimers, der Dinge mit dem Ball beherrscht, die andere nicht können. Und auch nicht lernen werden, weil ihnen dieses wahnsinnig feine Wurfgefühl fehlt. Aber benötigt wird ebenso seine Führung, die es nicht nur durch Lust auf Verantwortung, sondern genauso durch außergewöhnliche Leistungen zu flankieren gilt. Nur so kann man mitreißen. Nur so wirkt man glaubwürdig. Nur so ist man unumstritten. Sprich: Den Führungsspieler-Worten müssen Führungsspieler-Taten folgen, so wie es ihm zuverlässig auf Vereinsebene gelingt, aber eben nicht immer im Nationalteam.
2019 spielte Gensheimer das Turnier seines Lebens
Gewiss: 2019 spielte er eine überragende Heim-WM, es war das Turnier seines Lebens und Deutschland zog ins Halbfinale ein. 2020 aber blieb Gensheimer unter seinen Möglichkeiten, die EM begann mit einer Roten Karte. 2018 stand er derart neben sich, dass mit Rune Dahmke gar ein Linksaußen nachnominiert werden musste. Traurige Umstände begleiteten wiederum die WM 2017. Kurz vor dem Turnier starb sein Vater, Gensheimer spielte trotzdem die WM – was ihm gar nicht hoch genug anzurechnen ist und seine Hingabe für die Nationalmannschaft nur noch unterstreicht. Und doch gehört auch dieses schlimme Kapitel zu seiner von Tragik geprägten DHB-Karriere.
Genau 919 Tore hat der 34-Jährige bereits für Deutschland erzielt. Keiner im aktuellen WM-Kader kommt auf mehr Treffer für die DHB-Auswahl, auch in der Bundesliga überzeugte Gensheimer zuletzt. Erwartungsgemäß. In der Torschützenliste liegt er mit 87 Treffern auf Rang fünf. Zudem ist er in der Abwehr mittlerweile eine ernsthafte Alternative auf der Halbposition. "Uwe ist ein extrem wichtiger Spieler", sagt Bundestrainer Alfred Gislason über seinen Kapitän, dessen Glaube und Geduld sich übrigens schon einmal in seiner Karriere ausgezahlt hat.
Auf Vereinsebene hat Gensheimer mit den Löwen und Paris alles erreicht
13 Jahre lang hielt er den Löwen, seinem selbst ernannten "Herzensverein", die Treue, obwohl es immer wieder die Chance gab, zu anderen Vereinen zu wechseln. Mehr Geld. Mehr Titel. Mehr Ruhm. All das war möglich. Doch Gensheimer blieb, um sich seinen Lebenstraum zu verwirklichen: Deutscher Meister mit den Löwen. 2016 gelang ihm das, der Linksaußen sprach anschließend von einer "vollendeten Mission" und ging für drei Jahre nach Paris. Nun ist der vom Ehrgeiz Getriebene zurück beim Mannheimer Bundesligisten – und gewillt, im Deutschland-Dress seine letzte große Sehnsucht zu erfüllen.
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