An ihm lag es erneut nicht. Andreas Wolff hielt nicht nur das, was zu halten war. Sondern wieder auch ein paar Bälle, die man nach menschlichem Ermessen nicht halten kann. Ihm gelang es aber trotzdem. Beim 22:22 der deutschen Handball-Nationalmannschaft gegen Österreich glänzte der 32-Jährige mit 14 Paraden und sorgte dafür, dass die Mannschaft trotz des Dämpfers noch vom Einzug ins Halbfinale bei der Heim-EM träumen durfte.
Dass Wolff bei dieser EM überhaupt dabei ist, grenzt an ein kleines medizinisches Wunder. Vielleicht sogar an ein großes. Ende August wurde bei ihm ein Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule diagnostiziert. Dem Weltklasse-Torwart drohte eine Operation, was das EM-Aus bedeutet hätte. Wie Wolff selbst sagt, sei sogar vom "Karriereende" gesprochen worden. Er quälte sich damals durch die Tage, konnte nachts keine zwei Stunden mehr schlafen. Bewegte der 32-Jährige den Kopf, strahlte der Schmerz bis in den Arm aus. Doch Wolff fand Leute, die ihm helfen. Und zu denen gehört Sascha Pander.
Handball-Torhüter Andreas Wolff nach Bandscheibenvorfall: "EM stand auf der Kippe"
Dem Physiotherapeuten des Handball-Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen geht in diesen Tagen das Herz auf, wenn er den überragenden Wolff bei der Europameisterschaft sieht. "Das bewegt mich. Ich freue mich für Andi, dass er sich seinen EM-Traum erfüllt hat. Denn ich weiß, wie wichtig ihm dieses Turnier ist, was es ihm bedeutet und in welchem Zustand er vor einigen Monaten zu mir kam. Das war keine kleine Verletzung, die EM stand auf der Kippe", berichtet Pander, der sich im Spätsommer an die Arbeit als Traumerfüller machte. Und dabei ging es nicht um seinen Traum, sondern um Wolffs. Dem der Physiotherapeut aber nichts versprach: "Ich konnte ihm nur eine Chance bieten."
Für Wolff selbst sei ein EM-Aus allerdings nie ein Thema gewesen. Der Schlussmann sei immer optimistisch, ja sogar "überzeugt" davon gewesen, bis zur Europameisterschaft wieder fit zu werden, erinnert sich der Physiotherapeut: "Obwohl Andi zu Beginn kaum auf der Behandlungsliege liegen konnte. Aber es stand für ihn außer Frage, dass er diese EM spielt. Er hat da immer fest dran geglaubt." Beim anstehenden Behandlungsmarathon sei entsprechend alles auf dieses Turnier ausgerichtet gewesen. "Soweit man das bei solch einer Verletzung eben ausrichten kann", sagt Pander. Soll heißen: Komplikationen und Rückschläge kann man nie komplett ausschließen.
Acht Wochen lang kam Wolff von Montag bis Freitag jeden Vormittag in Panders Praxis "Therapie Komplex" in Kronau, die er zusammen mit Sven Raab betreibt. Dort legte der Physiotherapeut seine magischen Hände an, schöpfte im Kampf gegen den Schmerz und auch die Zeit alle Therapiemöglichkeiten aus, wandte osteopathische Techniken an. "Was mit den Händen möglich war, habe ich gemacht", sagt Wolffs Retter in der Not, der aber nicht allein am Comeback des Torhüters beteiligt war. Auf diese Feststellung legt er Wert.
Auch Dr. Stephan Maibaum, Mannschaftsarzt der Rhein-Neckar Löwen, war als begleitender behandelnder Mediziner mit im Boot. Im Reha-Zentrum des Fußball-Bundesligisten 1899 Hoffenheim absolvierte der Torwart außerdem sein Athletiktraining. Zwischendurch halfen darüber hinaus zwei Spritzen von Dr. Markus Braun, dem Mannschaftsarzt des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund. Kurzum: Viele Spezialisten und Experten brachten sich ein, um das Wolff-Wunder zu ermöglichen.
Andreas Wolff zog sein Programm konsequent durch
Der Torwart habe sich von Beginn an voll auf die Behandlung eingelassen, lobt Pander seinen einstigen Patienten, der ja durchaus als ein vom Ehrgeiz Getriebener gilt: "Es ging mit Andi stetig bergauf. Und das war so nicht absehbar. Er hat sein Programm eisenhart durchgezogen, war auch nicht ungeduldig. Das kann ich wirklich nicht sagen. Im Gegenteil: Andi hatte akzeptiert, dass er nur in dem Tempo arbeiten kann, das sein Körper zulässt."
Im November stand Wolff zunächst für wenige Minuten im Testspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Ägypten auf dem Feld, anschließend nahm er seinen Platz zwischen den Pfosten beim polnischen Spitzenklub Kielce ein. Sammelte Spielpraxis. Wurde immer besser. Brachte sich in Form. Und jetzt verzückt er die Massen bei der EM mit spektakulären Paraden, was Pander ein wenig staunen lässt: "Wenn man bedenkt, wie schwer seine Verletzung war, ist es ein Wahnsinn, dass Andi jetzt schon wieder auf diesem hohen Niveau spielt." Der Torwart reiht Weltklasse-Leistungen aneinander. Damit der Halbfinal-Traum nicht platzt, brauchen die Deutschen von nun an aber auch einen funktionierenden Angriff.