Der Beste kam zum Schluss. Seine Mitspieler hatten bereits die Interviews mit Medienvertretern hinter sich gebracht, ehe Andreas Wolff seine Sicht der Dinge in Mikrofone und Aufnahmegeräte schilderte. Der Torhüter der deutschen Handball-Nationalmannschaft war es, der die Partie gegen die Schweiz frühzeitig in die gewünschte Richtung gelenkt und die Masse auf den Rängen zum Lärmen gebracht hatte. Dass der 32-Jährige zum Spieler des Spiels gewählt wurde, kam alles andere als überraschend. Die Atmosphäre schien den Schlussmann stetig zu beflügeln – auch wenn die Eröffnungsfeier zwischen Aufwärmen und Anwurf die Spielvorbereitung beeinflusst hatte. Trotz 30-minütiger Pause wirkten Wolff und seine Mitspieler sogleich hellwach auf der sogenannten "Platte". "Wir haben das als Mannschaft sehr gut gelöst, der Start war sehr gelungen", meinte Wolff.
Das klang wie eine Untertreibung anhand der Überlegenheit, die die deutsche Mannschaft beim 27:14-Erfolg ausstrahlte. Besser hätte der Auftakt in die Heim-EM nicht verlaufen können. Teils spielte sich die Mannschaft in einen Rausch. Wolff reckte die Faust wiederholt nach Paraden, seine Mitspieler nach Toren. Bundestrainer Alfred Gislason warnte zwar pflichtbewusst davor, bei einer Niederlage im nächsten Gruppenspiel gegen Nordmazedonien noch ausscheiden zu können, doch wirklich wahrnehmen wollte das an diesem Party-Abend niemand.
Deutschland spielt bei der Handball-EM beflügelt im Auftaktspiel gegen die Schweiz
Der Plan, mit dem der knorrige Isländer seine Spieler auf den hellblauen Hallenboden geschickt hatte, ging vollends auf. Die Weltrekord-Atmosphäre wirkte zudem beflügelnd, nicht lähmend. Gislason hatte vor dem Spiel davon gesprochen, der Funke müsse von seiner Mannschaft aufs Publikum überspringen. Letztlich ließ sich nicht klar benennen, wer nun wen angesteckt hatte. Selbst der sonst so zurückhaltende Gislason ließ sich ein uneingeschränktes Lob entlocken. Stolz sei er auf die Mannschaft. "Ich bin wirklich froh, dass wir so eine Leistung in so einem wichtigen Spiel gezeigt haben."
Am deutschen Team waren die vergangenen Tage und der Hype um diese Weltrekordkulisse nicht spurlos vorübergegangen, wie Wolff im Bauch der Düsseldorfer Arena gestand. "Wir waren natürlich angespannt vor diesem Spiel. Weltrekord, erstes Turnierspiel einer Heim-EM, bei der wir uns einiges vorgenommen haben." Selbst Wolff zeigte sich erstaunt ob des Auftakts. "Ein so souveränes Spiel hätte ich nicht für möglich gehalten", betonte er. Auf Bundestrainer Gislason und seinen Spielern lastete gehöriger Druck, als sie die Arena betraten. Die Erwartungen: überbordend hoch. Ein enttäuschender Start ins Turnier stand nicht im Drehbuch. Letztlich fühlten sich die 53.586 Fans bestens unterhalten, bemühten gegen Ende klassisches deutsches Stadionliedgut (Oh, wie ist das schön) und ließen die La-Ola-Welle durchs weite Rund schwappen.
Torhüter Andreas Wolff analysiert nüchtern den Sieg bei der Handball-EM über die Schweiz
Geradezu nüchtern analysierte Wolff da den Sieg, EM-Euphorie vermittelte er nicht. Lobte stattdessen seine Vorderleute, die ihm die Arbeit erleichtert hätten. Mit 64 Prozent gehaltener Bälle verkörperte aber in erster Linie Wolff Weltklasse. Tatsächlich harmonierten im Mittelblock Kapitän Johannes Golla und der immer wertvoller werdende Julian Köster blendend. Wiederholt blieben die Schweizer kleben oder wurden derart gehindert, dass den Würfen Schärfe und Präzision fehlte. Wolff resümierte: "Sie haben mir das Leben einfach gemacht. Wie wir das heute mit unserer jungen Mannschaft gelöst haben, ist fantastisch." Im Angriff fehlte mitunter Esprit und Finesse bei Anspielen an den Kreis, aber die Rückraumspieler Juri Knorr (6 Treffer) und Köster (3) überzeugten. Knorr konnte Gislason gegen Ende des Spiels sogar ausreichend Pausen gewähren.
Die Abhängigkeit von den Leistungsträgern ist immens. Noch sieht sich Wolff nicht bei hundert Prozent seines Leistungsvermögens. Erst seit November steht der trotz seiner Masse extrem bewegliche Torwart wieder regelmäßig beim polnischen Rekordmeister KS Kielce zwischen den Pfosten. Zuvor hatte ihn ein Bandscheibenvorfall aus dem Spiel genommen. Wolff führte die deutsche Mannschaft schon 2016 zu einem Europameistertitel. Weiß, dass der Sieg gegen die Schweiz lediglich ein Anfang ist. "Auf dem Spiel können wir aufbauen", meinte er. Gegen Nordmazedonien werde es allerdings ein ganz anderes Spiel (Sonntag, 20.30 Uhr/ZDF). Nach dem Sieg gegen die Schweiz werden die Erwartungen nicht sinken. Wolff hat sie im ersten Spiel bereits einmal übertroffen.