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Geschlechter im Sport: Leistungssport ist männlich, weiblich – und mehr

Geschlechter im Sport

Leistungssport ist männlich, weiblich – und mehr

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    Die Sportlerin Caster Semenya hat eine Berufung vor dem Europäischen Gericht für Menschenrechte gegen die Testosteron-Vorschriften des Leichtathletik-Weltverbandes gewonnen.
    Die Sportlerin Caster Semenya hat eine Berufung vor dem Europäischen Gericht für Menschenrechte gegen die Testosteron-Vorschriften des Leichtathletik-Weltverbandes gewonnen. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Der Sport ringt mit einer Thematik, die viele Fragen aufwirft und kaum Antworten bietet. Es geht um Testosteronwerte und Pubertät. Darum, ob und wann jemand Mann oder Frau ist. Und ob das immer so klar zu definieren ist. Der Schwimm-Weltverband World Aquatics versucht sich nun an Wettbewerben in einer offenen Kategorie für Aktive "aller Geschlechter und Geschlechtsidentitäten", wie es in einer Pressemitteilung heißt. Premiere ist beim Weltcup in Berlin (6.-8. Oktober). Völlig unklar ist, ob und wie viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen an den Start gehen. 

    Im vergangenen Jahr hatte World Aquatics Transgender-Schwimmerinnen (also Frauen, die als Mann zur Welt kamen und sich später einer Geschlechtsumwandlung unterzogen) von Frauenrennen bei Großveranstaltungen wie Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften ausgeschlossen. Ausnahmen sind nur gestattet, wenn die Geschlechtsanpassung bereits vor dem zwölften Lebensjahr vollzogen wurde. Gleichzeitig kündigte der Verband aber die Schaffung einer neuen Kategorie an, was nun passiert ist. Ganz ähnlich agierte bisher der Leichtathletik-Weltverband World Athletics. Er verbietet die Teilnahme von Transgender-Athletinnen, wenn sie die Pubertät als Mann durchgemacht haben. Hintergrund ist, dass dann trotz Hormonbehandlung die körperlichen Vorteile gegenüber den anderen Frauen zu groß seien.

    Geschlecht im Sport: Im Zentrum steht der Testosteronspiegel

    Das Thema ist aber weit komplexer, als es dieses Regelwerk vermuten lässt, denn die Grenze zwischen Mann und Frau verläuft nicht immer so klar, wie es viele Beobachter gerne hätten. Im Zentrum vieler Diskussionen steht das wichtigste männliche Sexualhormon Testosteron. Es ist ein altbekanntes Dopingmittel, da es unter anderem den Muskelaufbau und die Regeneration fördert. Doch was, wenn bei Frauen der Testosteronspiegel natürlicherweise sehr hoch ist?

    Erstmals ins Licht einer breiten Öffentlichkeit geriet diese Frage, als die südafrikanische Leichtathletin Caster Semenya bei der Weltmeisterschaft 2009 in Berlin Gold über 800 Meter gewann. Beobachtern fiel sie mit ihrem kraftvollen Laufstil auf, der sich vom Rest des Feldes abhob. Was folgte waren wilde Spekulationen und Diskussionen, die oft und schnell ins Vorverurteilende und Beleidigende abrutschten. Semenya machte öffentlich, einen natürlich hohen Testosteronspiegel zu haben. Sie sei aber eine Frau und wolle auch als eine solche behandelt werden. Der Leichtathletik-Weltverband reagierte dennoch und führte die Regel ein, dass weibliche Athleten mit untypisch hohen Testosteronwerten diese künstlich senken müssten, um weiter an Wettbewerben teilnehmen zu dürfen. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit, denn Semenya lehnte eine Hormontherapei ab und wehrte sich mit allen juristischen Mitteln.

    Diskriminierend, aber notwendig – sagt World Athletics

    Prompt kassierte der Internationale Sportgerichtshof Cas die Vorgabe wieder ein und verlangte medizinische Nachweise der Notwendigkeit. 2019 winkte der Cas dann eine neue Regel durch, laut der DSD-Frauen (Disorders of Sex Development, also Frauen mit Störungen der Geschlechtsentwicklung) ihren Testosteronwert für die Teilnahme an Wettbewerben über die Distanzen zwischen 400 Metern und einer Meile seit mindestens sechs Monaten auf unter 5 mmol pro Liter gesenkt haben müssen. Diese Vorgabe wurde später noch einmal verschärft und auf alle Disziplinen ausgeweitet. World Athletics selbst bezeichnet das zwar als diskriminierend, hält es aber dennoch für nötig, um die Integrität der Frauen-Leichtathletik zu schützen. 

    Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hält sich weitgehend aus der Diskussion heraus, was angesichts der unterschiedlichen Anforderungen in den verschiedenen Sportarten nachvollziehbar ist. Eine Bogenschützin benötigt andere körperliche Voraussetzungen als eine Gewichtheberin. Das IOC verzichtet darauf, sportartübergreifende Testosteron-Richtwerte vorzugeben. Stattdessen fordert es die Inklusion, Nicht-Diskriminierung und Selbstbestimmung betroffener Athletinnen. Jeder Verband solle gemäß der jeweiligen Rahmenbedingungen eigene Regeln definieren.

    Dritte Kategorie im Sport als weitere Ausgrenzung oder Lösung?

    Die Schwimmer wollen nun in Berlin erste Erfahrungen mit einer eigenen Kategorie sammeln, die sich vor allem an Transgender-Athletinnen und -Athleten richtet. "Dieses bahnbrechende Pilotprojekt unterstreicht das Engagement für Inklusion und heißt Schwimmende jeden Geschlechts und jeder Geschlechtsidentität willkommen", heißt es in der Pressemitteilung von World Aquatics. Kritiker sehen darin allerdings nur eine weitere Ausgrenzung und Stigmatisierung der betroffenen Sportlerinnen und Sportler. 

    Caster Semenya wiederum hat ihren Kampf gegen die Testosteron-Vorschriften des Leichtathletik-Weltverbandes längst nicht aufgegeben. Erst im Juli feierte die mittlerweile 32-Jährige zumindest einen moralischen Sieg, als sie ihre Berufung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewann. Die Richter in Straßburg stellten mehrere Menschenrechtsverletzungen fest. Das Urteil dürfte aber wohl nur symbolischen Charakter haben, da es die Regel selbst nicht angreift. So bleibt die Frage unbeantwortet, was schwerer wiegt: Chancengleichheit oder Menschenwürde?

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