Nun, da Bundestrainer und Nationalspieler inständig darum bitten, die Euphoriebremse zu treten, ist es freilich an der Zeit, Gegenteiliges zu tun. Antizyklisches Kritisieren nennt das Uli Hoeneß. Möglicherweise kennt er das wiederum aus dem Aktienhandel, da hat es was mit dem Investieren zu tun. Aber das ist nun eine ganz andere Geschichte. Wobei, diese Aktiengeschichte mündete vor beinahe genau zehn Jahren in ein Urteil, das dem Patron vom Tegernsee so gar nicht gefiel. Vor ungefähr zehn Jahren war auch letztmals die Stimmung rund um die deutsche Nationalmannschaft so gut wie jetzt. Sie mündete in einen WM-Titel.
Zwei Spiele waren ausreichend, um das Publikum zu versöhnen. Oder, abermals Anleihe bei Hoeneß: "The trend is your friend." Nun aber die Euphorie zu bremsen, wäre absoluter Unfug. Stattdessen: voll drauf aufs Gaspedal. Euphorie und Endorphine bis zum Abwinken. Gebremst wird irgendwann von ganz alleine. Schließlich macht wohlgelauntes Arbeiten doch auch mehr Spaß als ein gelangweiltes Stundenabsitzen.
Sogar der DFB macht vieles richtig
Nagelsmann, die Mannschaft, ja der ganze DFB, machen derzeit vieles richtig (sieht man von der missglückten Kommunikation beim Ausrüsterwechsel ab). Für den Verband ist das ein Geschenk. Auch, weil es der Bundestrainer mit seiner Herangehensweise absurderweise geschafft hat, den Bossen beim DFB größere Freiheiten bei der Trainerwahl zu ermöglichen. Nach den vergangenen zehn Tagen würden sie selbstverständlich gerne den Vertrag mit Nagelsmann vorzeitig über die EM hinaus verlängern (was sich schnell ändern kann, wenn in der Vorrunde die Euphoriebremse von den Gegnern bis zum Bodenblech durchgedrückt wird). Falls der 36-Jährige aber seine Zukunft bei einem Klub sieht, hat der DFB nun immerhin ein klar gezeichnetes Stellenprofil für den wichtigsten Trainerposten im Lande.
Statt Erfolge, Erfahrung und Understatement sind klare Vorstellungen und eine offene Kommunikation wichtig. Das eröffnet neue Möglichkeiten bei der Suche. Sollte die EM nun wider Erwarten danebengehen, ändert sich das freilich schlagartig (der Fachterminus lautet: (deut)schlandartig). Aber davon wollen wir wenige Monate vor dem Sommermärchen reloaded nichts wissen. Einen Monat lang wird über Deutschland die Sonne scheinen, Manuel Neuer wird unhaltbare Bälle aus dem Kreuzeck fischen, Thomas Müller trifft und trifft – fast wie 2014. Was macht eigentlich Miroslav Klose derzeit?