Es ist noch gar nicht so lange her, als sich Tristesse in Griechenlands Fußball breit gemacht hatte, mal wieder: In den Play-offs zur Fußball-EM schien alles dafür vorbereitet zu sein, dass die Nationalmannschaft von Hellas erstmals seit 2014 wieder an einem großen Turnier teilnehmen sollte. Im Play-off-Finale war der krasse Außenseiter Georgien, der sich noch nie für ein Turnier qualifiziert hatte, der Gegner. Was sollte da schon schief gehen? Einiges natürlich.
Im Elfmeterschießen löste das Team des Ex-Bayern-Trainers Willi Sagnol das Ticket für das Turnier in Deutschland – und stürzte Griechenland in die Verzweiflung. Die EM verfolgte man im Land des Europameisters von 2004 mal wieder vom Fernseher aus. Anfang August stellte der Verband neue Weichen: Der Serbe Ivan Jovanovic übernahm die Geschicke vom Uruguayer Gustavo Poyet, der direkt nach der Pleite gegen Georgien abgelöst worden war. Jovanovic, 62 Jahre alt, gilt nicht als Visionär, aber als Kenner des griechischen Fußballs, den er als Spieler und Trainer erlebt hatte. Zuletzt hatte er mit dem Traditionsklub Panathinaikos Athen, den er von 2021 bis Weihnachten 2023 betreut hatte, 2022 den Pokal geholt und den Hauptstadtklub erstmals nach acht Jahren wieder in die Gruppenphase eines Europapokalwettbewerbs geführt. „Es ist mir eine große Ehre, das Nationalteam zu leiten. Ich kenne Spieler und Umfeld gut und will Griechenland wieder bei der WM-Endrunde 2026 sehen“, hatte Jovanovic bei seinem Antritt gesagt.
Griechenlands Triumph in Wembley: Sieg für George Baldock
Rund zwei Monate nach diesem Satz scheint der Serbe den griechischen Fußball wieder in die Spur gebracht zu haben: Mit ihm haben die Griechen bislang alle vier Spiele gewonnen und führen die Tabelle in ihrer Nations League Gruppe B an. Der größte Coup gelang am Donnerstag im englischen Wembley Stadion: Gegen Vize-Europameister England kam das Team zu einem umjubelten 2:1-Sieg. Damit kassierten die „Three Lions“ die erste Niederlage der laufenden Saison in der Nations League – und Griechenland gewann erstmals gegen das Mutterland des Fußballs.
Dabei wäre der große Coup eigentlich gar nicht zustande gekommen – wenn es nach dem griechischen Verband gegangen wäre. Am Abend vor der Partie hatte die Griechen die Nachricht von einer Tragödie erreicht: Der langjährige Nationalspieler George Baldock wurde tot im Pool seiner Villa gefunden. Laut griechischen Medien ist die Todesursache Baldocks noch zu ermitteln. Dem griechischen Rundfunk (ERT) zufolge wurden sein Verein Panathinaikos und die Behörden zunächst von seiner Frau alarmiert. Diese hatte stundenlang vergeblich versucht, den 31-Jährigen telefonisch zu erreichen. Einen Antrag auf Verschiebung des Spiels lehnte die Uefa ab. Griechenland musste antreten, kämpfte, gewann – und widmete den Erfolg dem Toten. Nach dem Sieg hielt das Team ein Trikot mit Baldocks Nummer zwei in die Luft. Evangelos Pavlidis, der mit zwei Toren der Matchwinner in Wembley war, sagte nach Schlusspfiff: „Wir haben heute für George unsere Seele auf dem Platz gelassen. Dieser Sieg ist für ihn.“ Die Zeitung Fos schrieb daraufhin: „Diese Mannschaft rührt ganz Griechenland zu Tränen.“
Und in dieser Mannschaft scheint es sportlich zu stimmen. Im Tor zeigte der gebürtige Stuttgarter Odysseas Vlachodimos in England starke Paraden, die Abwehr organisiert der ehemalige VfB-Profi Konstantinos Mavropanos (West Ham), die Tore erzielt Pavlidis, dazu kommen Talente wie der letztjährige Düsseldorfer Christos Tzolis oder Routiniers wie Kapitän Anastasios Bakasetas und der FCA-Spieler Dimitrios Giannoulis. Es scheint sportlich derzeit einfach zu passen bei Hellas – und das nur kurz nach einer der bittersten sportlichen Pleiten und einer der schwärzesten Stunden, die der Verband jemals erlebt hat.
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